: Glitzer-Jazz gegen Fortpflanzung
■ Das Duo „Pearly Passion“ singt und spielt nicht nur Evergreens, es hat auch etwas zu sagen
„Die entscheidende Frage ist doch immer: Will das Publikum „Let it be“ in Dur oder in Moll?“ Hans-Jürgen Osners, Pianist des Bremer Glitzer-Jazz-Duos „Pearly Passion“, weiß um diese Problematik und fragt bei jedem Auftritt aufmerksam nach. Meistens wollen die Leute Moll. Das ist nicht der einzige interaktive Aspekt im Programm von „Pearly Passion“, das derzeit des öfteren nächtlich im Jungen Theater zu hören und zu sehen ist. Zun Verteilen von wahlweise Erfrischungsstäbchen oder Bonschen steigt Sängerin Kate Pearl schon mal selbst mit Tablett von der Bühne. Meistens wollen die Leute Erfrischungsstäbchen; bei diesem Wetter verständlich. Wer hinten sitzt, bekommt nur noch Bonschen.
Selbstverständlich hieß Kate Pearl nicht immer Kate Pearl. Unter ihrem bürgerlichen Namen Katherina Gorecki sang und spielte die heute 3ljährige sich einst im legendären Pop-Doppel „Die Mädchen“ durch unsterbliche Zeilen wie „Zusammen sind wir stark, zusammen haben wir ganz viel Dioptrin“ besonders in die Herzen junger Brillenträger. Aber aus Mädchen werden Frauen, und die Legende will es, daß eines Tages ein mexikanischer Trilliardär das Herz des Ko-Mädchens Susi eroberte, sie zur Gemahlin und mit auf seine Farm nahm, wo sie nun den ganzen lieben langen Tag Fiesta macht. Wer meint, sie trotzdem ab und an durch Bremer Straßen flanieren zu sehen, muß da wohl jemanden verwechseln.
Bei einem Auftritt der „Solar Twins“, ihrer nächsten Band, traf die zurückgebliebene Katherina den Kirchenmusiker Hans-Jürgen, der sie sofort heiraten und ihren Kummer vergessen machen wollte. „Nö“, sprach die Maid keck auf den forschen Antrag, „aber wir können ja mal zusammen Musik machen.“ Dies geschah vor nahezu genau einem Jahr und war die Geburtsstunde von „Pearly Passion“. Zu Osmers Klavier singt die Pearl stimmgewaltig Evergreens von Gershwin bis McCartney, aber mit dem naheliegenden, vom Schimpf- zum Kosewort gereiften Begriff Easy Listening will sie nichts zu tun haben: „Ich kenn das gar nicht. Ach, da gibt's jetzt so DJs, die das machen, nicht? Nein, damit haben wir nichts zu tun.“ Die beiden nehmen ihre Musik hörbar ernst, auch wenn sich so mancher Scherz ins Programm schleicht. „So sind wir eben, das können wir ja nicht ändern.“
Der 28jährige Hans-Jürgen Osmers kann bereits von der Musik leben, wenn auch nicht alleine von „Pearly Passion“. Hauptberuflich haut der Schwein- und Rind- Liebhaber in Oytener Kirchenorgeltasten und klimpert sich durch diverse Cafe-Häuser. Bei seiner Partnerin sieht das anders aus: „Ich muß noch auf den Strich gehen – nee, Quatsch. Ich unterrichte als Referendarin picklige, pubertäre Jungs.“ Ferner wird sie demnächst als Gast-DJ im „Tower“ den Leuten sagen, was sie hören sollen. „Ich weiß noch nicht, was ich spiele, aber es ist Flower-Soul“.
Obwohl beide in Bremen „ganz zufrieden“ sind, soll die Eroberung der restlichen Welt als nächstes anstehen. Eine CD soll produziert und endlich auch außerhalb Bremens gespielt werden, zunächst in Hamburg und Berlin. Etwas später natürlich auch in der Londoner Carnegie Hall. Träumen wird man ja noch dürfen, und die beiden haben für den ganz großen Auftritt auch schon ihre Traumpartner: „Ich würde gerne mal mit Prince auftreten“, schwärmt Katherina, „oder mit Helge Schneider“. „Ich mit Samantha Fox“, meint der Mann am Klavier nach reiflicher Überlegung.
Aber bis dahin müssen sie miteinander vorlieb nehmen, um dem Publikum ihre Botschaften unter die Nase zu reiben. Ein bißchen zwischen den Zeilen muß man bei Liedern wie „The Lady is a Tramp“ oder „I will Survive“ freilich schon hören, um die Statements gegen leichte (besonders ultraleichte) Zigaretten, FKK, selber Kochen, die Menschheit und für Blutspenden, Verhütung, Tiere und Pflanzen mitzubekommen. Aber an der Aufrichtigkeit dieses Anliegens wird niemand ernsthaft zweifeln können.
Andreas Neuenkirchen
Weitere Termine im Jungen Theater: 11., 12., 18. und 26. August um jeweils 22. 30 h
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen