Der Trash ist ausgewählter

Die große Zeit des Off-Kinos ist mittlerweile vorbei, aber es gibt sie noch, die etwas anderen Kinos in Berlin – Folge 1: Eiszeit und Xenon  ■ Von Thomas Winkler

Man konnte sich darauf verlassen, daß das Programm hielt, was die Lokalität versprach. Angekommen in der notdürftig zum Kino umgestalteteten Fabriketage im zweiten Hinterhof bekam man Filme geboten, die mindestens so verschlissen waren wie die Sitze und so dreckig wie der Boden, der am Tag vorher bei einem Konzert zusätzlich gelitten hatte. Aber die Zeiten haben sich geändert. Auch das Eiszeit-Kino. Der Trash ist jetzt „ausgewählter“, versichert Hans Smithee, aber einen Anspruch weist man immer noch weit von sich.

Das Eiszeit kann inzwischen auf eine recht bewegte Vergangenheit zurückblicken. Eröffnet wurde 1981 in der Schöneberger Blumenthalstraße. Zwei Jahre später wurde das besetzte Haus geräumt, das Kino zog um in die Waldemarstraße nach Kreuzberg, wo man sich Räume mit dem inzwischen längst verblichenen Frontkino teilte. 1985 schließlich mietete man die Etage in der Zeughofstraße 20. Der Grundriß war sicher „nicht kinoideal“, aber nach diversen Umbauten haben sie „das Beste rausgeholt“, glaubt Wildfang, einer der Betreiber. Aber immer noch ist das Foyer mit der Bar fast ebenso groß wie der Saal, der 100 Plätze bietet.

Aus den bewegten Anfangstagen ist längst keiner mehr dabei. Von den fünf aktuellen Betreibern ist Wildfang der dienstälteste. Die Funktion eines Kinos wie das Eiszeit beschrieb er wie die von HipHop für US-amerikanische Ghettos: „Es geht um Verbreitung von Nachrichten.“ Und das Konzept, das keines sein will, funktioniert. Während die Besucherzahlen im ersten Halbjahr 1995 landesweit um durchschnittlich 15 Prozent zurückgingen, verzeichnete das Eiszeit einen Publikumszuwachs um fast ein Drittel. Und das trotz der ungüstigen Lage, die „sicher ein Nachteil“ ist, weil „Laufkundschaft“ fehlt. Trotz einer gewissen Annäherung an den Mainstream und einigen Erstaufführungsfilmen in den letzten Jahren, wird das Programm immer noch ungefähr zur Hälfte mit Filmen bestritten, denen die Eiszeitler durch die ganze Welt hinterherrecherchieren. Es ist „arbeitsintensiv und aufwendig“, gibt Hans zu, aber auch mit den normalen Verleihern ist es für ein Kino wie das Eiszeit meist nicht einfach. Es muß viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, bei jedem Film und bei jedem Verleiher wieder neu. So dauerte es „unheimlich lange“ bis sie die Originalfassung von „Tank Girl“ zeigen konnten. Aber schließlich konnte der Verleih davon überzeugt werden, daß das Zielpublikum für diesen Film vor allem in Kreuzberg ansässig ist.

Hin und wieder zeigen sie dann auch einen Film, der zwar einen Verleih hat, aber trotzdem nicht in die Kinos kommt. Da sind sie dann in Deutschland oft die einzigen. So entstand eine besondere Beziehung zu Abel Ferrara, dessen „King of New York“ vom Verleih nach getaner Pressearbeit zurückgezogen wurde, dann doch im Eiszeit lief, und aufgrund guter Zahlen dort doch noch in einige andere Kinos kam. Auch Ferraras Remake von „Body Snatchers“ fand nur hier Anklang. Alle freuen sich schon auf den aktuellen Ferrara, der eines der größten Berlinale- Ärgernisse abgegeben hatte.

Trotzdem wollen die Macher das Eiszeit nicht als Off-Kino verstanden wissen, ein Begriff, der ihrer Meinung nach sowieso überholt ist. Auch „diese Kollektiv-Kinos gibt es nicht mehr in Berlin, weil es das Publikum nicht mehr gibt“, meint Wildfang, „es gibt ja auch keine langen Nächte mehr. Die Leute bleiben einfach weg.“

So verschwanden im Lauf der Zeit auch die Performances, Konzerte und Theateraufführungen aus dem Eiszeit-Programm. Selbst wenn die fünf in gewisser Weise als Kollektiv arbeiten, möchten sie doch nicht als ein solches bezeichnet werden. Sie haben ihre mehr oder weniger strenge Arbeitsteilung, einer ist für die Technik zuständig, einer macht den Geschäftsführer, andere das Programm. Aber schon auf das wöchentliche Plenum verzichten sie prinzipiell.

Sie sind ein Betrieb, haben Angestellte, veranstalten das „Freiluftkino im Bethanien“ und hoffen, daß das Wetter hält, denn dort passen 600 Leute rein, und wenn es voll wird können sie auch im Sommer, wenn die Besucherzahlen überall runtergehen, vom Kino leben, auch wenn humane Arbeitszeiten wohl immer ein Traum bleiben werden, „aber wir sind ja Unternehmer“, lacht Wildfang.

Stolz auf ihr Programm möchten sie nicht sein, wenn dann bestenfalls darauf, daß man als einziges Berliner Kino ein eigenständiges Programm für Kinder und Jugendliche zustande bringt. Reihen wie „Jugend im Widerstand“ werden von Schulen und Kitas gern angenommen. Trotz garantiert übertariflicher Belastung engagieren sie sich inzwischen auch noch im Schöneberger Xenon, wenn auch nur als Teilhaber.

Für die Filmauswahl ist seit dem 1. Juni allein Andreas Wieske zuständig. Wieske will zurück zur Tradition des Xenon als Bezirkskino „mit Repertoire-Programm und halt auch mal einer Erstaufführung“. Schwerpunkt soll der unabhängige amerikanische und vor allem der schwul-lesbische Film werden, für das Schöneberger Publikum. Allzu große Konsequenz ist dabei aber nicht vorgesehen: „Man kann ja nicht ständig ,When Night Is Falling‘ abkurbeln, nur weil nichts anderes da ist.“

Auch einen traditionellen Tupfer im Xenon-Programm wird es weiterhin geben. Jörg Buttgereit, seit Jahren als Vorführer beschäftigt, wird auch zukünftig die Premieren seiner eigenen Produktionen hier durchführen.

Aber erst mal muß sowieso Geld ins zweitälteste Kino der Stadt gesteckt werden. Zwar ist das Xenon seit 1909 schon des öfteren renoviert worden, aber neue Beschallung, neue Bestuhlung und eine neue Leinwand könnten trotzdem nicht schaden.

Das Xenon soll nun als „Kino, das der sozialen Zusammensetzung des Bezirkes Rechnung trägt“, ähnlich erfolgreich werden, wie das Eiszeit, das organisch gewachsen ist. Man wird sehen, ob auch in Schöneberg funktioniert, was Wildfang für Kreuzberg festgestellt hat: „Extremes, Hartes, Radikales wird dem Publikum im allgemeinen vorenthalten. Aber wenn sie es sehen können, dann sehen sie es sich auch an.“ Thomas Winkler