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Ein Club kleidet die Nackten

Der FCB liebt euch: Wie die Sozialgemeinschaft Bayern München unter eigener Flagge und der des Sponsors den deutschen Osten erobern will  ■ Aus Meisdorf Peter Unfried

Ruh', herrliche Ruh' ist eingekehrt, zurückgekehrt an jenen Ort, wo die Selke, diese „schöne, liebenswürdige Dame“ (Heine), von den Gipfeln des Harzes herabgeflossen, in die Ebene der Magdeburger Börde mündet. Doch wenn die braven Meisdorfer sich heute aufmachen, dem Samstag mit der Instandsetzung ihres Fleckens Sinn zu geben, ist ihnen da nicht, als hinge noch die rot-weiße Flagge vom Schloßfirst, als trüge die aufgewühlte Luft vom Parkhotel im Schloß herüber noch immer den heißen, innigen „Otto, Otto“Choral?

Ja gut, die Bayern sind wieder weg, doch die Zeit überdauern wird, so sagt Walter Hansch (45), der 1. Vorsitzende des SV Germania Meisdorf 1928, „eine wunderbare Erfahrung“. Das sagen alle, die Meisdorfer und jene Tausende, die aus Sachsen-Anhalt und dem deutschen Osten angereist gekommen waren, um den dort im Trainingslager weilenden Bayern vergangene Woche frühmorgens und am Abend beim Rennen und Dehnen zuzusehen. Aber was heißt angereist? Gepilgert ist man.

Worin genau das Wunderbare besteht, vermag keiner recht in Worte fassen. Weshalb eine mögliche Antwort lautet: Genau darin. Es ist die Erfahrung der Größe, die Sehnsucht nach dem Erlebnis, dem einfachen und daher überlebensgroßen. Eine folkloristische Variante des verhüllten Reichstags. „Hier spricht“, so hatte zum Abschied inmitten des Meisdorfer Sportplatzes einer gesprochen, auf dessen Worte alle warteten: „euer Trainer Otto Rehhagel.“ Und in der Folge davon „die Menschen zufriedenzustellen“. Jene „in Halle“, wo man gestern abend noch testspielte, wie zuvor die 17.000 in Magdeburg, die 9.000 von Weimar.

„Ich weiß“, sagte jener ferne Mann, den die Menge stets vertraut nur „Otto“ ruft, „daß es nicht das letzte Mal gewesen ist, daß wir zu ihnen gekommen sind.“ Davon darf ausgegangen werden. Zwar hat, „was wir hier erlebt haben“, wie der Manager Uli Hoeneß (43) sagt, „alle Vorstellungen gesprengt, die wir bisher von einem Trainingslager hatten“, aber seine eigentlich selbstredend doch nicht. Wenn man innerhalb der Hotelanlage die paar Schritte aus dem Schatten des Schloßparks rüber zum Restaurant „Chateau Neuf“ geht, man kann auch den Professor Fritz Scherer finden. Der Bayern- Vize steht vor seinem Opel und sagt: „Eine Idylle is' des, eine Idylle.“ Demnächst wird er mit den Vorstandskollegen Genaueres über die Idylle erfahren. Dann nämlich, wenn der Hauptsponsor das Trainingslager, das er selbst designt hat und dessen mediale Aufbereitung er selbst „super, super vorbereitet“ (Hoeneß), gelenkt und koordiniert hat, ausgewertet haben wird. Soviel hat man den Bayern bereits gesagt: Drei Testspiele im Osten wird es auch kommenden Sommer geben.

„Sponsern“, sagt der Professor, und man hört, daß er es gewiß nicht zum ersten Mal sagt, „heißt nicht Geldgeben, sondern Partnerschaft.“ Also: „Die haben ein Gebiet, wo sie sich ausweiten wollen“, und irgendwie trifft sich das: „wir auch.“ Nun kann Opel Positivimage dieser Tage gut gebrauchen und neue Absatzmärkte sowieso. „Kein Sport bewegt so viele Leute wie Fußball“, sagt Horst P. Borghs, der Direktor Öffentlichkeitsarbeit der Rüsselsheimer, die den Club stets hauptsächlich für Imagetransfers genutzt haben. Die Zusammenarbeit dauert bereits sechs Jahre, der Vertrag läuft zunächst bis 1998 und bringt dem Verein jährlich fünf Millionen Mark plus Sachleistungen. Und der Autohersteller hat seither einen deutlichen Ausbau der Marktanteile im Freistaat registriert. Also, glaubt Uli Hoeneß, habe man in der vergangenen Woche ein „klares Konzept“ für die Zukunft beider Unternehmen getestet und für gut befunden: „Immer in den Osten.“ Dort nämlich, so weiß der als Marktwirtschaftler geborene Ulmer Metzgerssohn, „gab es auch früher viele Bayern-Fans, aber auch viele vom System infizierte Menschen“. Nun aber, nach der „Befreiung“ (Hoeneß), soll zwischen blühenden Landschaften ein einig Volk leben dürfen. Glücklich Opel fahrend und von Kopf bis Fuß mit Bayern-Produkten eingekleidet. Die von Hoeneß konzipierte Merchandising-Abteilung ist just dabei, Rekorde aufzustellen in Bereichen, wo manche Konkurrenz sich noch die verschlafenen Augen reibt, ein Jahresumsatz von zwanzig Millionen, den Hoeneß einer Zeitung entnommen hat, wird, wie er korrigieren muß, „nicht mehr Bestand haben“. Andrang am Fan-Mobil herrscht immer, und wenn der Trubel so groß gerät, daß die beiden Fachkräfte nicht mehr nachkommen mit Kassieren, dann stellt sich Hoeneß hinter die Theke. Dann tut Fritz Scherer sich mächtig „amüsieren, wenn ich den so seh: in seinem Element“. Was der nicht abstreitet. Inmitten des Schloßparks sitzt er, in der prallen Hitze, und sein rotes Gesicht ist schweißüberströmt. „Da“, sagt Hoeneß, „hören Sie am allerbesten: Was denken die Leute?“ Und wenn „einem Buben die Tränen in den Augen stehen“, weil das Trikot 119,50 Mark kostet, er aber nur fünfzig hat, dann, sagt der Manager, „geb' ich das auch schon mal für fünfzig weg“. Das ist nun, bei allem Wissen um die tatsächlich existente soziale Ader des Frühmillionärs, keine kurzfristige emotionale Schwäche, sondern das eigentliche Konzept und die ganze Wahrheit: Der FC Bayern München, das ist die Hauptvision des Uli Hoeneß, soll ihm ein gigantischer Sozialverbund werden, der, seiner „Verantwortung für andere“ gerecht werdend, den Heimatlosen Heimat wird, den Trostlosen Trost, den Suchenden den Weg zeigt und die Nackten einkleidet. Wo dereinst Otto Graf von Bismarck auf die Selke blickte und aufschrieb: „Ich habe so eine fixe Idee, die mich in allem Getriebe verfolgt“, läßt Hoeneß die Menschen seine große, globale, einende Message ahnen: Der FC Bayern liebt euch.

Und nun ist bewiesen: Die Menschen lieben den FC Bayern. Früh um zehn, so ging das vergangene Woche jeden Tag, pflegten drei- bis viertausend Menschen den Meisdorfer Platz zu säumen. Oliver Kahn wurde noch mißmutiger als gewöhnlich, weil die Leute hinter seinem Tor nicht aufhören mochten, ihn für jedes Fangen des Balles zu bejubeln. Falsch, denn das, klärt der Professor Scherer auf, sei mittlerweile „Teil des Jobs“.

Auch die mittägliche Autogrammstunde. Hunderte stehen am eisernen Tor und drücken ihre Nasen durch. Bewacht von den ehrenamtlichen Helfern des SV Germania, die vom Sponsor mit schicken Uniformen, die corporate identity stärkenden Bayern-Trainingsanzügen, austaffiert worden sind. Dafür, erzählt ihr Vorsitzender Hansch, haben die „Sportfreunde“ ihren Urlaub drangegeben. Dafür dürfen sie im Dezember nach München kommen. Und dafür lebt nun Meisdorf. Ein bisserl. „So oft“, sagt der Vorsitzende Germanias, vormals BSC Traktor, „wie Meisdorf jetzt in den Medien war, so viele Hochglanzprospekte kann keiner drucken.“ Neben dem Schloßhotel, einst FDGB-Kinderurlaubsheim, nun für über zwanzig westdeutsche Millionen zum Golf- Ressort umgewandelt, sollen auch die Kleinvermieter Übernachtungen bekommen.

Während draußen hinter dem verschlossenen und von den heimischen Sportfreunden bewachten Tor die Menschen nach Otto rufen, steht im Schatten einer Hirschstatue, wo einst womöglich Klopstock über seinen „Messias“ sinnierte, Otto Rehhagel und spricht von den Menschen. Denen vor dem Tor, denen er in Verantwortung steht, „die mich kennen und denen ich nie etwas vorgemacht habe“. Und jenen, die ihm anempfohlen wurden. „Wir reden überhaupt nicht mehr über Fußball“, fällt Manager Hoeneß manchmal auf. Deshalb hat man Rehhagel (56) geholt, den gelernten Anstreicher aus Essen, der „morgens aufwacht und – klick – über Fußball nachdenkt“ (Hoeneß). Es gibt da einen Supersatz. Sagt Hoeneß. „Der Ball muß ins Tor.“ Der ist angeblich von Rehhagel und hat Beckenbauer, Rummenigge und Hoeneß restlos überzeugt. „Wenn der Ball nämlich einmal nicht mehr ins Tor geht“, referiert der Manager, „nützt auch die hundertste Autogrammstunde nichts.“ Also Rehhagel – und die Menschen, jene Menschen, „die ihr Stars nennt“. Rehhagel nämlich redet mit der Presse, das überrascht. Doch hat er einen eigenen Weg gefunden. Er spricht von einer Metaebene herab. „Wir haben einen Star, einen Star, noch einen Überstar.“ Beim Wort „Star“ redet er die Anführungszeichen mit. „Der Star, der von euch diesen Stellenwert bekommen hat, muß das mir und der Mannschaft zeigen.“ Nachts hat er sich in diesen heißen Tagen mit einem Goethe-Vers abgekühlt, nun referiert er Sartre. „Die Gruppe“, sagt er, „muß funktionieren.“ Und: „Die Nicht-Stars haben auch eine Seele.“ Die Otto sucht. Und findet! Noch einmal, von nun an jeden Tag: „Wir müssen als Gruppe funktionieren.“ Das Prinzip Bremen! Das Prinzip Rehhagel. Der Star ist die Mannschaft, sagt er. Was meint: Der Star ist Rehhagel.

Um viertel vor neun abends, es ist kaum kühler, hängen noch immer Menschen an dem eisernen Tor und filmen. Die Golfspieler Ziege und Strunz beim Abschlagüben auf der Driving Range. So nah sind sie. Und schon wieder so fern. „Nächste Woche“, das hat Rehhagel ihnen auf den Weg gegeben, „könnt ihr uns im Fernsehen sehen. Und der Verwandtschaft sagen: ,Ich weiß Bescheid, ich habe alles mit Otto besprochen.‘“

Drunten am Sportplatz hat der Vorsitzende Hansch davon geredet, daß er nun „mit eigenen Augen gesehen“ habe. Bis jetzt hat der Mann, der dem Verein seit zwanzig Jahren vorsteht, kein Team der Bundesliga präferiert. Jetzt sagt er: „Ich wünsche den Bayern die Meisterschaft.“

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