„Diese Selbstdarsteller gehen mir auf den Keks“

■ Bürgermeister Henning Scherf über den Regierungs-Stil im Rathaus, die Hindernisse der Verwaltungsreform und seinen neuen Freund Ulrich Nölle

taz: Es gibt in der Stadt viele, die haben vorgefaßte Meinungen über Sie. Zum Beispiel diese: „Scherf hat seit 20 Jahren in all seinen Senatsämtern nur Mißwirtschaft betrieben.“ Können Sie mit jemandem, der so denkt, zusammenarbeiten?

Henning Scherf: Ja, muß ich ja wohl. Wenn er mit mir zusammenarbeiten will, würde ich das gerne machen; wenn er keine Lust dazu hat, kann ich es nicht ändern.

Das hat Ulrich Nölle über Sie gesagt.

Ach so. Das muß aber früher gewesen sein. Nölle und ich lernen doch gerade, daß man trotz langgeschürter und gepflegter Vorurteile gegeneinander sehr gut zusammenarbeiten kann. Es ist ein ausgesprochen angenehmes Arbeiten mit ihm, da ist inzwischen überhaupt nichts mehr von alten Vorurteilen spürbar.

Wie geht das zusammen: Erst als Kandidat für die Herzenssache Rot-grün eine überwältigende Mehrheit in der SPD bekommen und jetzt sagen: Nölle ist mein dickster Kumpel?

Nölle ist nicht mein Kumpel. Aber wir haben wirklich überhaupt keine Kommunikationsstörungen miteinander. Ich habe nicht das Gefühl, daß Nölle hinter meinem Rücken wüste Dinge verbreitet. Nölle akzeptiert mich und merkt, daß wir beiden uns auch über unangenehme Dinge verständigen müssen und das zusammen hinkriegen. Das geht zwischen uns wirklich ungewöhnlich gut.

Zwischen Ihnen beiden klappt es manchmal so gut, daß die Partei zurückpfeift...

Nicht mich.

Aber Nölle.

Ja, aber doch mehr wegen seiner Personalentscheidungen. Und die hat er ja nicht mir zuliebe gemacht.

Aber nochmal zurück zu dem Zitat: Das wäre ja toll, wenn ich mit allen, die solche Vorurteile über mich verbreiten, jetzt auf so eine gute Arbeitsbeziehung komme, wie mit Nölle. Unter den Rathausarkaden gibt es zum Beispiel einen unter den vielen Alkis – die anderen duzen mich und sagen Henning – der ruft mir immer nach, ich sei ein Sozialverbrecher. Irgendwann hab ich ihn mal gefragt, was er eigentlich damit meint. Da konnte er nichts sagen. Aber was soll ich nun machen? Ich muß das eben aushalten, daß mich da ein Typ unter den Rathausarkaden für einen Sozialverbrecher hält. Da kann ich doch nicht die Polizei rufen.

Das ist natürlich ein krasser Fall. Vielleicht gibt es diskretere, auch in der eigenen Partei.

Gibt es ein Politikfeld, wo Sie nach den Koalitionsverhandlungen sagen: Jetzt wird es mit der CDU etwas nicht geben, was Bremen mit Rot-grün erreicht hätte?

Ich war unter anderem deshalb für Rot-grün, weil ich überzeugt bin, daß man mit Rot-grün ein radikales Umbaukonzept für den Öffentlichen Dienst durchsetzungsfähig machen kann. Da haben wir auch mit den Grünen viel weitergehende Verständigungen gehabt, als sie öffentlich geworden sind.

Das Problem ist nämlich, daß auch die größten Kritiker dieses Konzepts Rot-grüne sind. Und deshalb hatte ich die Chance gesehen, diese Kritiker über Rot-grün zu integrieren. In der Großen Koalition wird diese zentrale Herausforderung jetzt ein Stück relativiert. Das geht jetzt nur stückweise.

Ist es nicht umgekehrt: Das große Projekt Verwaltungsreform läßt sich nur mit ganz großen Mehrheiten durchsetzen? Schon ein einziger ÖTV-Konservativer hätte bei Rot-grün in der Bürgerschaft die Sache doch schon verhindern können.

Nein, nein. Sie kommen bei diesen Umbaunotwendigkeiten nur durch, wenn sich die Gewerkschaften darauf einlassen; die ÖTV muß voll in die Verhandlungen mit einbezogen werden. Die ÖTV ist inzwischen auch gar nicht mehr so betonköpfig. Da werden inzwischen immer mehr Strategien unterstützt, die sagen: Wir müssen uns an die Spitze dieser Modernisierungsbewegung setzen. Da gibt es von Gewerkschaftsseite sogar ganz spannende Verhandlungsangebote. Und die Gewerkschaften haben doch in Bremen auf Rot-grün gesetzt.

Zumindest im Rathaus selber wollen Sie jetzt die Verwaltung reformieren. Geht das bei soviel alteingesessenem Personal überhaupt?

Ich bin bisher immer für ganz große Verwaltungen zuständig gewesen. Die Finanzverwaltung ist wohl 30mal so groß wie das Rathaus, die Sozialverwaltung 20mal und die Verwaltung für Bildung und Wissenschaft sicher 100mal so groß – ich habe im Umgang mit dem Personal, mit Geduld, Zuhören und Aufnehmen keine Anfängerprobleme mehr. Deshalb macht mir die Zahl der Mitarbeiter überhaupt kein Kopfzerbrechen.

Aber das geht jetzt schon damit los, daß ich mit den Abteilungsleitern bisher ein völlig anderes Arbeiten gewohnt war. In der Bildungsbehörde werden Abteilungsleitersitzungen jedesmal von einem anderen geleitet, und ich gehörte ganz normal dazu. Wenn wir das jetzt im Rathaus einführen, muß man mit einem Überraschungseffekt rechnen.

Das Rathaus ist bisher ganz anders organisiert?

Ja, das ist bisher nicht üblich gewesen. Aber das kommt jetzt. Und ich glaube, daß die ganz große Mehrheit der Mitarbeiter dazu große Lust hat.

Wenn Sie jetzt das Rathaus auch für neue Gruppen der Bevölkerung öffnen, was wird dann mit denen, die es bisher gewohnt waren, zu jedem Festakt eingeladen zu werden? Gibt es da schon Beschwerden?

Noch nicht, aber ich rechne damit. Andererseits waren diese ritualisierten Veranstaltungen in langen Sitzreihen ja auch nicht so aufregend.

Gestern abend bei der Kaisen-Veranstaltung im Rathaus, da kam plötzlich so ein alter Fuchs wie Dieter Klink im offenen Hemd. Ich habe den noch nie im Rathaus so erlebt, der hat alle Leute angestrahlt. Oder Moritz Thape, der kam im dunklen Anzug, aber hat sich auch darauf eingelassen. Annemarie Mevissen habe ich erst nach einer Weile entdeckt, die saß irgendwo in einer Ecke und schnackte mit jemandem. Ich war richtig happy, daß die alle mitgemacht haben.

Oder Klaus Wedemeier, der war ja bei den Einladungen auch erst vergessen worden. Der ist trotzdem mit seiner Frau gekommen. Das fand ich richtig gut. Wenn es gut geht, dann machen alle mit und nutzen auf eine ganz unspektakuläre Weise das Rathaus als Platz, an dem diese Bremer Stadtgesellschaft sich verständigen kann.

Verwaltungsreform machen Sie im Rathaus nicht zum ersten Mal. Zu Ihrer NOSD (Neuorganisation der sozialen Dienste) sagen Gutachter inzwischen: zu teuer, keine klaren Entscheidungswege...

In der zweiten Fassung des Ploenzke-Gutachtens klingt das schon etwas anders. Ich stehe nach wie vor zur NOSD. Das war die richtige Antwort für eine tiefe Krise der öffentlichen sozialen Dienste bei einer immer schwierigeren Finanzsituation und einer ständig wachsenden Zahl der Sozialhilfeempfänger und übrigen Hilfsbedürftigen.

Das Problem war, daß die Einführung viel zu lange gedauert hat, das ging ja über drei Legislaturperioden. Und wir haben zu viele Gremien – obwohl wir das alle immer wieder kritisiert haben. Es hat ja keinen Sinn, die Hierarchien, die nicht gut sind, durch endlos tagende Gremien zu ersetzen.

Diese sogenannte Matrixorganisation bei der NOSD ist aber doch gerade der Kern des Problems. Und die soll jetzt wieder aufgegeben werden.

Immer da, wo Sie mit Teams arbeiten, landen Sie bei der Matrixorganisation. Teamarbeit lebt nämlich von überkreuzgehenden Zuständigkeiten. In einem Team dürfen Sie doch nicht immer nur dann aufwachen, wenn Ihr Thema drankommt, sondern Sie müssen in die Themen der anderen involviert sein. Das ist Matrixorganisation.

Und die wollen Sie jetzt auch im Rathaus einführen. Machen Sie sich damit – wenn es einmal gut funktioniert – nicht selber überflüssig?

In der Ampelzeit wurde kritisiert, daß die Bürgermeisterrolle keine Moderatorenrolle sein dürfe. Aber das sehe ich anders. Moderatoren haben die kostbarste Rolle. Große Konzerne würden nie sagen: Moderatoren brauchen wir nicht. Eine gute Moderation ist in einem modernen Führungskonzept mit Teamarbeit bei komplizierten Sachverhalten gar nicht zu überschätzen.

Und auf dem nächsten Wahlplakat der Bremer SPD gibt es dann nicht Ihren Kopf, sondern ein Gruppenfoto?

Ich weiß gar nicht, ob ich das jetzt schon bekanntgeben soll. Ich hoffe, daß wir bis dahin so pfiffig sind.

Kompetenz mit vielen Namen?

So muß es nicht sein. Aber auch Gerhard Schröder hat sich in seinem eigenen Wahlkampf gar nicht immer nur selber plakatiert, sondern Themen durch witzige Bilder symbolisiert.

Die Grünen sind gerade dabei, auf den Wahlplakaten Themen wieder durch Köpfe zu ersetzen.

Joschka Fischer ist ja Traditionalist, der kopiert Oskar Lafontaine. Das sind diese Machos, diese Gutesser und Frauenzyniker, die meinen, sie seien unwiderstehlich. Ich vertrage diese Selbstdarstellung nicht. Das geht mir auf den Keks.

Fragen: Dirk Asendorpf, Klaus Wolschner