Nationalistischer Boykott?

■ betr.: „Atomtests – Was tun?“, taz vom 11. 7. 95

[...] Solange Deutschland der zweitgrößte Waffenexporteur der Welt ist und nicht einmal seine perfidesten Mordinstrumente aus dem Angebot nehmen will, steht uns dieser Moralismus nicht zu. Auch die deutsche Außenpolitik kümmert sich herzlich wenig um die Rechte kleiner Völker in weit entfernten Ländern. Eine vergleichbare Tatkraft sucht man jedoch vergebens. Was um so erstaunlicher ist, wo doch die Auswirkungen dieser Exporte ungleich verheerender sind. Also, wie wäre es, statt dessen deutsche Produkte so lange zu boykottieren, bis der Bundestag einen Waffenexportstopp beschließt? Aber das tut weh und gefährdet auch noch die eigenen Arbeitsplätze. Außerdem müßten wir uns dann eingestehen, daß wir uns unseren Australientrip auch deswegen leisten können.

Als besonders schlimm empfinde ich den Nationalismus, der diesen Boykottaktionen innewohnt. Es ist schon auffällig, daß immer fremde Nationen von ihnen betroffen sind: Norwegen wegen der Wale, Japan wegen des Regenwaldes, England wegen Brent Spar, Frankreich wegen Atomtests. Weil der Gegner so leicht auszumachen ist, einen Namen hat und überdies immer der andere ist, funktionieren diese Boykotte so gut. Wir Deutsche stehen dabei ganz automatisch auf der moralisch sicheren Seite. Spätestens wenn sich Politiker genötigt sehen, in den Chor der Aufrichtigen einzustimmen, wird es nationalistisch. Im Namen des Umweltschutzes (oder anderes) werden Ressentiments geschürt, selbst wenn dies nicht beabsichtigt ist. Die deutschen Verstrickungen in ökologische und militärische Untaten geraten regelmäßig aus dem Blickfeld. [...]

Die taz sollte sich fragen, welche Rolle die Medien bei diesen Aktionen spielen. Ohne sie kein erfolgreicher Boykott. In wessen Interesse handeln sie? Auch im Falle des Frankreich-Boykotts macht sich die taz zum Sprachrohr der Boykott-Organisatoren – unter dem Deckmantel der Information und Diskussion. Das ist nicht Eure Aufgabe! Wilfried Schwetz, Hannover

Ich bin immer gegen Atomtests und gegen Atomwaffen überhaupt gewesen. Bisher habe ich mich hierzulande wirklich in der Minderheit gefühlt. Diesmal ist für mich klar, daß die Situation sich geändert hat. Die Wiederaufnahme der Atomtests ist in Frankreich sehr unpopulär. Chirac setzt damit leichtfertig ein gut Teil seiner eigenen politischen Zukunft aufs Spiel

[...] Wenn man die französischen Produkte boykottiert, muß man auch ab sofort die chinesischen Produkte boykottieren. Man muß auch bereit sein, die russischen Produkte und (wohlgemerkt auch) die US-Produkte zu boykottieren, falls Rußland und die USA eine Wiederaufnahme beschließen sollten (was Chirac sicherlich erwartet).

Ob die Weinbauern und Käsehersteller die besten Zielscheiben in dieser Sache sind, ist fraglich. Intelligenter scheint mir ein pragmatischer Boykott, wie Dominique Doynet ihn kürzlich vorgeschlagen hat. Alle französischen Partner wären ab sofort über ihre Stellung zu den geplanten Atomtests zu befragen. Die Anhänger der Atomversuche könnte man dann boykottieren, die taz könnte auch die Listen, zum Beispiel von Unternehmen, veröffentlichen. Deutsche Kommunen oder andere Gebietskörperschaften, die eine institutionalisierte Partnerschaft mit entsprechenden französischen Institutionen haben, würden ihren Ansprechpartnern (Bürgermeister, Uni-Präsident usw.) auch sofort die Gretchenfrage stellen, woraufhin die Beziehungen eingefroren oder gebrochen werden könnten – oder ein gemeinsames Protestschreiben könnte an das Präsidialamt geschickt werden. Das hätte sicherlich mehr politisches Gewicht als der Boykott einiger Produkte. [...] Hubertus