■ Joschka Fischer ist mit seinem Bosnien-Papier nun auch da, wo all die Guten im Land sind – und das hat Konsequenzen:: Junge Grüne an die Front
Der Krieg in Bosnien hat alles verändert. Das Denken in diesem Land, die Medien, die Parteien; und wenn Joschka Fischers neue Thesen zu Bosnien sich in letzter Konsequenz durchsetzen, dann ist es wohl endgültig soweit: Die Allparteienkoalition regiert. Gleiche Worte fordern die gleiche Tat für Bosnien: militärisch eingreifen.
Darf man noch an etwas erinnern, darf man das? Im April 1995 war es für Außenminister Klaus Kinkel noch ein Tabu, ja, ein Tabu!, deutsche Truppen nach Ex-Jugoslawien zu schicken. Und heute? Wer heute noch davon spricht, ist schon fast ein Verräter, kein guter Deutscher. Auf jeden Fall aber ein Mensch, der kein Gewissen hat, der kalt, gefühl- und herzlos ist, denn – da sind diese Bilder. Abend für Abend im Fernsehen, Tag für Tag in den Zeitungen: das Leid in Bosnien, die schreienden Kinder, die erhängten Frauen, die geschundenen Alten, die abgemagerten Männer, die vergewaltigten Mädchen. Da muß doch die Nato ...
Die Nato? „Die größte Friedensbewegung aller Zeiten“ hat Manfred Wörner (CDU), der ehemalige Verteidigungsminister, dieses Militärbündnis mal genannt – das war damals, als die Grünen mit Hunderttausenden von Friedensfreunden auf die Straße gingen gegen Nachrüstung und Doppelbeschluß. Über Wörners abstrusen Unsinn hat man sich aufgeregt, aber vor allem hat man gut gelacht – auch in grünen Kreisen.
Und heute? Es hat sich ausgelacht, denn die Nato ist nun ehrbar. Sie ist auf Seiten der Humanität, sie ist für den Frieden. Nato, greif ein! Nato, hilf! Das ist nicht die Sprache des Stammtisches – das sind die Leitartikel von der Wochenpost bis zur Zeit, von der ARD bis Sat.1. Und nun ist auch Joschka Fischer da, wo alle sind: „Wir brauchen den militärischen Schutz.“
Schutz – was für ein harmloses Wort, was für ein beschönigendes Wort, wo es um Bomben, Brand und Tote geht. Bomben für Bosnien.
Ist es tatsächlich so: Müssen Tote sein, um noch mehr Tote zu verhindern?
Stimmt diese fatale Rechnung, die nun allenthalben so schnell aufgemacht wird? Und wer, mit Verlaub, kann denn das garantieren, kann auch nur einigermaßen überzeugend belegen, daß ein Militäreinsatz das Leid und Leiden im malträtierten Ex-Jugoslawien verkürzt? Wer, bitte schön, von den Interventionisten kann wenigstens halbwegs versprechen, daß der Balkan nicht explodiert?
Verblüffend, wie Kriegsdienstverweigerer a.D. und Ex-Pazifisten sich zu Militärstrategen gewandelt haben, wie sie kühl argumentieren, scheinbar so fundiert, scheinbar so umfassend um die helfende Wirkung „gezielter Schläge“ und „chirurgischer Eingriffe“ Bescheid wissen, daß es sogar altgedienten Berufsmilitärs schwindlig wird. Nein, es wird so getan, als wären ein paar militärische Maulschellen für Karadžić und Mladić ausreichend, um sie zu Räson zu bringen, um Frieden zu stiften.
Rechtfertigt die furchtbare Notsituation den Draufschlag? Darf man noch Fragen stellen? Die Zeit drängt! Serbien boykottieren? Das Embargo politisch durchsetzen, dem Krieg sein (Schmier-)Öl nehmen? Dummes, überholtes, pazifistisches Gedankengut?
Regierungsmitglieder sagen: Eingreifen. Die Zeitungen sagen: Eingreifen. Und nun sagt auch Joschka Fischer: Eingreifen.
Aber, und da unterscheidet der „wahre Oppositionsführer“ sich fundamental vom echten Außenminister Klaus Kinkel (FDP), Fischer will das militärisch Gute ohne Beteiligung deutscher Soldaten – wg. deutscher Geschichte. Was heißt denn das? Soll da unten der Franzos' kämpfen – bis zum letzten Mann. Und dann? Oder ist Politstratege Fischer innerlich schon viel weiter, als er öffentlich propagiert? Hat für ihn das alte Tabu noch etwas zu bedeuten?
Dany Cohn-Bendit, grüner Europaabgeordneter und Interventionist, kennt seinen Freund Joschka, er kennt ihn gut, und er weiß vor allem um die Halbwertzeit von Joschkas Grundsatzpositionen: „Wenn Fischer einmal Außenminister ist, wird er diese Haltung nicht beibehalten können.“ Und dann wird Fischer, er wird wohl ein bißchen über 50 sein und noch mehr wiegen als heute, das tun: Er wird seine jungen Wähler an die Front schicken. Arno Luik
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