: Frankfurter Hauptwache besetzt
Die Frankfurter Polizei setzt ein Verbot einer kurdischen Mahnwache mit massenhafter Präsenz durch. Am Wochenende folgten weitere Festnahmen, Kontrollen und Räumungen. ■ Aus Frankfurt /Main Heide Platen
Frankfurter Gemengelage. Nach der am Donnerstag erfolgten brutalen Räumung der Mahnwache von hungerstreikenden KurdInnen hatte die Polizei am Freitag nachmittag auf den Treppen der Katharinenkirche wieder 40 Menschen festgenommen. Seither sammelte sich am Ort des Geschehens wer neugierig war, eine politische Message hatte oder einfach sein Platzrecht verteidigen wollte. Dazu gehörten eine Gruppe von rund 20 unerschöpflich im Kreis tanzenden und singenden KurdInnen und ein Riesenaufgebot der Polizei. Auch Skateboard-, Rollerskate- und Fahrradakrobaten, Obdachlose, die die Betonflächen im Herzen der Stadt rund um die Hauptwache als ihr angestammtes Territorium betrachten, wichen nicht vom Fleck. Und die BürgerInnen der Stadt ließen sich ihr Wegerecht schon gar nicht beschneiden. Das Herumstehen, Grüppchenbilden und Streiten ist nun einmal die Passion der MainmetropolistInnen. Entnervt wiederholte Mahnungen an die „Bürger und Bürgerinnen“, sich wegen der bevorstehenden Räumung zu entfernen, wurden – „Mir lebbe in em freie Land“ – sturheil überhört. Die Polizei hatte, etwas kryptisch, per Lautsprecher verkündet: „Der Hungerstreik ist verboten.“ Allfälliger Kommentar: „Dadervon werde die aach nix esse.“ Mittendrin diskutierte eine Gruppe Gehörloser lautlos das Geschehen und erklang Volkes Stimme um so lauter: „Abschiebestopp, des is prima! Was mache die hier aach so Zerkus!“
Als die Einsatzleitung den KurdInnen genau 15 Minuten gegeben hatte, um die Tänze zu beenden und die Ansammlung von knapp 200 Leuten aufzulösen, erläuterte ein deutscher Lehrer den Versammelten gerade das Konzept der Gewaltfreiheit. „Ihr macht hier die falsche Politik“, dozierte er, „und arbeitet dem Kanther in die Hände.“ Damit kam er vor allem bei den jungen Frauen, die die ebenfalls jungen Polizisten an den Rand der Irritation skandierten, eher weniger gut an. Die Entscheidung stand fest: „Wir bleiben.“ Vorher waren zwei der Hungerstreikenden, ein Mann und eine ältere Frau, zusammengebrochen. Die druckfrische kurdische Zeitung „politika“ wurde den Austrägern aus den Händen gerissen, der auf der Titelseite dokumentierte Tod von Gülnaz Baghistani in Berlin mit Erbitterung registriert.
Ein junger Mann berichtet am Rande von seiner Festnahme am Donnerstag. Mit über 30 anderen habe er sich die Zelle geteilt, darunter zahlreiche Verletzte. Eine Frau mit einem Kieferbruch, Platzwunden, Fieberkranke seien erst nach Stunden versorgt worden. Brillen, Handtaschen, verlorengegangene Schuhe seien in einem Müllcontainer abtransportiert worden. Mehr noch haben ihn „die faschistischen Sprüche“ der Beamten gestört, die ihnen noch im Polizeiauto „mit Aufmischen“ gedroht hätten.
TeilnehmerInnen bestritten vehement, daß die Gewalt am Donnerstag von ihnen ausgegangen oder auch nur geplant gewesen sei. Gasflaschen, Benzinkocher, Feuerzeuge, Steine und Holzstücke habe man gebraucht, um den Hungerstreikenden wegen der lebensnotwendigen Flüssigkeitszufuhr in der Sommerhitze große Mengen Tee zu kochen. Gewehrt hätten sich die KurdInnen erst später aus Angst vor dem brachialen Polizeiaufgebot.
PolitikerInnen von SPD und Grünen stellen inzwischen immer wieder die Frage, warum der Knüppeleinsatz überhaupt erfolgt sei. Daß er, wie Polizeipräsident Hoffmann erklärt hatte, wegen „vermehrten Zeigens“ von PKK- Symbolen notwendig gewesen sei, mögen sie nicht glauben. Währenddessen warfen KurdInnen der Bundesrepublik vor, daß sie keinen Druck auf die Türkei ausübe: „Die Türkei ist wie ein Hund. Wenn Deutschland sagt ,sitz‘, dann muß sie sitzen.“
Am Freitag abend rückten die kurdischen DemonstrantInnen vom Platz vor dem Café „Hauptwache" ein Stück in Richtung der mit Gittern versperrten Stadtbahnabgänge. Ein Dutzend Frauen saß, die Gesichter mutig und ängstlich zugleich, auf der Treppe zur B-Ebene. Polizisten kesselten sie ein und drängten sie mit Schlagstöcken und Schilden an die Schaufensterfront vor einer Hamburger-Braterei. Sie leisteten keinen Widerstand, hatten weder Plakate noch Fahnen. Ein paar Festnahmen mit unverhältnismäßigen Mitteln beantworteten sie mit Stakkato-Sprechchören und dem Verteilen roter Rosen.
Die Hauptwache ist seither rund um die Uhr von Wasserwerfern und weit verteilten Mannschaftswagen bewacht. Angeblich, um eine Demonstration zu verhindern, kam es gestern zur Festnahme von zahlreichen KurdInnen. Zuvor hatte das „Hungerstreikkomitee" die Beendigung der Fastenaktion bekannt gegeben und zur Solidarität mit den Hungerstreiks in türkischen Gefängnissen und in Berlin aufgerufen. An der Spree werden morgen 40.000 TeilnehmerInnen zu einem Trauermarsch für Gülnaz Baghistani erwartet.
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