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Keine Wende unter Kohl

Kunst unter verschiedener Partei-Couleur: In Bonn präsentiert die Bundesrepublik ihre in 25 Jahren angehäufte Sammlung moderner Kunst  ■ Von Stefan Koldehoff

Eigentlich, sagt eine Mitarbeiterin des Museums verschämt, habe man vor allem in der Gründungsphase der „Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland“ immer versucht, die grauen Herren des Bundesinnenministeriums fernzuhalten. Schließlich wollte man sich keinerlei politischer Einflußnahme aussetzen, die Kunst sollte unabhängig bleiben. Nun sind sie doch gekommen, haben ihre Kunst gleich mitgebracht und ihre gesammelten Banalitäten dazu. „Die Bundesrepublik versteht sich als Kulturstaat“, verkündet der Vertreter des Innnenministers stolz in roter Krawatte. „Und zeitgenössische Kunst ist ein wesentliches Element in der Repräsentation des demokratischen Staates.“

Die Bundesrepublik Deutschland repräsentieren in Bonn noch bis zum 8. Oktober 140 Werke von ebenso vielen Künstlern. Sie sind Bestandteil jener rund 900 Werke zeitgenössischer Kunst, die im Auftrag Deutschlands ab 1970 vom Bundesinnenministerium (BMI) angekauft wurden und seither bis auf einige wenige Depotstücke in Behördenzimmern und Botschaften stehen und hängen. In Bonn ist ist eine Auswahl dieser Werke, deren bebilderte Gesamtkartei ein schnöder Aktenschrank im Referat KI3 des BMI enthält, nun aus Anlaß des 25jährigen Sammlungsjubiläums zu sehen.

Der 1990 gestorbene Maler und Graphiker Georg Meistermann hatte vor 25 Jahren jene Anregung zum Aufbau einer Sammlung zeitgenössischer deutscher Kunst gegeben, die Bundeskanzler Willy Brandt und Innenminister Hans- Dietrich Genscher umsetzten. Seither weisen die Bundeshaushalte die stolze Summe von insgesamt 11.725.000 Mark an Ankaufsgeldern aus.

Anders als in Frankreich und Großbritannien etwa, hat das Kunstsammeln von Staats wegen in Deutschland keine Tradition. Abgesehen vom politischen Sonderfall Berlin gibt es keine staatlichen Museen wie den Louvre und die National Gallery. Zu Beginn der Sammeltätigkeit des Bundes hatten die Initiatoren zwar daran gedacht, ein eigenes „Haus für die deutsche Kunst der Gegenwart“ einzurichten. Daß bei Gründung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn vom Vorhaben einer eigenen ständigen Sammlung wieder Abstand genommen wurde, erweist sich – obwohl inzwischen neben anderen der ehemalige Kieler Museumsdirektor Jens Christian Jensen die Forderung nach einem Bundesmuseum diesmal für Berlin wieder erhebt – nach dem Besuch der Bonner Ausstellung als weiser Entschluß. Nur die allerwenigsten der dort gezeigten Werke können als museumswürdig gelten, Schumachers „Candido“ von 1967 etwa, Gerhard Richters „Sekretärin“ (1964) oder die als eine der letzten Arbeiten angekaufte „Erika“, eine Schreibmaschinen- Installation von Rebecca Horn von 1992. Wesentliche Künstler wie Anselm Kiefer oder die Neuen Wilden der 80er Jahre fehlen ganz; andere, wie Beuys, Penck, Baselitz oder Immendorf, sind nur mit ohnehin überrepräsentierten und aus konservatorischen Gründen schlecht auszustellenden zweitrangigen Papierarbeiten vertreten. Die im Prinzip sinnvoll und hochkarätig besetzte Ankaufskommission hat hier wesentliche Entwicklungen verschlafen oder erst erkannt, als der Bund sich die entsprechenden Werke schon nicht mehr leisten konnte. Für 1994 betrug der Ankaufsetat 650.000 Mark, für dieses und das kommende Jahre stehen 500.000 und für 1997 dann, in Hoffnung auf finanziell bessere Zeiten, wieder 850.000 Mark zur Verfügung.

Berufen wird die Ankaufskommission, der jeweils vier Künstler, vier Museumsleiter und ein Kritiker für fünf Jahre angehören, vom Bundesinnenministerium. Zur Jury zählten bislang Doris Schmidt von der Süddeutschen Zeitung ebenso wie Eduard Beaucamp (FAZ), unter den beteiligten Künstlern waren etwa Alf Lechner, Fred Thieler oder Emil Schumacher. Daß das viermal im Jahr tagende Gremium in seinen Entscheidungen frei ist, belegt die Bonner Ausstellung: Politische Einflußnahme wird ebensowenig deutlich wie eine denkbare Wende in der Ankaufspolitik mit Beginn der Ära Kohl. Ein Schwergewicht auf der gegenständlichen Kunst gab es schon vorher, die Auseinandersetzung mit politischen Themen in der Tradition der Expressionisten war ohnehin nie die Sache der deutschen Nachkriegskunst.

Was seit 1970 zusammengetragen wurde, ist trotzdem weniger ein „Dokument der Entwicklung der bildenden Kunst in Deutschland seit 1945“, wie Kurator Kay Heymer durch sein Ausstellungskonzept und die Hängung der von ihm ausgewählten 140 Werke gern vermitteln würde. Tatsächlich ist die Sammlung zeitgenössischer Kunst des Bundes ein für Amtsstuben, Repräsentationszwecke und als „Kunst am Bau“ unter Qualitätsgesichtspunkten zusammengetragenes und deshalb weitgehend strukturloses Konvolut, das vor allem vom Zeitgeist und der subjektiven Präferenz jener 48 obersten Kunstkäufer zeugt, die seit 1970 in die Kommission berufen wurden. Und von gegenseitigen Zuwendungen: Von allen 21 Künstlern, die in den vergangenen 25 Jahren Kunst für den Bund aussuchen durften, wurden auch Werke für die Sammlung gekauft. Seit 1990 wendet man sich schwerpunktmäßig jenen Künstlern aus den neuen Bundesländern zu, die zu DDR- Zeiten nicht staatlich gefördert oder privilegiert waren. Das widerspricht an der einen oder anderen Stelle zwar dem selbst gesetzten Qualitätskriterium, fällt bislang aber ohnehin kaum auf.

Heymer hat die so mehr oder minder willkürliche Sammlung folgerichtig unter Überschriften zu gliedern versucht, die die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner erkennen lassen. Im ersten der acht Ausstellungsräume, „Wachstum regt sich“, wirft er mit Klassikern wie Baumeister und Mataré, Ackermann, Nay und Hartung zunächst ein Schlaglicht auf die Kunst der 50er mit der Debatte um die Figur. Götz, Mack und die Künstler des Informel vertreten dann die Forderung nach der „Abstraktion als Weltsprache“. „Moderne Zeiten“ faßt zu plakativ die über-subjektive und grell optimistische Kunst der späten 60er und frühen 70er zusammen, bevor der Raum „Weiterarbeiten“ mit Gerz und Trockel, Kiecol und Huber die unmittelbar gegenwärtigen Tendenzen zu subsumieren versucht. Die verbleibenden vier Räume sind konstanten künstlerischen Grundhaltungen gewidmet: Da finden sich unter der Neo-Realismus-Headline „Schilderungen“ so unterschiedliche Künstlertypen wie Grützke und Polke, Paeffgen und Richter wieder, die bestenfalls die Abkehr von der individuellen Künstlerhandschrift eint. Nicht weniger konstruiert und beliebig wirken die Themenräume „Farbe:Form“, „Verfremdungen“ und „Konzepte“.

Woher dabei der politische Wind weht, verrät der oberste deutsche Kunstsammler im Grußwort des nur scheinbar bescheiden „Kunst in Deutschland“ betitelten Katalogs zur Ausstellung. „In einer Zeit, die ... eine neue Verantwortung und ein waches Wertebewußtsein fordert“, schreibt Manfred Kanther, ohne auch nur den Hauch einer inhaltlichen Begründung für diese unzulässige Verquickung zu liefern, „kommt der Kultur eine tragende Rolle zu.“ Einmal mehr soll die Kunst in der deutschen Geschichte dazu dienen, mit ästhetischen Mitteln das neue Selbstbewußtsein und die gestiegenen internationalen Ansprüche eines größer gewordenen Staates nach außen zu tragen. Dazu paßt nicht nur der Plan, die Sammlung des Bundes auf internationale Tournee zu schicken. Interessant ist vor allem, daß die Idee zur Ausstellung nicht, wie in den Kunsthäusern der Republik allgemein üblich, im Museum selbst entstand. Das Innenministerium regte das Projekt an – als Geldgeber der Kunst- und Ausstellungshalle natürlich ohne jeden Druck ...

„Kunst in Deutschland – Werke zeitgenössischer Künstler aus der Sammlung des Bundes.“ Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn. Bis 8. Oktober 1995. Katalog: 166 Seiten mit zahlreichen Farb- und S/W- Abb. und vollständigem Sammlungsverzeichnis, 38 DM.

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