: So viele Schüsse können nicht irren
■ Hongkongfilme auf der Viennale, zum baldigen Verzehr auch in Deutschland
Kalt wie Eis, scharf wie eine Rasierklinge, Eruptionen der Gewalt und des phantastischen Unsinns – oder wie sagt Tarantino: „Jeder sollte Hongkongfilme mögen.“ Das war in der Tat die Stimmung, als für zwei Wochen das Wiener Viennale-Special in Zusammenarbeit mit dem Filmcasino Hongkongfilme zeigte, die alsbald auch durch Deutschland touren werden.
Mit einer erstaunlichen Beharrlichkeit hatten die Veranstalter es vermocht, 26 – man darf wohl sagen – Highlights des Hongkongkinos, aus den achtziger Jahre bis heute, in untertitelten Originalfassungen einem zusehends breiter werdenden Publikum zu präsentieren. Das wurde nicht zuletzt dadurch möglich, daß mit der Gründung von Media Asia Distribution erstmalig wieder aus Hongkong in Richtung europäischer Märkte ein Interesse an flächendeckendem Verleih signalisiert wird. Da das Hongkongkino bekanntermaßen wie kaum ein anderes ein Genre- Kino ist, war die Filmauswahl vor allem deren Repräsentation bestimmt: Von den fliegenden Actionkomödien in historischen Kostümen über den klassischen Gangster- und Polizeikrimi bis hin zum neuen Realismus mit soziographischen Anliegen.
Und dank gelockerter Zensurbestimmungen konnte diverser Softsex präsentiert werden, was zu heftigen Zuschauerreaktionen geführt hat: Zuerst ein hektischer Run auf die Karten, um dann, als es zur Sache ging, wieder scharenweise den Saal zu verlassen. „Soft“ hieß eben wirklich oft „Sexkomödchen“. In „Sex and Zen“ (1992) von Michael Mak ist Sex durchaus wichtiger als Zen, was unter anderem auch mit Hilfe einer Penistransplantation dargestellt wird.
Da war „Naked Killer“ (1992) von Clarence Fok eine sicherere Bank. Genügend Mundpropaganda, es handele sich um einen eleganten Vorläufer der „amour- fou“-Welle („True Romance“, „Butterfly Kiss“ etc.) war er sofort ausverkauft, spontan wurde eine Zusatzvorstellung angesetzt. Ein lesbisches Killerpaar durchkämmt die Männerwelt megärenhaft Rache übend; was es an Sex gibt, ist stets in Blut getaucht. Natürlich folgt die Reglementation auf dem Fuß: Eifersucht beendet die Liaison der Damen und setzt die legitimen Herrscher wieder in ihre Rechte ein.
John Woo, der im Westen prominenteste Vertreter der Hongkonggarde, war mit drei Filmen vertreten („A Better Tomorrow“, 1986; „The Killer“, 1989; „Bullet in the Head“, 1991) und wurde begeistert gefeiert. Exploitation heißt hier, daß 25 Schüsse in der Sekunde nicht irren können, daß es pfeift und surrt und rast und daß es ultracool ist, Tarantino-cool.
Am meisten aus der Reihe fiel „Gangs“ (1988) von Tong Dang, der zwar in Hongkong wegen seiner Brutalität geschnitten wurde, und ungewöhnlicherweise nicht in Europa. Plötzlich ist Jugendkriminalität, Drogenhandel und Kinderprostitution bitterernst, und was anfängt mit den gleichen Bildern der Actionhelden und der blauschwarzen Unterwelt, kippt in den urbanen Alptraum. Dies ist sicher der außerordentlich langen Zeit für Recherchen (ein halbes Jahr ist für Hongkong unglaublich) und der intensiven Arbeit mit Laiendarstellern zu verdanken. Mit „City on Fire“ (1987) konnte noch studiert werden, wo sich Tarantino für „Reservoir Dogs“ inspirieren ließ – der Plagiatsvorwurf ist immer noch lächerlich bei einem Genre, das unter anderem von den permanenten Selbstzitaten lebt. Es ist weniger die Ähnlichkeiten der Geschichten, von Juwelenraub über Verrat zum gegenseitigen Abknallen, als vielmehr die perfekte Adaption der Bilder ins Amerikanische, die so frappierend ist. Dank des persönlichen Einsatzes von Virginia Leung (Media Asia Distribution), die sich in Wien einen ersten Eindruck über manche Absonderlichkeiten des europäischen Vertriebs und Kinomarktes verschaffte, wird ein Auswahlprogramm der gezeigten Filme im August auch in Deutschland in verschiedenen Städten zu sehen sein. Sie wunderte sich darüber, daß schon lange Verleihlizenzen nach Europa verkauft werden, doch die Filme nicht die Leinwand sehen, warum immer Anfragen nach „alten“ Filmen kommen und warum es überhaupt eine Trennung von „Mainstream“ und „Off-Bereich“ gibt. Aber es wird viel verhandelt, und vielleicht ist ein neuer Anfang gemacht, so daß Hongkongkino vom orchideenhaften Festivalextra regulär zum Teil des Alltagsbetriebs wird. Mögen sollte es nämlich, wie gesagt, jeder. Sigrid Limprecht
Termine: Köln, Stadtgartenkino, 4.-15. August; Berlin, Eiszeitkino, 10.-27. August; Frankfurt, Valentin, 14.-23. August; München, Werkstattkino, 18.-24. August; Hamburg, Fama, 18.-31. August.
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