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■ betr.: „Perverser Realismus“ von Rolf Winter, taz vom 28. 7. 95
[...] Politische Situationen sollten nicht vom Standpunkt des subjektiv wünschenswertesten Zustand einer Utopie des glücklichen Daseins geführt, sondern als Kritik der Gegenwart, aus der heraus sie gelöst werden müssen. Wer die Bosnien-Frage für eine reine UNO-Aufgabe hält, muß wenigstens ansatzweise begründen, wie die UNO sie derzeit lösen sollte. Damit, daß die UNO den „Muskel bekommen muß“, den sie gegenwärtig einfach nicht hat, wird das Problem nicht gelöst. Das wirkliche Problem lautet nicht Angriff oder laissez faire, sondern: „Wie können wir konkret helfen, den Krieg wirklich zu stoppen und das Recht der demokratischen Selbstbestimmung der Völker und die Menschenrechte wieder in der Region zu implentieren?“ Erst dann, wenn dies gelungen wäre, hätte Europa aus seiner gegenwärtigen Geschichte jenseits subjektiver Besserwisserei gelernt. Kriege sind nur vergleichbar hinsichtlich der unnötigen Opfer, denn jeder Krieg ist letztlich „sinnlos“, keineswegs aber hinsichtlich der Bedingungen ihrer Beendigung, durch die Bedingungen für eine völlig neue Entwicklung freigesetzt werden können und eben dadurch auch immer anders. Wer etwa glaubt, die Befreiung Europas vom Gespenst des Faschismus wäre ohne Intervention von außen vor sich gegangen, irrt und hat die Geschichte als diskontinuierlichen Prozeß nicht reflektiert. Emotionalität ist selten ein guter Ratgeber zur Lösung von Problemen und bei Winter ist von Rationalität keine Spur.
Auf die Frage: „Was wäre jetzt noch zu tun?“, ist, nachdem jahrelang nichts Entscheidendes getan wurde, zu antworten, daß gerettet werden muß, was noch zu retten ist. Was wirklich hätte getan werden können, ist bereits vor Jahren versäumt worden: Krippendorf (taz 30. 6. 95) hat bereits ausgeführt, daß dieser Krieg nur von unten wirklich beendet werden kann und jetzt nur noch unter Hilfe von außen. Radikaler Pazifismus würde jetzt nur noch die Gräber vermehren. Die Zeit für Abrüstung ist erst gekommen, wenn Ruhe eingekehrt ist, nicht zum Zeitpunkt erschreckender Massenmorde und Deportationen. Der Einsatz von Nato-Soldaten (der mir keineswegs behagt, im Gegenteil) findet nicht unter den Bedingungen faschistischer Regime in Westeuropa statt: Wir leben nicht mehr im „Dritten Reich“, und dafür, daß dies Gewißheit bleibt, müssen Demokratien etwas tun, auch außerhalb Deutschlands. Ein begrenzter militärischer Einsatz ist daher, wie Thomas Schmid sagt, wohl unverzichtbar und jedes Zaudern macht den „Brandherd“ und die Gefahren von Übergriffen noch größer. [...] Ralf Hansen, Düsseldorf
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