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■ betr.: „Perverser Realismus“ von Rolf Winter, und „Drei verlorene Jahre“ von Thomas Schmid“, taz vom 28. 7. 95
Nachdem ich die beiden Artikel gelesen hatte, vermutete ich Thomas Schmid im Alter von Rolf Winter, denn Winter erscheint offen und frei gegenüber jeglicher Autorität, so, wie es der Jugend gebührt, nur eines unterscheidet ihn von der Jugend – die Konsequenz.
Was heißt das schon „Gegen die intellektuelle, moralische und politische Kapitulation ...“ Intellektuell ist Winter und sind viele andere – denn sie denken. Moralisch gibt sich jeder Pazifist per se und auch politisch. Kapitulieren liegt dem Pazifisten nicht, da er ein ausgesprochener Optimist ist. Also kann die geistige Alterdiskrepanz nur daran liegen, daß die Motivation eines Pazifisten nicht begriffen wird. Denn in dem Moment, in dem die Lawine der gesetzlosen Destruktion von nekrophilen Typen losgetreten wird, fehlt dem Pazifisten der Einfluß – außer in der ihm charakteristischen Aktivität, direkt zu helfen, zum Beispiel Flüchtlingshilfe, Deserteure verstecken usw.
Jetzt nach dem Militär zu schreien bedeutet, laßt den Soldaten nur machen. Das Militär kann keine dauerhafte Lösung erwirken, da es als destruktivste Institution nur mit Gewalt etwas beendet, was wiederum Anreiz für neue Gewalt birgt. Und noch – diese militärische Einrichtung fühlt sich dadurch bestätigt, tatsächlich den Frieden schaffen zu können, was eine aus der Geschichte erlernbare (nur, wer das auch wirklich will) Fehlerkenntnis ist. Die Ausnahme wäre die UNO, die die verfeindeten Parteien zu Gesprächen zwingen sollte, wenn sie nur dürfte. Zu dieser Inkompetenz der UNO tragen diese Mentalitäten von Thomas Schmid bei, dies zu verhindern. Denn letztendlich hat das nationale Konglomerat an Militär Vorrang. Das ist der Altersschwachsinn – dieses nationale Gefühl aggressiv über die Grenzen oder dieses Nato-Gehabe. Nein – der globale Gedanke in der Ehe, zu den Mitmenschen – das Mitgefühl –, der Alltag in der offenen Moral, das ist Pazifismus. E.-Christian Ahrens, Brühl
Erinnern wir uns: Anno 1866 zogen noch Heerscharen süddeutscher und norddeutscher Soldaten gegeneinander und für Gott und Vaterland ins Feld. Nur fünf Jahre später sahen sich die zahlreichen deutschen Könige und Fürsten gezwungen, ihre hartnäckig verteidigte Souveränität an die höhere Instanz abzugeben. Der höhere Souverän konnte nun für die innere Sicherheit ganz Deutschlands mit friedlichen Mitteln, notfalls mit Polizei, sorgen.
Heute stehen wir auf weltweiter Ebene vor einer ganz ähnlichen Situation. Jeder Interessierte weiß es: 1. Alle höheren Orts eingesetzten Vertreter der voll souveränen Nationen sind verpflichtet, ihre nationalen Gruppenegoismen notfalls mit Soldaten ihrer Nation durchzusetzen. 2. Darin wurzelt die offensichtliche Schwäche der UNO, die ja von diesen Vertretern beherrscht wird.
Rolf Winters leidenschaftlich vertretene Forderung einer ausreichend souveränen UNO, von vielen geteilt (konsequent jetzt auch von Tadeusz Mazowiecki), kann doch nicht ewig Illusion bleiben. [...] A. Bauer,
Garmisch-Partenkirchen
[...] Solange die öffentliche Meinung im ehemaligen Jugoslawien weiter von nationalistischen, chauvinistischen Tönen, von einer Atmosphäre des Hasses auf die Nachbarvölker, beherrscht ist, wird sich nichts ändern. Aber der Widerstand gegen die Politik ist vorhanden. Die taz berichtete doch immer mal wieder darüber: über Prozesse gegen kroatische Pazifisten und Demokraten, über die Friedensbewegung in Belgrad, über die Deserteure aus Karadžićs und Mladics Armee. Diese Kräfte gilt es zu stärken, ihnen zu helfen, Einfluß auf große Teile der Bevölkerung zu gewinnen, die Mitläufer der nationalistischen Politiker umzustimmen und zur Vernunft zu bringen.
Wie leicht (und wie billig im Vergleich zu vielen Militäraktionen) wäre ein Trommelfeuer in den öffentlichen Medien in Szene zu setzen für die Menschen im ehemaligen Jugoslawien. Wie einfach wäre es, eine Fernseh- und Radiostation aufzubauen, die auf mehr Frequenzen, als man stören kann, rund um die Uhr den Krieg, den Haß, die Aggression anprangert. Wie gut machte es sich, Tag für Tag über Radio und Fernsehen ein öffentliches Tribunal gegen die von der UNO angeklagten Kriegsverbrecher zu übertragen, die Hetze dieser Herren mit Bildern der in ihrem Namen angerichteten Greuel zu unterlegen, Massaker zu recherchieren, die Hintermänner dieser Taten immer wieder zu entlarven, den Reichtum, den Arkan und viele andere durch Raub und Raubmord zusammengetragen haben, aufzuzeigen. Vergewaltiger beim Namen zu nennen ... Das Internet, das auch von der serbischen Friedensbewegung genutzt wird, könnte mit Materialien gespeist werden. [...]
Wenn die Friedensbewegung im ehemaligen Jugoslawien die ganze Weltöffentlichkeit auf ihrer Seite weiß, wenn sie ausreichend Information von außen erhält, wird sie daraus Kraft und Mut entwickeln und leichter den Rückhalt der Bevölkerung gewinnen, die Kriegshetzer aber werden in die Isolation getrieben. [...] Christian Stürmer, Wiesens
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