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Die Wehrbeauftragten der BVG

■ Aktion "Schotten dicht" im nächtlichen U-Bahntunnel / 15 Meter unter der Spree erzählte Autor Heinz Knobloch eine Geschichte aus den letzten Kriegstagen

Wer U-Bahn fährt, hat mehr vom Leben. Mehr kalte Füße bei Schienenbrüchen im Winter. Mehr dicke Luft, wenn im Sommer trotz Touristenströmen zuwenig Züge fahren. Auch die Preise der BVG steigen ja bekanntlich ständig. Welcher notorische U-Bahnreisende also würde es sich nehmen lassen, den Underground auch mal von einer anderen Seite kennenzulernen?

Zum Beispiel nachts, so zwischen ein und drei Uhr morgens, wenn die U-Bahn nicht fährt. Die BVG offerierte als Höhepunkt ihres Sommerferien-Presse-Programms „Unbekannte BVG“ in der Nacht von Montag auf Dienstag die Besichtigung einer ihrer sogenannten Wehrkammern, und eine enorme Schar schlafloser MedienvertreterInnen folgte der Einladung. Getreu der Devise: Lieber nachts im U-Bahntunnel herumstolpern, als tagsüber ins Sommerloch stürzen.

Fast unbemerkt mischte sich auch der Pankower Feuilletonist und Schriftsteller Heinz Knobloch mit gelbem Bauhelm und Leuchtweste unters Journalistenvolk. Als Kind hatte der betagte Autor jahrelang unweit des Haltepunktes Belle-Alliance-Straße, dem heutigen Mehringplatz, gewohnt. Jetzt ging es von hier aus per Bauwagen Richtung Friedrichstraße die U6 entlang. Nicht nur Knobloch war begeistert. Viele seiner Geschichten ranken sich um diese Strecke. Den „Geisterbahnhöfen“, die hier unten während der Mauerzeiten unter den strengen Augen der Grenzsoldaten existierten, widmete Knobloch ein eigenes Buch.

Nur wenige JournalistInnen erinnerten sich so wie der Schriftsteller, daß der dicke weiße Strich im Tunnel kurz hinterm Bahnhof Kochstraße die einstige Grenze zwischen Ost und West markierte. Ansonsten – Baustellen, wohin man schaute. Auch an der U-Bahnstation Französische Straße. Dort werden derzeit 7,7 Millionen Mark unter anderem in die Verlängerung der Bahnsteige investiert, obwohl es mit dem Bau des U-Bahnhofes Unter den Linden im Verlauf der U5 bald keine Station Französische Straße mehr geben wird. Doch von Fehlinvestitionen sollte auf der nächtlichen Pressereise nicht die Rede sein, sondern von den Errungenschaften der BVG.

So schlug zwischen den Bahnhöfen Friedrichstraße und Oranienburger Tor, etwa 15 Meter unter der Spree, erst einmal die Stunde der Techniker. Erwin Jahnke, der Leiter des Zentralbereichs Infrastruktur der BVG, präsentierte jene sechs Tonnen schweren Tore, die verhindern, daß die Tunnelröhre der U-Bahn im Ernstfall überflutet wird. Noch immer von Hand werden die Verriegelungen des aus dem Jahre 1920 stammenden und 1944 rekonstruierten Schottensystems gelöst.

Heißt es also „Schotten dicht“, braucht es etwa 15 Minuten, bis die vier Tore heruntergelassen sind. Zum Einsatz kam die sogenannte Wehrkammer unter der Weidendammer Brücke nach dem Krieg zum Glück noch nie. Doch regelmäßig gewartet, so Jahnke, wird der Mechanismus als Vorsichtsmaßnahme schon.

Daß bei der BVG die Tore dann auch zu sind, wenn sie zu zu sein haben, bewies nicht zuletzt jene „Stadtmitte umsteigen“-Geschichte, die Heinz Knobloch, wie er sagte, Ende der siebziger Jahre schrieb, ohne je an einen Besuch des Tatorts zu denken. Geschlossen waren die Tore auch vom 1. zum 2. Mai 1945, wie in jeder Nacht, seit in Deutschland der Krieg tobte. Das Land stand vor der Kapitulation. Nicht wenige Nazigrößen wollten ihre Haut vor der heranrückenden Roten Armee in Sicherheit bringen. So auch SS- Generalmajor Mohnke. Von der Reichskanzlei flüchteten er und sein Trupp zur einstigen U-Bahnstation Kaiserhof, heute Mohrenstraße. Hier stiegen sie hinab in den Tunnel, liefen vor bis Stadtmitte, mußten dort sozusagen umsteigen, um durch den allseits bekannten „Mäusegang“ zu eben jener Strecke zu gelangen, die mehr als 50 Jahre danach von etwa zwei Dutzend JournalistInnen neugierig beäugt wurde. Doch gen Norden gelangten Mohnke und Co unterirdisch nicht allzuweit. Als sie vor der geschlossenen Wehrkammer standen, weigerten sich zwei BVGer, die Tore zu öffnen. Mohnke mußte oben über die Brücke Reißaus nehmen und wurde dabei verhaftet.

Weshalb die BVGer in jener Nacht die Schotten angesichts geballter SS-Macht nicht öffneten, kann Knobloch nur vermuten. Die wahrscheinlichste aller Erklärungen sei wohl, daß die beiden eben Beamte waren. Sie hatten den Auftrag, jede Nacht die Tore geschlossen zu halten. Und das taten sie dann auch. Lediglich ihr Vorgesetzter hätte ihnen einen neuen Befehl erteilen können. „Die SS“, meinte Knobloch, „scheiterte hier sozusagen am Wesen des deutschen Beamten.“ Kathi Seefeld

Heinz Knoblochs „Stadtmitte umsteigen“ wird im Herbst nach der Buchmesse beim Morgen Buchverlag Volker Spiess erneut erscheinen. Mit einem Nachwort, so der Autor, und mit jenen Passagen, die in der DDR nicht erscheinen durften.

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