: Madrid koordinierte den Anti-ETA-Terrorismus
■ Neue Aussagen belasten den ehemaligen Innenminister als Verantwortlichen
Madrid (taz) – Die Ermittlungen zum schmutzigen Krieg gegen Flüchtlinge aus dem Umfeld der baskischen ETA nehmen eine neue Wende. Einhellig beschuldigen drei der Hauptangeklagten jetzt den ehemaligen Innenminister José Barrionuevo, die Operationen der GAL, der „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“, von Madrid aus gesteuert zu haben. Auf das Konto der GAL gehen 28 Morde in Südfrankreich aus den achtziger Jahren.
Erst nach sieben Monaten U- Haft haben Julián Sancristóbal, der ehemalige Zivilgouverneur in Bilbão, Francisco Álvarez, Koordinator in Sachen Terrorismusbekämpfung und Miguel Planchuelo, Chef des polizeilichen Nachrichtendienstes im Baskenland – die Gründer der GAL – endlich ausgepackt. Ihre Aussagen bringen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón seinem Ziel einen entscheidenden Schritt näher, die Verantwortung der Regierung für die Aktionen der GAL zu belegen.
Nach Aussagen von Francisco Alvarez gab es nicht, wie bisher angenommen, nur ein GAL-Kommando, sondern vier: eine Einheit aus Männern des militärischen Abschirmdienstes CESID, eine Gruppe der Nationalpolizei, eine weitere der paramilitärischen Polizeieinheit Guardia Civil und ein Söldnerkommando aus dem Dunstkreis der französischen Polizei und Fremdenlegion. „Die vier Gruppen wurden koordiniert von Innenminister José Barrionuevo oder jemandem, der noch über ihm stand“, sagt Alvarez. Er selbst habe damals mehrmals mit dem Innenministerium in Madrid telefoniert, um Aktionen abzustimmen.
Die Aussagen bestätigen die Version der beiden Kronzeugen Michel Dominguez und José Amedo.
Die beiden wegen ihrer GAL- Mitgliedschaft verurteilten Ex-Polizisten hatten durch ihre detaillierten Aussagen vergangenen Dezember eine Neueröffnung des Verfahrens und die Verhaftung weiterer GAL-Mitglieder und Hintermänner ermöglicht.
Offenbar auf Anraten ihrer Anwälte haben die drei Angeklagten jetzt ihr Schweigen gebrochen. Deren Ziel ist es wohl, konkrete Tatbeteiligungen in Mordfällen als reine Befehlserfüllung darzustellen – was politisch solch einen Druck macht, daß letztendlich eine Generalamnestie im Fall GAL dabei herauskommen könnte.
Richter Baltazar Garzón wird bis auf weiteres darauf verzichten müssen, Ex-Minister Barrionuevo selbst vernehmen zu können. In weiser Voraussicht wurde Barrionuevo, der bis heute einen Abgeordnetensitz innehat, von seiner Fraktion in den ständigen Ausschuß des Parlaments geschickt. Die Mitglieder dieses geschäftsführenden Gremiums behalten als einzige Volksvertreter ihre Immunität, wenn das Parlament – wie gerade für Anfang nächsten Jahres angekündigt – zur Ausrufung von Neuwahlen aufgelöst wird. Reiner Wandler
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