: Schornsteine müssen rauchen
■ Mit „Volldampf“ klinkt sich Bremerhavens Design Labor aus der Windjammerromantik der Sail'95 aus aus''95Schiffsschornsteins erzählt
Ein Schiffsschornstein ist Symbol für Geschwindigkeit, Kraft und Macht. Bis heute. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts hatten sich plötzlich die ersten schwarzen Schlote der Dampfmaschinen im Bauch des Schiffs zwischen die weißen Segel gemogelt. Verspannt wie Masten: mit Stagen und Wanten. Das beginnende industrielle Zeitalter mit seinen rauchenden Kaminen hatte eben auch vor den Seglern nicht haltgemacht. Gigantische Ungetüme, bis zu zehn Stockwerken hoch, folgten. Das zitiert der berühmte Architekt Oswald Ungers, der Mitte der 80er das Alfred Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven geschmücken hat - mit drei mächtigen Schornsteinen.
„Voll Dampf Schiffsschornsteine - Maritimes Design“ nennt das Bremerhavener Design Labor die Ausstellung im alten Stadtbad neben dem Columbus-Center. Bis zum 3. September wird in der maritimen Designschau die rund 200jährige Geschichte des Schiffsschornsteinserzählt. BesucherInnen des internationalen Windjammertreffens Sail'95 wollen die Labor-Leute mit ihrem Kontrastprogramm aus der Seefahrtromantik reißen: „Wo die Sail aufhört, fangen wir an“, bemerkt Dieter Kretschmann optimistisch.
„Naval Peepshow“ nennt der Chef des Bremer Design Zentrums Klaus Berthold das Konzept, das auf den Betrachter zukommt. Exakt 75mal heißt es in die Knie gehen, ein Auge zukneifen und durch ein Bullauge nach einem Schiffsmodell lugen – eine Tortur und ein Beispiel dafür, wie die ausstellenden Designer an ihre Grenzen stoßen. Doch wer sich fleißig chronologisch vorwärtsarbeitet, wird Schiffsschornsteine künftig mit geschultem Blick mustern.
Detailbesessen wird gezeigt, wie sich der Schornstein in zwei Jahrhunderten verändert hat. Zu sehen sind Schnelldampfer vom Ende des 19. Jahrhunderts, deren schnittig geneigte Schornsteine bereits Zeichen für Geschwindigkeit waren. Ozeanriesen, deren zehngeschossige Schlote als Statussymbol dienten, Attrappen inklusive. Bis zu aerodynamischen und stromlinienförmigen Schiffen der 20er und 30er Jahre mit flachen, ovalen Schloten und Schnellfähren, deren Schornsteine wie die chromblitzenden Auspuffrohre von Rennwagen aussehen.
Heute werden die gemütlichen runden Schornsteine immer häufiger duch kantige, geschweißte Blechkonstruktionen verdrängt – aus Kostengründen. Trotzdem: “Schiffe oben ohne“, wie sie die Labor-Mitglieder nennen, gibt es kaum.
Natürlich will das Design Labor mit dieser thematisch ungewöhnlich klar begrenzten Schau, die rund 150.000 DM gekostet hat, Profil gewinnen und als Institution bekannt werden. Nach den ersten fünf Jahren mit vagen Erfolgen wie der hier geplanten Zukunftsfähre „Weserbus“ war das in der Bundesrepublik einmalige Modellprojekt zur Designförderung, das von der Bremer Wirtschaftsbehörde und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung finanziert wird, im Frühjahr rundum erneuert worden. Ein neuer Vorstand mit De- sign-Größen wie dem Kommunikationsexperten Florian Fischer und seinem Kollegen Roger Tallon, der den französischen Hochgeschwindigkeitszug TGV gestaltete, sowie acht Stipendiaten mit frischem Designer-Diplom in der Tasche wollen jetzt Dampf machen.
Zehn Wochen lang haben die JungdesignerInnen zusammen mit Industriedesigner Hardy Fischer die auf den ersten Blick dröge Materie Schiffsschornstein fantasievoll verpackt. Neben einer Miniaturflotte aus 300 Schiffsmodellen eines Hamburger Sammlers stoßen die Hallenbadflaneure trockenen Fußes auf Aquarien, in denen abgesoffene Plastikfische dümpeln. Im gefliesten Nichtschwimmerbecken können BesucherInnen in Liegestühlen unter Lichterketten und Rettungsringen vom Sonnendeck eines Luxusliners träumen oder selbst Schornsteine entwerfen.
Ein gelungener Weg der Labor-Leute, sich vom Vitrinen-Konzept traditioneller Ausstellungen zu lösen und das Thema Schornstein in einen sozialen Kontext zu stellen. In ehemaligen Bademeisterkabinen ruht auf rotem Samt maritimer Nippes: der Schornstein eines Hapag-Lloyd-Schiffs als handlicher Ascher und ein silbern glänzender Miniaturkreuzer als Salz- und Pfefferstreuer.
Daß der Schiffsschornstein keinesfalls nur schillerndes Objekt für Designer und Litfaßsäule für das Logo der Reeder ist, zeigen Modelle für wissenschaftliche Rauchgasversuche. Wochenlang werden die Rohre im Windkanal getestet, damit auch bei Wind und Wetter keine Abgase auf Deck schlagen. Oder noch schlimmer: in die Ansaugschlitze der Klimaanlage eindringen. Trotz Tests seien Designflops nicht ausgeblieben, sagt Ausstellungsleiter Hardy Fischer: „Als die 'Bremen' in den 30er Jahren zu flache Schornsteine erhielt, haben ausgerechnet die Erste-Klasse-Kunden schwarze Nasen und schrecklichen Husten bekommen.“
Sabine Komm
Design Labor, Karlsburg 9. Während der Sail tägl. 10 - 21 Uhr. Danach: Di. - So. 10 - 17 Uhr.
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