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Strahlenfrei für die Polizei

■ Aus Sorge um seine Beamten will Niedersachsens Innenminister keine weiteren Atomtransporte begleiten: Die Gefahr der Neutronenstrahlung ist bisher für Castor-Behälter falsch berechnet worden

Hannover (taz) – Die niedersächsische Polizei wird vorerst keinen weiteren Castor-Behälter nach Gorleben durchprügeln. Landesinnenminister Gerhard Glogowski fürchtet seit gestern um die Gesundheit der Polizeibeamten, die direkt an dem strahlenden Behälter zum Einsatz kommen.

Wachgerüttelt wurde die Fürsorgepflicht des Innenministers durch ein neues Gutachten des Marburger Nuklearmediziners Horst Kuni, das die Castor-Transporte als wesentlich gefährlicher einschätzt, als bisher angenommen worden war. Nach Meinung von Kuni überschreitet die Strahlung des Castor die auf dem Transport zulässigen Grenzwerte, wenn die biologische Wirksamkeit der von dem Behälter ausgehenden Neutronenstrahlung korrekt berücksichtigt wird.

Nachdem das Gutachten durch das ARD-Magazin „Monitor“ bekannt gemacht wurde, ließ Glogowski gestern mitteilen: „Solange es keine eindeutige Klärung gibt, wird die niedersächsische Polizei keine Castor-Transporte mehr begleiten.“ Es sei nicht zu verantworten, Beamte in Einsätze zu schicken, deren gesundheitliche Folgen nicht abzuschätzen seien.

Abzuschätzen sind diese Gefahren sehr wohl, meint der Marburger Mediziner. Sein Gutachten geht von einer erheblichen Gesundheitsgefahr für die Polizisten aus, die neben dem Behälter herjoggen müssen. Wer sich sechs Stunden in einem Abstand von zwei Metern am Castor aufhält, bekommt nach Kunis Berechnungen die gleiche Strahlendosis ab wie ein AKW-Arbeiter in einem ganzen Jahr. Dabei hat der Marburger Nuklearmediziner Horst Kuni die Strahlung des gußeisernen Kolosses keineswegs neu vermessen. In der Nuklearmedizin gelten heute jedoch Neutronenstrahlen als dreißigmal wirksamer als in der Methode, nach der bisher die Strahlenbelastung durch den Castor berechnet worden war. Sie entspreche schon seit Jahren nicht mehr dem Stand der Technik, sagte Kuni.

Von einer höheren Wirksamkeit der Neutronenstrahlen geht inzwischen auch das Bundesamt für Strahlenschutz aus. Es hält aber dennoch Kunis Warnungen für Panikmache. Auch wenn man diese höhere Wirksamkeit berücksichtige, würden Grenzwerte nicht überschritten.

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg warf gestern dem Bundesamt für Strahlenschutz und auch dem niedersächsischen Umweltministerium vor, daß sie den fachlichen Hinweisen Kunis nicht rechtzeitig nachgegangen seien.

Die Bürgerinitiative hat außerdem erfahren, daß dem Bundesamt für Strahlenschutz bereits zwei Anträge auf weitere Gorleben-Transporte vorliegen: Neben dem ersten Transport von WAA-Müll aus Frankreich ist auch ein Brennelemente- Transport aus dem AKW Gundremmingen beantragt. BI-Sprecher Wolfgang Ehmke forderte nicht nur den Stopp aller Castor-Einlagerungen in der Gorlebener Halle. Er verlangte gestern auch, daß der Castor-Behälter aus dem Atomkraftwerk Phillipsburg wieder abtransportiert werden müsse.

Siehe auch Seite 6 Jürgen Voges

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