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Stahmer: Mit Schweigen an die Macht?

■ SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer mogelt sich auf ihrer Wahlkampf-Pressekonferenz an den heiklen Fragen vorbei /Diepgen liegt vorne

Der Gips am Arm war ab, als Ingrid Stahmer, frisch aus dem Österreich-Urlaub zurückgekehrt, gestern im Pressesaal des Roten Rathauses verkündete: „Wahlkampf soll man machen, nicht nur ankündigen.“ Doch nach einer Stunde monoton vortragenen und vorgefertigten Statements blieb vom vollmundigen Versprechen kaum etwas übrig. Die Sozialsenatorin, wegen ihrer Zurückhaltung schon häufig innerparteilich gescholten, hatte sich wieder einmal selbst beschränkt: Zwei leichte Angriffe gegen den Koalitionspartner CDU inklusive eines fast schon mitleiderregenden Appells an den Regierenden Diepgen, er möge sich gegen CDU- „Schmutzkampagnen“ von einem „Linksbündnis“ von SPD, Grüne und PDS stemmen.

Umso stärker hingegen der Versuch, sich von den Bündnisgrünen abzugrenzen. Die künftige Koalitionsfrage, so Stahmers offenkundige Strategie, soll offen gehalten werden. Wenn nach dem 22. Oktober sowohl mit der CDU als auch mit den Bündnisgrünen eine parlamentarische Mehrheit möglich wäre, werde sie „eben mit zwei Parteien“ verhandeln. Auf alle Fälle, so stellte Stahmer gestern fest, werde sie sich keinesfalls von der Basis die Koalitionswünsche diktieren lassen: „Dafür stehe ich nicht bereit.“ An die Adresse der Grünen hatte die Senatorin deutlich mehr Forderungen als an die der CDU. Voraussetzungen für Rot-Grün seien „sichere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, eine verläßliche, zukunftsorientierte Finanzpolitik und Kontinuität in der Hauptstadtentwicklung“.

Für die Kärnerarbeit in der grünen Schmuddelecke soll offenbar ihr Konkurrent und ehemaliger Regierender in einer rot-grünen Koalition, Walter Momper, sorgen, der gegen Stahmer die Urwahl im Februar mit Pauken und Trompeten verloren hatte. Momper, der in Neukölln von seinen eigenen Genossen nicht auf die Bezirksliste der SPD gehievt wurde und es dort nun als Direktkandidat versucht, soll nach dem Willen von Stahmer mit seiner Wahlinitiative „Berlin- Brandenburg 2000“ mit Veranstaltungen den Grünen „auf den Zahn“ fühlen.

Noch bevor der Wahlkampf richtig begonnen hat, herrscht in Stahmers unmittelbarer Umgebung Nervosität. Als gestern ein Journalist die Kritik an Stahmers zurückhaltendem Wahlkampf ansprach, ging ihr Manager Christian Hoßbach dazwischen: Das Thema sei nicht mehr aktuell, liege sieben Wochen zurück, die Frage „brauchen wir, glaube ich, nicht zu beantworten“. Dabei pfeifen es die Spatzen durch die Flure des Abgeordnetenhauses, daß Stahmers Position sich nach anfänglich hervorragenden Umfrageergebnissen in den letzten Wochen dramatisch verschlechtert hat. Nach Angaben des Forsa-Instituts liegt die SPD- Spitzenkandidatin nur noch bei den Beamten und den 30 bis 44jährigen vorne. Arbeiter und Angestellte aber wollen Diepgen. Ebenso bedrohlich die Warnsignale bei den Jungen: Selbst bei den 18 bis 29jährigen liegt sie zehn Prozentpunkte hinter ihrem Konkurrenten. Stahmer reagierte mit Trotz und Hilflosigkeit: Jede Umfrage nehme sie „natürlich ernst“, aber jeder „Sozialpsychologe“ könne doch auch ein Lied davon singen, wie durch Umfragetechniken Ergebnisse erzielt würden.

Das Abtauchen schien Stahmer nach der Urwahl zunächst sogar zu nützen. „Mit Schweigen an die Macht“, meinten daraufhin böse Zungen in der Partei. Stahmer, so scheint es, leidet am neuen sozialdemokratischen „Scharping-Syndrom“, wie ein Mitglied meint: Allen solle es recht gemacht werden. Für ihre Verhältnisse fast schon lautstark geißelte sie gestern den parteiinternen Zwist zwischen Gerhard Schröder und Parteichef Rudolf Scharping: Die Bundespartei müsse sich klar sein, daß die „Macht im Bunde über den Wahlsieg in der Hauptstadt führt“.

Die personelle Decke der SPD ist dünn. So dünn, daß der einst vergraulte Daimler-Chef Edzard Reuter der Partei nun doch noch zu ein wenig Glanz verhelfen soll. Der Sohn des ersten Westberliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter hatte im letzten Jahr über den Spiegel seine Ambitionen auf den Spitzenplatz erhoben. Sein feudaler Gestus kam jedoch in der Partei schlecht an. Nun darf er als Berater und Türöffner für die Wirtschaft zurückkommen. Doch welche Rolle der Manager und SPD-Mann spielen soll – das wußte Stahmer gestern auch nicht so recht aufzuklären. Severin Weiland

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