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Aufmunterung hinterm Terrinenrand

■ Wer von der Qualität des Hamburger Wohnungsneubaus deprimiert ist, der sehe nach Berlin

Wohnungsbau nach dem Krieg ist in Hamburg ein finsteres Kapitel. Abgesehen von einigen Siedlungen der Nachkriegsmoderne (von Hermkes, Reichow u.a.), deren flächenverbrauchende Konzeption man heute gegen den Widerstand der Anwohner zu verdichten versucht, und wenigen Einzelbeispielen eines geglückten Zusammenspiels privater Bauherren mit engagierten Architekten, gibt es kaum bemerkenswerte Wohnungsbauarchitektur, die an die Qualität der Gründerzeit oder der 20er Jahre-Quartiere anschließen könnte. Plumpe Backsteinfassaden, graue Betonbalkons, Plastikfenster und weiß gekachelte Hausflure kennzeichnen die ganze schreckliche Fürsorge einer Wohnungsbaupolitik, die nur in Menge und Preis denkt. Sicherlich denkt sie auch manchmal an Ordentlichkeit, aber was eine Stadt für ihre Bürger angenehm machen sollte, bestimmen blutleere Paragraphen und Verordnungen, die mehr von den stadtfeindlichen Konzepten der Moderne und der Gartenstadt beeinflußt sind, als von der Beobachtung großstädtischer Lebensweisen und gesellschaftlicher Veränderungen.

Selbst Hamburgs Oberbaudirektor Egbert Kossak bezeichnete es 1992 als „die größte Enttäuschung des letzten Jahrzehnts“, daß es trotz der extrem hohen Subventionen des öffentlich geförderten Wohnungsbau nicht gelungen sei, die beteiligten Menschen und Organe dahin zu bringen, „den Wohnungsbau auch als wichtige soziokulturelle Aufgabe zu begreifen und Art, Umfang, Grundrißorganisation der Wohnungen wie die gestalterische Qualität der Wohngebäude bedürfnisgerecht weiterzuentwickeln“. Insbesondere in der Verweigerung gestalterischer Qualität zeigt sich die ganze Lieblosigkeit der Hamburger Sozialdemokratie im Umgang mit den Bürgern. Nur Zahlen zählen eben.

Geredet wird inzwischen etwas mehr über dieses Thema, als noch vor einigen Jahren, aber ob es etwas nutzen wird ist nicht nur angesichts der unstädtischen Schollenarchitektur in Allermöhe mehr als fraglich. Beim Hamburger Architekturgespräch zu diesem Thema zeigte es sich immerhin, daß die Frage eines neuen Wohnungsbaus doch mehr Architekten am Herzen liegt, als man glauben sollte, wenn man sich in der Stadt umsieht.

Da hilft es sicherlich nicht nur den Entscheidungsträgern und Baumeistern, einmal aus der Aalterrine in andere Städte zu spähen, um die Unterhaltung mit Beispielen zu nähren. Auch dem gemeinen Mieter könnte die Lektüre des Katalogs Stadt Haus Wohnen – Wohnungsbau der 90er in Berlin von Nutzen für die nächste Wahl oder die nächste Saga-Mieterversammlung sein. Zwar ist auch in Berlin sicherlich nicht alles rosa Glücksversprechen, was sich auf bunten Entwürfen präsentiert, aber spätestens seit der Internationalen Bauaustellung (1979-88) kann Berlin wieder einige Beispiele präsentieren, wie man das Leben im Stadthaus mit ästhetischem Geschick spicken kann.

Auch bei dem groß angelegten Wohnungsbaupro-gramm nach dem Mauerfall, von dem dieser Katalog einer Ausstellung in Berlin überwiegend handelt, hat Berlin einige Fehler versucht zu vermeiden, die in Hamburg immer noch gemacht werden.

Sowohl Nutzungsmischung wie innerstädtisches Wohnen als auch architektonische Qualität standen ganz oben auf der Anspruchsliste, der sich sogar internationale Investementfirmen zu beugen hatten. Ob einem das im Resultat dann alles gefällt oder immer so funktioniert, wie die Stadtverwaltung es sich ausgedacht hat, sei erst einmal dahingestellt. Wichtig scheint vorläufig zu sein, daß Berlin die innere Verdichtung selbst in Citylagen mit Wohnanteilen von 30 Prozent bei hohen Qualitätsanforderungen ernst nimmt und auch bei seinen neuen Vorstadtprojekten nach ökologischen, architektonischen und nutzungsgemischten Eckpfeilern handelt.

Neben einer Unzahl von beeindruckenden wie höchst kontroversen Beispielen bereits gebauter oder geplanter Wohnprojekte bietet dieser dicke Wälzer auch einen umfangreichen Textteil, der von der berühmten Tradition des Berliner Wohnungsbaus bis zur „Ökologie im Städtebau“, von Abhandlungen über die Geschichte der Stadterweiterungen (von Dieter Hoffmann-Axthelm) bis zu radikalen, bei Richard Rogers entlehnten Thesen von der „Nachhaltigen Stadt“, also der ressourcenbewußten Ökonomie beim Städtebau, reicht. Komplett liefert dieser 400 Seiten starke, leider etwas teure Katalog jedem, der sich für die Entwicklung von Stadt und das Wohnen in ihr interessiert, eine umfangreiche Materialsammlung an die Hand, wie sie für das Hamburger Beispiel sicherlich 300 Seiten dünner ausgefallen wäre.

Till Briegleb

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