■ Point'n'Click: Monstermatsch in Gödel-Escher-Endlosschleife
Seine Horror-Stories, die längst zum Kanon der phantastischen Literatur gehören, veröffentlichte H. P. Lovecraft (1890 bis 1937) fast ausschließlich in Pulp-Magazinen, amerikanischen „Schundliteratur“-Heften wie den legendären „Weird Tales“ oder „Amazing Stories“. Lovecraft, der die meiste Zeit seines Lebens einsiedlerhaft, nur ummuttert von zwei alten Tanten, im Städtchen Providence verbrachte, löste sich schon frühzeitig von den traditionellen Motiven der Gespenster- und Schauergeschichte. In seinen 40 kürzeren und zwölf längeren Erzählungen beschwor er das Grauen aus kosmischen Dimensionen herauf.
Im Zentrum von Lovecrafts pseudomythologisch organisiertem Fantasy-Kosmos stehen die „Großen Alten“, eine Rasse monströser Götter. Ihre Herrschaft ging verloren, und seither lauern sie, verborgen in abgelegenen Erdwinkeln, auf ihre zweite Chance. Fiktive neu-englische Provinznester wie Dunwich, Innsmouth oder Arkham dienen dabei als Kristallisationspunkte des abgrundtief Bösen, das auf Zungenbrechernamen hört wie: Cthulhu, Yog-Sothoth, Nyarlathotep.
Lovecraft ist einerseits ein „sorgfältiger, pedantischer Reporter des Grauens“ (Kalju Kirde), zum anderen arbeitet er bis zum Exzeß mit stereotypen Adjektiven wie „unheimlich, furchtbar, grausig, gruselig, unheilig, blasphemisch“. Er überdreht die billigen Worthülsen der Trivialliteratur, bis sie ins Obsessive umzuschlagen beginnen. Erzeugt wird so eine Art delirant- bombastischer Suada-Expressionismus, der dem Autor immerhin einen Cent pro Wort einbrachte, aber im Grunde jede Visualisierung hintertrieb.
Die Darstellung des unaussprechlichen Grauens ist auch das Problem des Adventures „Prisoner Of Ice“, mit dem sich die französische Softwarefirma Infogrames erneut an einer Adaption des Lovecraft-Universums versucht: Die auftretenden Ungeheuer sehen aus wie die Augsburger-Puppenkisten-Version des Dings aus einer anderen Welt. Bösartig blubbernde Eis-Urmel mimen Crawling Chaos!
Die Story: Im Januar 1937 nimmt ein an der Antarktisküste operierendes britisches U-Boot zwei seltsame, unbedingt kühl zu lagernde Kisten an Bord. Natürlich tauen sie auf, schleimige Tentakelkreaturen schlüpfen aus und verspeisen erst mal den Käpten.
Zum Glück ist dein digitales Alter ego Oberstleutnant Ryan, ein amerikanischer Geheimdienstmann in Royal-Navy-Uniform, mit an Bord. Deine Aufgabe besteht zunächst darin, die amoklaufenden Monster in Schach zu halten und das lädierte U-Boot sicher zur britischen Militärbasis auf den Falklandinseln zu manövrieren. Im Spielverlauf verschlägt es dich dann nach Buenos Aires, wo du in der Nationalbibliothek ein extrem seltenes Standardwerk über den Kult der „Großen Alten“ einsehen darfst. (Nette Pointe am Rande: Der Bibliotheksdirektor heißt Jorge und ist blind, also Oberbibliomane Borges persönlich!)
Mit von der Partie sind auch – wie bekannt aus diversen Indiana-Jones-Filmen – an okkulten Phänomenen zwecks Wunderwaffeneinsatz interessierte Nazi- Finsterlinge. Ryan fällt ihnen prompt in die Hände und wird in ihre Südpol-Geheimbasis verschleppt, wo Westentaschen- Himmlers gewissermaßen als kosmische Concièrges für Cthulhu & Co fungieren.
Die Atmosphäre des technisch brillant in Szene gesetzten Adventures ist streckenweise durchaus Lovecraft-kompatibel. Herrlich hirnrissiger Mystik-Trash inklusive, wenn etwa Dietrich im sturmumwehten Druiden-Steinkreis nach Dadalyrik klingende Beschwörungsformeln intoniert: „F'Tang'h Iaeeee!“ Die Story gewinnt rasch an Tempo und ist unter Einbeziehung von Zeitreise- Paradoxa nicht ungeschickt zusammengestrickt.
Auch das doppelbödige Ende überzeugt: Ryan rettet zwar die Welt vor Monstermatsch-Armageddon, kann aber nicht verhindern, daß Dietrich in die graue Vorzeit zurückgebeamt wird, um sich bei einem mystischen Maya- Volk am Anfang der Zeit als Crawling-Chaos-Hohepriester einzuschleimen. Universalgeschichte als Ragnarökk in Gödel- Escher-Endlosschleife. Ulrich Hölzer
Prisoner of Ice (Infogrames) – IBM PC CD-ROM, ab 486er/33 MHz mit mind. 4 MB RAM, Preis: ca. 120 DM.
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