Zwischen den Rillen
: Hohnwelt der Integration

■ Jugend geht in Juhnke über: Max Müllers erstes Solo-Album

Die Kammer, in der diese Platte aufgenommen wurde, muß klein gewesen sein. Mit heiterer Gleichmut und intensiver Verzweiflung hat Mutter-Sänger Max Müller sein Solo-Debüt aufgenommen. Liebesballaden („Wo lebst du heut“) vermischen sich mit wackligen Super-8-Film- Soundtracks an der Kinderorgel, auf schlüpfrige Moritaten zur Weihnachtszeit folgen sozialkritische Techno-Songs bei 180 beats per minute. Dazwischen werden Anrufbeantworter eingeblendet oder wird Metal gerockt; und es wird in alten Probekeller-Demotapes gewühlt.

Oft geraten die Gegensätze von aggressivem Spleen und depressivem Nicht-Sinn übereinander ins Stolpern. Am Ende dann Ratlosigkeit, Stille und die Gewißheit: „Sie ist aus Holland, und nicht aus Deutschland / und sie spricht holländisch und nicht deutsch.“ Das singt sich wie zum Oktoberfest und ist doch gleichsam Korrektiv einer Jugendkultur, in der sich links und linker über den Nationalismusvorwurf innerhalb deutscher Popmusik entzweien. Die Sprache, in der hier gesungen wird, ist hermetisch, allein das Notwendigste wird von außen aufgeschnappt: Subjekt, Prädikat, und selten auch ein Objekt. Bald kafkaesk duckt sich alles unter dem Diskurs hinweg, manchmal scheint der Text sich in seinem Kriechgang selbst nicht ausstehen zu können. Ein Lied heißt „Was nicht sein kann“, zu hören gibt es nur Gegrummel.

Müller weiß, wo er steht: Die Platte ist den engsten Freunden gewidmet, allesamt BegleitmusikerInnen der letzten Jahre. Nicht Gruppenzwang, Liebe zur Wahlfamilie hat diese Platte reifen lassen. Auf der CD-Hülle blickt der Sänger mäusleinäugig und verlebt unter schweren Lidern hervor, die Rückseite zeigt eine Musterwohnstube für ältere Kleinbürger, mit Stofftapete, Sideboard, Spitzentischdecke und Likörflasche im Bastkorb. Den Rest muß man dazuspinnen: Hat der Sozialstaat den Künstler- Trotzkopf aufgefangen, abgefedert und – einmal seiner bohemistischen Identität beraubt – wie zum Hohn ins Schlaraffenland der Gescheiterten integriert?

So west man vor sich hin. Zuletzt sind auch Rockrebellen wie Müller nur Nachbarn, die sich vor der Hauswartsfrau rechtfertigen müssen, wenn sie zu spät abends noch Müll zur Tonne gebracht oder ihr Fahrrad im Treppenhaus abgestellt haben. Selbst die Tätowierungen, die man sich einst unter Schmerzen zugefügt hat, sind verblaßt. Für immer Punk? Das war vor Jahren. Zu solcherlei alltäglich erfahrener Auslöschung im Banalen fügt sich dann auch der Sinnspruch, den Max Müller seiner CD vorangestellt hat: „Der Zorn auf jede im Leben verpaßte Chance ist der Zorn über die eigene Sterblichkeit.“

Offenbar ist der Punkt gekommen, an dem Jugend in Juhnke übergeht. Langsam jedenfalls liegen auch die letzten Berliner Underground-Mythen von Krankheit, Größenwahn und Heldentum darnieder. Das ist im Grunde verständlich für eine Szene, deren Werdegang sich nach dem Kultstatus der achtziger Jahre nur zwischen Stahlgewitter und Vorabendserie entscheiden mochte. Während Bargeld als Leder-Jünger in der Castorf/Müller/Schwab-Maschine mitmarschiert, kommt der schläfrige Max mehr nach Rio Reiser und singt seine Küchenlieder, wie der König von Deutschland, für jeden.

Doch noch in der großen Umarmung menschlicher Vermurkstheit, inklusive der unschuldig totgefahrenen Tiere und den Kindern im Park, die durch Müllers Lieder geistern, ist man vor Untiefen nicht ganz gefeit. Wo er davon singt, daß sich niemand ändert und „wir immer dieselbe Person“ bleiben, braucht er bloß die Stimme auf Kindchentrillerhöhe hinaufzupitchen, und schon liegen Welten zwischen dem Ich, das singt, und dem, das besungen wird. Trotzdem bleibt Müller Phlegmatiker in eigener Sache und insofern auch nicht widerspruchsfrei. Auf „Mach dir keine Sorgen“ gluckst dann doch plötzlich ein „Hilfe“ auf und verebbt. Vielleicht läuft die Platte an solchen Stellen Gefahr, theatralisch in ein Pathos der Lauterkeit abzudriften – auf den Spuren von Franz Biberkopf. Zum Glück wird das Elend dann wenigstens Fifties-schlagerhaft und schwiemelnd in eine Nick-Knatterton-Nummer gewendet. Oder eben in Techno, und dafür läßt Müller bloß einen einzigen Satz fahren: „Ihr benehmt euch alle wie Schweine.“ Also doch eine idealistische Platte. Harald Fricke

Max Müller: dito (Die eigene Gesellschaft)