piwik no script img

„For crew only“ – heute

■ Bremerhavener Sail-Gäste am Freitag enttäuscht – Großsegler nur für VIP-Gäste

Seit zwei Stunden steht der Marine-Gefreite Jorg Biewers vor der Gangway des Segelschulschiffs „Gorch Fock“ und schiebt Wache. Der Schweiß läuft ihm in dünnen Rinnsalen die Schläfe hinunter in seinen nicht mehr ganz blütenweißen Kragen. Selbst bei 29 Grad muß er das langärmlige Hemd, eine schwarze lange Hose und die Mütze tragen – Uniform nach Vorschrift. „Mann, ist das eine Hitze“, flucht der 22jährige. „Kann mal jemand ein zweites Schild malen“, fragt er seine Kameraden an Bord der „Gorch Fock“ und deutet auf die grüne Schultafel, die an der Reling des Schiffes hängt. „Schiffsbesichtigungen“ steht dort in großen Buchstaben mit weißer Kreide geschrieben. „Samstag: 10 – 13 Uhr und 14 – 18 Uhr. Montag/Dienstag 14 – 18 Uhr“.

Ein kleiner Junge kommt an die Gangway. „Kann ich aufs Schiff“, fragt er. „Nein, tut mir leid. Erst morgen“, antwortet Biewert freundlich. Ein Satz, den er heute „bestimmt schon über hundertmal“ gesagt hat. „Die Gorch Fock hat immer feste Besuchszeiten. Ich kann nichts dafür, ich habe meine Befehle“, entschuldigt sich der Marine-Soldat achselzuckend.

270 Segelschiffe aus 18 Nationen werden zur „Sail Bremerhaven 95“ erwartet. Doch am Freitag nachmittag haben erst drei Großsegler und etwa ein Duzend kleinere Schiffe im Neuen Hafen festgemacht. Der Andrang vor der „Gorch Fock“, der „Statsraad Lehmkul“, dem ältesten Rahsegler Norwegens, und der „Christan Radich“, Star des Filmklassikers „Windjammer“, ist deshalb um so größer. 130.000 Menschen werden an diesem Tag gezählt. Für die sechs Tage des „größten Windjammer-Treffens an der Nordsee“ rechnen die Veranstalter mit 1,5 Millionen Besuchern.

„Ich muß unbedingt auf dieses Schiff“, bittet eine ältere Frau den weiblichen Wachposten vor der „Christian Radich“. „Sorry“, antwortet die junge Frau auf englisch. „Vielleicht morgen. Während der Sail sind wir an die Lufthansa verchartert. Wann das Schiff geöffnet wird, hängt von denen ab.“ „Das kenne ich, mit diesen kurzen Öffnungszeiten“, schimpft die Frau los. „In New York wollte ich auch schon auf das Schiff. 20 Leute waren noch vor mir. Dann haben sie dichtgemacht.“

Zusammen mit ihrer Tochter ist sie „extra zur Sail aus Stuttgard nach Bremerhaven gekommen“. „Ich liebe Schiffe, ich liebe die See. Das hat was von großer weiter Welt und Fernweh“, schwärmt sie. Sechs Tage wollen Mutter und Tochter bleiben. Für 100 Mark pro Nacht haben sie sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung im Stadtzentrum gemietet. Der Mieter, ein Student, der das Zubrot gut gebrauchen kann, ist unterdessen bei seiner Freundin untergeschlüpft. „Wir haben schon vor einem halben Jahr versucht, ein Hotelzimmer zu kriegen. Alles ausgebucht. Da waren wir froh, daß wir die Wohnung gekriegt haben.“

Der Posten läßt einen Arbeiter vorbei, der auf seiner Schulter eine Kiste die Gangway hinauf schleppt. Die Vorbereitungen für die Party, zu der die Lufthansa „Travel Manager“ aus ganz Deutschland eingeladen hat, laufen auf Hochtouren. Für seine VIP-Gäste läßt sich die Fluggesellschaft allerhand einfallen: strahlend-weiße Leinentücher, gelbe Rosen und blaue Kornblumen, weiße Champagner-Kübel, silberne Schalen fürs Büffet.

Kapitän Gunnar Utgaard lockt das nicht. „Ich werde heute abend das Schiff verlassen“, kündigt er an. „Mich reizt die Feier wenig, und Shanties kann nicht mehr hören.“ Wann die „Christian Radich“ fürs Publikum geöffnet wird, weiß er nicht. „Von mir aus könnten die Leute das Schiff den ganzen Tag besichtigen, aber Lufthansa hat jetzt das Sagen. Ich durfte meine Kabine behalten. Das ist alles.“ Jeden Abend sei eine Fete für geladene Gäste geplant, erklärt Marc Stürzebecher von der Marketing-Abteilung. „Aber ab morgen wird das Schiff nachmittags für das Publikum geöffnet“, verspricht er.

Auch an der Gangway zur „Statsraad Lehmkul“ versperren eine eiserne Kette und ein Schild mit der Aufschrift „Crew only“ den Besuchern den Weg aufs Schiff. Am Fockmast weht das Banner der Kreissparkasse, die für den Abend 260 bis 300 Gäste erwartet. „Darunter den Oberkreisdirektor, die Bürgermeister, Kreistagsabgeordnete und Stadtverordnete“, verrät die Vorstandssekretärin.

„Die Stiftung, der das Schiff gehört, könnte das Schiff sonst gar nicht mehr unter Segeln halten, wenn sie nicht verchartern würde“, erklärt Henning Goes, Geschäftsführer der Tourismus-Förderungsgesellschaft Bremerhaven. Mit zerknirschter Miene macht er gegen 18 Uhr einen Rundgang über den Festplatz. Zufrieden? „Geht so“, knurrt er und läßt seinen Blick über das immer noch recht leere Hafenbecken schweifen. 82 Schiffe, die im Rahmen der Regatta „Cutty Sark Tall Ship Races“ von Edinburgh nach Bremerhaven aufgebrochen sind, hängen in der Deutschen Bucht fest. Flaute. Die anderen Segelschiffe werden bis Sonntag erwartet. „Könnten wirklich mehr Schiffe sein“, sagt Goes und verschwindet wieder in Richtung Sail-Organisations-Center.

„Wie auf einer Kirmes“

Das findet auch Werner Lau aus Marl im Ruhrgebiet. Der Schiffsnarr ist schon zum dritten Mal in Bremerhaven. „Ich war 1990 auf dem Windjammer-Treffen, 1986 auf der Sail war ich auch. Aber dieses Jahr gefällt es mir nicht so gut. Es sind mir viel zuviele Buden. Das ist ja mehr wie auf einer Kirmes hier“, bemängelt er.

Rund 380 Schausteller tummeln sich mit ihren Buden auf der etwa drei Kilometer langen Hafenmeile. Der Pizza-Bäcker steht neben dem Stand mit den Fischbrötchen. Ein paar Meter weiter riecht es nach Bratfett, Pommes und Giros. Auf der Sail „gibt es nichts, was es nicht gibt“, lobt Heinz Hammermann. „Wo man nur hinsieht gibt es zu essen und trinken“. Und nicht nur das: Socken, Uhren, Schmuck, Hüte, Geschirr, Ledertaschen, Portemonaies, Bonbons, Bücher, Holzspielzeug, Plastikspielzeug, Töpfe, Pfannen. Wer will, kann sich einen ganzen Hausstand zusammenkaufen. Darüber hinaus werden über 330 Veranstaltungen angeboten, vom Flug mit dem Heißluftballon bis zur Männerversteigerung. David Alonso Gil aus Madrid, der bei seinem Freund Hammermann zu Besuch ist, schwärmt: „Es ist einfach fantastisch. Diese Schiffe. Und das Volk hier ist so lustig und nett“. Das wird den Oberbürgermeister Karl Willms freuen, denn er hat die Bremerhavener in seiner Eröffnungsrede am Morgen ausdrücklich aufgefordert, zu beweisen, daß „wir ein aufgeschlossener Menschenschlag sind.“ „Seien Sie alle freundliche, hilfsbereite und optimistische Gastgeber. Wir können dann beweisen, wie interessant, vielseitig und leistungsfähig Bremerhaven ist“, mahnte der OB.

Ein Aufruf, der Früchte trägt: „Die Stadt ist schön, die Sail ist klasse“, freut sich Arnt Stroscher aus München. Ihn reizt vor allem die „maritime Atmosphäre“. „Mir ist das alles zu viel“, klagt hingegen Annette Hausschild aus Kassel. „Mehr Schiffe und weniger Buden wären mir lieber“.

Es kühl und windig geworden. Dunkle Wolken ziehen am Himmel auf. „Mama, da kommen sie. Die Schiffe kommen“, schreit ein kleiner Junge und hüpft auf und ab. Drei Yachten fahren hintereinander unter der offenen Brücke zum Alten Hafen durch. Wie Könige werden sie begrüßt. Hunderte von Schaulustigen strömen an die Kaje, um den Seglern zuzuwinken. Plötzlich donnert es. Ein Blitz durchzuckt den nachtblauen Himmel. Sekunden später gießt es in Strömen. „Komm schnell“, ruft die Mutter des Jungen und nimmt ihren Sohn an die Hand. „Neiiinnn. Ich will die Schiffe sehen“, schreit der kleine Kerl, reißt sich los und setzt sich auf den naßen Rasen. „Das kannst Du morgen noch. Dann sind auch die anderen Schiffe da.“ „Ganz bestimmt?“ fragt der Kleine zurück. „Ja, ganz bestimmt.“

Kerstin Schneider

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen