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Ministerpräsident unter Terrorismusverdacht

■ Seit gestern befaßt sich der Oberste Gerichtshof Spaniens mit dem konkreten Verdacht, Felipe González könnte für den Anti-ETA-Terror verantwortlich sein

Madrid (taz) – Ermittlungsrichter Baltasar Garzón ist am Ziel seiner Träume. Nachdem in der vergangenen Woche einige der Angeklagten im Fall der Anti-ETA- Gruppen (GAL) mit neuen Aussagen Spaniens Regierungschef Felipe González belasteten, befaßt sich seit gestern der Oberste Gerichtshof mit González. Die Richter prüfen, ob die Immunität von González sowie von Ex-Verteidigungsminister Narcis Serra, Ex-Innenminister José Barrionuevo und des ehemaligen Generalsekretärs der sozialistischen Regierungspartei (PSOE), Txiki Benegas, aufgehoben wird, um gegen sie wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung zu ermitteln. Bedingt durch die Sommerpause im August ist mit einem Ergebnis nicht vor Mitte September zu rechnen.

In einem ersten Schritt hatte Garzón Ende letzten Jahres die beiden Ex-Polizisten José Amedo und Michel Dominguez zum Reden gebracht. Die beiden hatten im ersten GAL-Verfahren 1988 alle Schuld auf sich genommen und waren zu 108 Jahren Haft verurteilt worden. Jetzt begannen sie zu reden – und enthüllten, daß der schmutzige Krieg, der in den achtziger Jahren in Südfrankreich 28 Menschenleben gefordert hatte, mit Geldern aus den Geheimfonds des Innenministeriums zur Terrorismusbekämpfung bezahlt worden war. Schuldig demnach: die ehemaligen Vorgesetzten von Amedo und Dominguez.

Deren Liste liest sich wie ein „Who is who“ des spanischen Staatsschutzes: Julián Sancristóbal, Zivilgouverneur der baskischen Provinz Bizkaia und späterer Staatsschutzchef; Francisco Alvarez, Polizeichef von Bilbao; Miguel Planchuelo, Ex-Chef der geheimdienstlichen Abteilung; Rafael Vera, Spezialist in Sachen Terrorismusbekämpfung, und schließlich Ricardo Garcia Damborenea, ehemaliger Sozialistenchef in Bizkaia.

Nach einem halben Jahr U-Haft legten in den letzten Wochen alle, bis auf Rafael Vera, ein Geständnis ab. Die entscheidenden Aussagen, die González und dessen Mannschaft belasten, kommen von Damborenea. Demnach war die GAL keine selbständige Gruppe, sondern nur Deckname für eine Strategie zur Terrorismusbekämpfung, ausgeheckt in den Führungskreisen der PSOE im Baskenland. Felipe González sei damit einverstanden gewesen, er selbst, so Damborenea, habe mit ihm darüber gesprochen.

González zeigt sich unbeeindruckt. Richter Garzón sei der einzige, der den Aussagen des abtrünnigen Damborenea Glauben schenke, versucht Parteisprecher Cipriá Ciscar die Öffentlichkeit zu beruhigen. Die glaubt jedoch eher Garzón: Laut einer Umfrage halten 63 Prozent den Spanier Felipe González für den Drahtzieher im schmutzigen Krieg. Reiner Wandler

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