: Bodybuilder-Posen im Niemandsland
■ Zum zehnjährigen Bestehen der Galerie Neue Räume zeigt Heidi Springfeld eine Ausstellungsserie zu Künstlerinnenpositionen: „Exposition in sieben Folgen“
„Der Raum, in dem wir hier sitzen, war früher das Klassenzimmer der Ursulinen“, erklärt Heidi Springfeld, als sie mir bei einer Tasse Milchkaffee in den hellen, mit aparten Rundbögen gezierten Erdgeschoß-Räumen der Lindenstraße 39 gegenübersitzt. Hier, im damaligen dead end hinter Kreuzberg, eröffnete sie vor zehn Jahren die Galerie Neue Räume. Zur ersten Ausstellung, im Mai 1985, mit neuen Gemälden von Johannes Grützke, spielte Marianne Enzensberger auf. Und tout Berlin erschien, von der Kunst-Szene bis zur damals noch kohärenten Kreuzberger Gemeinde. Rosa von Praunheim zeigte seine Filme, Max Goldt las aus seinen Werken.
Das ehemals barocke Mietshaus, 1764 erbaut, zählt zu den wenigen Überresten der ehemaligen Friedrichstadt. Bis zur Enteignung und Schließung durch die Nationalsozialisten 1937 war es Sitz eines Ursulinenklosters, dessen Nonnen hier eine Töchterschule mit Grundschule und Waisenhaus betrieben.
Für Springfeld, ehemalige Metropol-Chefin und selbst Mieterin innerhalb des Hauses, waren die Räumlichkeiten im Seitenflügel der ideale Platz für die Galerie, die sie plante. „Es handelt sich um eines der ältesten nach dem Krieg erhaltenen Häuser hier, und um ein Haus mit Tradition. Fontane war zeitweiliger Logiergast des Klosters, das in einem sehr weltoffenen, musischen und sozial engagierten Stil geführt wurde.“
Im Laufe der Jahre bezogen immer mehr KünstlerInnen Ateliers in dem Gebäude, das sich so zu einem Künstlerhaus entwickelte. Fester Bestandteil des Galerie-Konzeptes war von Anfang an das „Café Springfeld“, das Anderl Kammermeier mit seinen elegant- fragilen Stahlrohrmöbeln einrichtete. In Zukunft sollten hier wechselnde Ausstellungen, Performances, Konzerte, Lesungen und Improvisationen stattfinden. Und so kam es auch. Von 1985 bis heute gaben sich Künstler der unterschiedlichsten Sparten in den „Neuen Räumen“ ein Stelldichein.
Mitte der Achtziger wurde Springfelds Vorhaben, das Niemandsland zwischen Springer-Koloß, Mauer und Bundesdruckerei mit einem Stück Kultur zu beleben, allseits begrüßt. Förderung finanzieller Art oder entsprechende Unterstützung von offizieller Seite gab es allerdings nicht. Die Galerie lebte von den Verkäufen, dem Enthusiasmus und der Risikofreude der Galeristin. „Wenn ich mit meinem in den Jahren gewachsenen Wissen 1985 noch einmal anfangen würde, ich würd's genauso machen. Mit allen Höhen und Tiefen.“
Seit dem Mauerfall hat sich der städtebauliche und baupolitische Stellenwert der zur Stadtmitte gewordenen Gegend grundlegend geändert. Heute zählt das Stück Lindenstraße zu den begehrten Filetstücken jenseits der Leipziger Straße (neuerdings ist sogar von einer Umbenennung in Axel-Cäsar- Springer-Straße die Rede). Für die KünstlerInnen des Hauses, dessen Eigentümerin das Land Berlin ist, bedeutet dies eine beträchtliche Unsicherheit. Denn wiewohl sie Teile des Gebäudes instand setzten, sind sie nur geduldete BewohnerInnen.
Die derzeitige Ausstellung ist für den Zeitraum eines ganzen Jahres konzipiert. Sieben Künstlerinnen aus den Sparten Malerei, Performance, Bildhauerei und Objektkunst stellen im Rhythmus von sechs Wochen ihre Werke aus. Zum abschließenden „Epilog“ im Juli 1996 ist ein gemeinsames Projekt der Künstlerinnen geplant.
Wie bei „Leiblicher Logos“ und „Goldrausch“ werden hier ausschließlich Werke weiblicher Künstler ausgestellt: „Zu meiner Überraschung war ich nicht die einzige, die sich dieses Jahr zu einer größeren Frauenausstellung entschlossen hat.“ Bildende Künstlerinnen wie Silvia Breitwieser und Sigrun Paulsen stehen neben multimedialen Künstlerinnen wie Elke Judith Wagner, Erika Lücke und Maike Schröder. Ebenso pragmatisch wie die Beschränkung auf weibliche Künstler war die dem Galerie-Profil entsprechende spartenübergreifende Auswahl.
Den Anfang macht Gisela Weimann mit einer Video-Installation, Ausschnitten fiktiver Raumgestaltungen aus U-Bahnhöfen, einer Assemblage aus Trabant-Rückspiegeln, Modell „Luxus“, und Fotocollagen in der Tradition von Hannah Höch. Motiv der Collagen sind Bodybuilder-Posen, die jeweils keck mit einem Portrait der Künstlerin und einem flotten Spruch versehen sind: „Your present plans will be successful“. Ein Motto, das auch auf die „Neuen Räume“ passen dürfte und ihrer Galeristin für die Zukunft zu wünschen ist. Gudrun Holz
Bis 27.7., Montag bis Freitag 11-19 Uhr, Performance von Gisela Weimann am 27.7., Galerie Neue Räume, Lindenstraße 39, Kreuzberg
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