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Zweifel

■ betr.: „Der Tod im Bett wurde zum Luxus“ (Mord – die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln) von Barbara Kerneck, taz vom 28. 7. 95

Unter „Genickschuß“ versteht man etwas anderes. Sergej Kirow wurde zwar auf bislang ungeklärte Weise in seinem Büro von einem Attentäter erschossen. Ziemlich sicher war Stalin der Urheber dieses Attentats. Mehr weiß man nicht. Im Kopf und Genick fand man keine Schußwunden.

Und bei dieser Gelegenheit: Es ist mehr als zweifelhaft, daß Zar Nikolaus I. mit dem für Puschkin tödlich verlaufenen Duell irgend etwas zu tun hatte, ja, es ist sogar ausgeschlossen. Der stattliche Mann tanzte zu gern mit der schönen, etwas leichtfertigen, jungen Frau Puschkins, mit der er aber kein Verhältnis hatte. Nach Puschkins Tod konnte er nicht mehr mit ihr tanzen. Dafür hat er sie und ihre Kinder großzügig versorgt. Rudolf Augstein,

„Der Spiegel“,Hamburg

Anmerkung der Autorin:

Lieber Herr Augstein,

ich bin gern bereit Ihnen entgegenzukommen, was Ihre Zweifel in Bezug auf das „Wohin“ des tödlichen Schusses auf Sergej Kirow betrifft. Das Wort „Genickschuß“ habe ich aus der zitierten Stalin-Biographie von Antonow-Owsejenko. Es deckt sich mit einem Reuter-Bericht zum 60. Todestag Kirows, den die Moscow-Times am 1. 12. 1994 brachte. Da ich aber bei dem Mord nicht dabei gewesen bin, konzediere ich, daß Ihre Quellen zutreffender sein könnten.

Schier unüberwindlich scheinen unser beider Differenzen in bezug auf das „Wo“ des Mordes. Da geben nun ausnahmslos alle von mir benutzten Quellen nicht Kirows Büro im Smolnyj an, sondern den Korridor davor. Was sich, kurz nach dem Schuß, um Leiche und Attentäter abspielte, hätte in kein Kabinett gepaßt.

In bezug auf Zar Nikolaus kann ich Ihnen nicht folgen. Wann je hätte einen „stattlichen Mann“ der Umstand, daß er gern mit einer schönen Frau tanzt und sich ihr gegenüber leutselig verhält, daran gehindert, deren Ehemann nach dem Leben zu trachten? Zumal wenn der sein politischer Gegner war? Führende Vertreter der russischen Intelligenz haben fast zwei Jahrhunderte lang Zar Nikolaus zumindest indirekt, direkt aber seiner Entourage, die Schuld an Puschkins Duell-Tod gegeben. Immerhin ging die Sympathie des Zaren für Puschkins Frau, Natalja Gontscharowa, so weit, daß er die Korrespondenz des Ehepaares überwachen und sich über deren Inhalt berichten ließ. Die sogenannte „Dritte Abteilung“ war als Geheimpolizei des Zaren geradezu spezialisiert darauf, Fehlinformationen und Gerüchte in die Gesellschaft zu streuen. In diesem Zusammenhang gibt die Frage zu denken, woher die acht anonymen Briefe über den Lebenswandel seiner Frau stammten, die der Dichter kurz vor seinem Duell mit deren angeblichem Liebhaber erhielt. Bezeichnend für die todbringende Atmosphäre am Zarenhof war kurz darauf die Verbannung des Dichters Michail Lermontow in den Kaukasus. Dies war die Rache des Zaren für Lermontows Gedicht „Der Tod des Dichters“, in dem Hofkreise des Mordes an Puschkin beschuldigt wurden. Lermontow kam seinerseits in einem inszenierten Duell ums Leben.

Allerdings tut es mir leid, wenn ich den Eindruck erweckt habe, die Rolle der Person Nikolaus bei Puschkins Tod zu überschätzen. Die Dichterin Marina Zwetajewa schrieb: „Der Pöbel, hier in Gardekavallerieuniform, tötete den Dichter. Eine Gontscharowa aber, und ein Nikolaj der Erste: das findet sich immer.“

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