Sanssouci: Vorschlag
■ Unica Zürns Anagramme Eine Performance mit Neuer Musik
„Ein Anagramm ist das Gedicht / gemacht im Anti-Sarg, im Sande.“ Verse aus einem jeweils identischen Repertoire von Buchstaben zusammenzuknobeln: eine hübsche Bastelarbeit, mag man denken, bei der noch weniger herauskommt als beim „Großen Lalula“. Unica Zürns Anagramme jedoch haben mit müßiger Formbesessenheit oder lustigem Dada-Nonsens nichts zu tun. Katarina Rasinski zeigte bei ihrer Performance am Samstag, wie konkret und konturenscharf die Bilder, Stimmungen und Geschichten sind, die Zürn aus ihrem radikal begrenzten Sprachmaterial heraustrieb.
Zürn, geboren 1916 in Berlin, gehörte der Pariser Surrealistenszene der fünfziger Jahre an. Man Ray und Henri Michaux zählten zu ihren Bekannten. Angeregt durch die „écriture automatique“, entdeckte sie die Form des Anagramms. „Das Suchen in einem Satz nach einem anderen Satz. Die Konzentration und die große Stille, die diese Arbeiten verlangen, geben ihr die Chance, sich gegen die Umwelt vollkommen abzuschließen. Das ist es, was sie will“, schrien sie über ihr Dichten. Wenige Jahre später stürzte sie die Geisteskrankheit in eine Krise, aus der sie nicht mehr herausfand. 1970 sprang sie aus dem Fenster.
Stammelnd, stotternd, krächzend trägt Katarina Rasinski die Verse vor. Manchmal ist es, als höre man jemand im Schlaf sprechen, manchmal singt sie wie selbstvergessen spielende Kinder oder schwingt sich Phantasiesprache plappernd in Zürns Zeilen ein. Hinein in den „Sinn“ und wieder hinaus. Bilder werden zusammengeschoben und zerfallen; für Momente spinnt sich der Faden einer Geschichte zusammen, um gleich wieder zu zerfasern: „Rest: DAS NA IGDI / ist der anamitische Dang-Gam- / Gam-Gan-dit“. Die strenge Form und ein vom Zwang des Bedeutens befreiter Inhalt: Diese Spannung wird gespiegelt von der zwischen Free Jazz, Neuer Musik und Bargeklimper hin- und herpendelnden, um die Texte kurvenden Begleitung. Begleitung, die keine ist: Bernhardt Arndt (Piano) und Matthias Gassert (Schlagzeug) illustrieren die Texte nicht, sondern gehen ein paar Momente lang neben ihnen her, um ihnen dann wieder ins Schienbein zu treten. Gegenläufige übersetzungsprozesse von Worten in Laute, von Lauten in Musik und zurück, kreuzen die Bühne. Dichter hätte man die Texte nicht interpretieren können.
Die Performance im Weinhaus Huth war Auftakt einer Veranstaltungsreihe, mit der die Mercedes-Tochter debis ihre Baustelle am Potsdamer Platz beleben und veredeln will. Die nächsten drei Aufführungen der „Anagramme“ sind im Theater zum westlichen Stadthirschen zu sehen. Jörg Häntzschel
„Anagramme“ von Unica Zürn. 7.–9. August, 21 Uhr, Theater zum westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37, Kreuzberg
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