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Gesucht: herrenlose Konten

Wo sind die vielen Millionen geblieben, die verfolgte Juden aus Angst vor den Nazis auf Schweizer Konten transferierten? Die Herren der Banken befassen sich nur unwillig mit der Frage, das Bankgeheimnis macht es ihnen leicht.  ■ Aus Basel Judith Raupp

Immer die gleiche Antwort: „Wir bedauern, ohne Dokumente können wir keine Nachforschungen anstellen.“ Wut schwingt mit, wenn Rechtsanwalt Sigi Feigel von den vielen ergebnislosen Gesprächen mit Bankiers erzählt. Wut über die bürokratische Haltung der Schweizer Banken, über ihre mangelnde Kooperationsbereitschaft, über die Scheinheiligkeit, mit der sie sich hinter dem Bankgeheimnis verschanzen.

„Es hatte einfach keinen Zweck“, bilanziert der Züricher Anwalt mit gutgehender Praxis seine jahrelangen Bemühungen. Die meisten Banken wollten ihn bei der Suche nach Konten, die verfolgte Juden während der Nazizeit in der Schweiz anlegten, nicht unterstützen. Vor zwei Jahren stellte er seine Nachforschungen ein, „weil ich den Erben unnötige Kosten ersparen wollte“.

Das war 1993, zu einer Zeit, als in der Schweiz niemand mehr über die Möglichkeit sprach, daß auf Konten und in Safes noch Gelder der von den Nazis ermordeten europäischen Juden liegen könnten. Die Banken hatten die Angelegenheit längst ad acta gelegt. Und äußerte dennoch jemand wie Sigi Feigel die Vermutung, da müsse noch was sein, verwiesen die angesprochenen Bankiers selbstgefällig auf das Jahr 1962. Damals hatte die Schweiz auf starken internationalen Druck eine Kontaktstelle geschaffen, bei der die Banken alle sogenannten herrenlosen Konten angeben mußten. Dort sollten sich die Erben melden.

„Das Gesetz von 1962 hatte Lücken“, sagt der Historiker Jacques Picard, der das Buch „Die Schweiz und die Juden 1933 bis 1945“ veröffentlichte. Die Schweizer Regierung und die Kontaktstelle haben ihre Aufgabe nicht besonders sorgfältig erledigt. Die Stelle ist nur mit einem Staatsbeamten besetzt gewesen. Es hat nicht einmal Stichproben gegeben, ob die Banken auch wirklich alle herrenlosen Konten auflisteten. Und gesucht wurde damals nur nach Privat- und nicht nach möglichen Geschäftskonten. Zudem lehnte die Regierung den Vorschlag jüdischer Organisationen ab, die Kontaktstelle in die Obhut einer unabhängigen Treuhandfirma zu geben.

Immerhin, ganz folgenlos war die Arbeit der Kontaktstelle nicht. Bis die Anmeldepflicht für mögliche Vermögen 1973 ablief, akzeptierte die Schweiz 1.000 der etwa 7.000 Antragsteller als erbberechtigt und überwies ihnen rund drei Viertel der insgesamt 9,5 Millionen Franken, die die Banken selbst als „Vermögen ohne Eigentümer“ ausfindig gemacht hatten. Das restliche Viertel ging an den Schweizerisch-Israelitischen Gemeindebund und an die Schweizerische Flüchtlingshilfe.

1975 wurde die Kontaktstelle aufgelöst. Die Bankiers lehnten sich zufrieden zurück, schlossen die Akten, sie hatten ihren Teil der Vergangenheit bewältigt. Und wenn dann doch noch jemand mit Anfragen kam, so wie Sigi Feigel oder Martin Rosenfeld vom Schweizerisch-Israelitischen Gemeindebund, erhielt er immer die gleiche Antwort: In der Schweiz gebe es kein Geld mehr zu finden, keine Franken und keine Wertgegenstände, die verfolgte Juden hier vor dem Zugriff der Nazis in Sicherheit gebracht hätten.

Mit dieser schweizerischen Ruhe ist es jetzt vorbei. Passend zum Gedenken des Kriegsendes vor 50 Jahren griffen so renommierte Zeitungen wie das Wall Street Journal, der Guardian, die New York Times das Thema wieder auf. Abgeordnete wie der Sozialdemokrat Otto Piller und Verena Gredelmeier vom „Landesring der Unabhängigen“ forderten lautstark nach einem Gesetz, das endlich den Umgang mit Konten aus der Holocaust-Zeit regle. Und als dann noch der Jerusalem Report „Gebt uns unsere Konten zurück!“ titelte, zeigten sich die Schweizer Kreditinstitute plötzlich wieder gesprächsbereit. „Weil sie um ihren guten Ruf fürchten“, meint Martin Rosenfeld.

Imagerettung war also angesagt. Weil das Gesetz – wenn es überhaupt kommen sollte – aber vermutlich noch eine ganze Weile auf sich warten läßt, leistet die Bankiervereinigung vorsorglich schon einmal Sofort-Reparaturarbeit am angeschlagenen Ansehen des Finanzplatzes Schweiz.

Seit Anfang Juli tüftelt eine Arbeitsgruppe der Schweizerischen Bankiers-Vereinigung daran, wie den Erben von Verstorbenen oder Verschollenen geholfen werden kann. Ihr Vorschlag: Die Banken erhalten Empfehlungen, auf welche Art und Weise sie nach den verschollenen Geldern suchen sollen. Alsdann könne man wieder eine zentrale Anlaufstelle einrichten. Ganz nach dem Muster von 1962. Nur daß dieses Mal der Staat seine Finger aus dem Spiel lassen sollte. Bis Ende des Jahres will die Arbeitsgruppe ihre bankinterne Empfehlungsliste ausgearbeitet haben.

Liegen also doch noch Vermögen von Nazi-Opfern bei den Schweizer Banken? Auch Silvia Matile von der Schweizerischen Bankiervereinigung will das nun nicht mehr ausschließen. „In den 60er Jahren haben wir nicht nach Firmenkonten gesucht“, bekennt sie. Heute hingegen wisse man, daß viele Juden aus Angst ihr Geld unter dem Namen eines fiktiven Unternehmens angelegt hätten. Richtig sei außerdem, daß viele Juden, die im früheren kommunistischen Ostblock gelebt haben, von der Meldestelle in der Schweiz überhaupt nichts wußten oder aber keine Möglichkeiten hatten, mit ihr in Kontakt zu treten. Und sie räumt ein, daß der Westen daran auch kein Interesse hatte. Schließlich wollte niemand riskieren, daß das „feindliche“ Regime „via Konfiskation“ zu einem unverhofften Geldsegen kommt. Kaum verwunderlich, daß sich seit dem Fall der Berliner Mauer nun Anfragen aus Osteuropa häufen.

Doch auch Nachfahren und Angehörige von Holocaust-Opfern aus dem Westen haben wieder Mut gefaßt. So eine 69jährige Jüdin, die nach dem Krieg in die USA auswanderte und jetzt in New York lebt. Ihr Schwiegervater besaß im ehemaligen Jugoslawien, in Backo Petrovo Selo, eine Textilfabrik. Er wurde entweder im Konzentrationslager oder auf dem Weg dorthin von den Nazis ermordet. Ihr Ehemann, der Sohn des Textilfabrikbesitzers, hatte Auschwitz und Mauthausen überlebt. Nach dem Krieg emigrierte er in die USA, wo er seine spätere Frau, die jetzige Antragstellerin, kennenlernte. Sie und der gemeinsame Sohn erinnern sich sehr gut daran, daß immer wieder davon die Rede war, daß der Schwiegervater gleich nach Kriegsausbruch einen großen Batzen des Familienvermögens in die Schweiz transferiert hatte. In den 50er Jahren versuchte der Sohn sogar, das Geld in der Schweiz aufzuspüren.

Jetzt hat die Frau den Züricher Rechtsanwalt Herbert Winter mit der Suche beauftragt. Auch er blieb, trotz 60 Anfragen bei verschiedenen Banken, bisher erfolglos. Sein größtes Problem: Weder die Bank noch der Name, unter dem der Fabrikant das Geld deponierte, ist bekannt. Außerdem fehlen die von den Banken so heiß begehrten Dokumente. „Die Nazis stellten eben nicht für jeden Ermordeten einen Totenschein aus, schon gar nicht, wenn er kein Deutscher war“, sagt Winter.

Wie sein Kollege Sigi Feigel ärgert sich auch er über die Sturheit vieler Banken. Und daß die Großbanken für ihre Recherchen pro Niederlassung 500 Franken und für die Nachforschungen in der gesamten Schweiz gar 2.000 bis 3.000 Franken verlangen, hält er auch nicht für die „feine Tour“.

Stellvertretend für alle anderen Kreditinstitute rechtfertigt Franz Raggenbass von der Schweizerischen Bankgesellschaft die hohen Gebühren mit dem enormen Arbeitsaufwand. „Das geht nicht mit dem Computer. Da müssen Sie ganze Archive wälzen, und zwar manuell.“ Außerdem hätten seit dem Krieg viele Banken fusioniert, was die Suche nach den Konten der Nazi-Opfer auch nicht gerade erleichtere.

Raggenbass ist indessen überzeugt, daß seine Bank alle herrenlosen Konten finden könnte, man brauchte nur Zeit dafür. Er glaubt nicht daran, daß noch viele solcher Konten existieren, „vermutlich weniger als hundert“. Den Vorwurf des Schweizerisch-Israelitischen Gemeindebundes, daß die Banken jahrelang mit dem Geld arbeiteten und dadurch reich wurden, will er nicht gelten lassen. Die möglichen Konten seien weitergeführt und wie alle anderen korrekt verzinst worden.

Auch über die Gesamthöhe der vermeintlich herrenlosen Konten gehen die Meinungen beträchtlich auseinander. Die israelische Wirtschaftszeitung Globus schätzte das Vermögen in ihrem ersten Artikel auf 300 Millionen Franken, später schrieb sie gar von 6,7 Milliarden US-Dollar, ohne freilich Angaben dazu machen zu können. Solche Summen sind völlig überzogen, urteilt die Schweizerische Bankiervereinigung. Und selbst Jacques Picard, der sich wie kein anderer mit diesem Thema auskennt, verweist diese Summe ins Reich der Phantasie. Martin Rosenfeld will sich mit Schätzungen zurückhalten. Niemand könne wissen, wieviel Geld Verfolgte während des Naziregimes in die Schweiz schafften, vermutlich werde sich dieses Geheimnis auch niemals lüften lassen. Denn nichts ist so sicher wie das schweizerische Bankgeheimnis.

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