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Wahlkampf der rechten Visionen

Das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner zeigt, wie sehr die Partei nach rechts gerückt und von christlichen Fundamentalisten beeinflußt ist  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Seine Chancen auf Erfolg werden allgemein auf Null geschätzt. Doch Arlen Specter kann sich jetzt schon rühmen, im innerparteilichen Ringen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur die ausgefallenste Strategie präsentiert zu haben. Der Senator aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania verstößt lauthals und unverdrossen gegen ein heiliges Dogma der Republikanischen Partei: Specter will im Fall seiner Wahl unter allen Umständen das Recht der Frau auf Abtreibung bewahren.

Das macht ihn zur Persona non grata der christlichen Rechten, ohne deren tatkräftige Unterstützung, so die herrschende Meinung, keiner die nötige Mehrheit im Vorwahlkampf gewinnen kann, um 1996 gegen Bill Clinton anzutreten. Entsprechend fleißig bemühen sich die anderen Kandidaten vor allem um die Gunst der von Pat Robertson gegründeten „Christian Coalition“ mit ihren 1,6 Millionen aktiven Mitgliedern und ihrem Jahresbudget von 25 Millionen Dollar.

Bob Dole, dem als Elder statesman zur Zeit die besten Chancen ausgerechnet werden, reklamierte unlängst im Senat als Erfolg, Bill Clintons Kandidaten für das Amt des Leiters der Gesundheitsbehörde, Henry Foster, abserviert zu haben, weil Foster in seiner Laufbahn als Frauenarzt auch Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt hatte. Um Fosters Sturz hatte sich maßgeblich Phil Gramm bemüht, Senator aus dem Bundesstaat Texas mit einem sagenumwobenen Talent, Wahlkampfgelder einzusammeln.

20 Millionen Dollar braucht jeder Kandidat nach Schätzungen von Wahlkampfexperten. Gramm benötigt vielleicht noch mehr, um seine Sympathiewerte aufzubessern, die landesweit etwa so hoch sind wie seinerzeit die von Franz Josef Strauß außerhalb Bayerns. Pat Buchanan, erzkonservativer Fernsehmoderator, der schon im letzten Vorwahlkampf George Bush das Leben schwermachte, sucht seine Nische mittlerweile gar rechts von der Christian Coalition, weil diese seiner Ansicht nach in der Abtreibungsfrage zu „moderat“ sei und nicht für ein verfassungsrechtliches Verbot mobilisiere.

Doch gerade wegen ihrer moderateren Rhetorik und ihrer modernisierten Organisationsstruktur hat die Christian Coalition unter ihrem 33jährigen Direktor Ralph Reed nicht nur enormen Einfluß auf die Partei, sondern auch ein faktisches Vetorecht bei der Auswahl des Präsidentschaftskandidaten erlangt. In 18 Bundesstaaten, so resümiert die Zeitschrift Campaigns & Elections, ist die Christian Coalition mittlerweile die dominierende Fraktion innerhalb der Republikaner, in 13 weiteren übt sie maßgeblichen Einfluß auf Kandidatenauswahl und politische Inhalte aus.

Allerdings haben die Christian Coalition und andere christlich- fundamentalistischen Lobbygruppen hier nicht im Handstreich ein Parteischiff gekapert. Man ist vielmehr bereitwillig aufeinander zugeschwommen. Die Republikaner haben ihr politisches Zentrum deutlich nach rechts bewegt; Reed hat seine Organisation in den politischen Mainstream manövriert, indem er das inhaltliche Spektrum erweiterte. Die Christian Coalition, einst ausschließlich für ihren kompromißlosen Standpunkt in Sachen Abtreibung und Schulgebet bekannt, fordert heute im Einklang mit dem parlamentarischen Mehrheitsführer der Republikaner, Newt Gingrich, die Abschaffung der bundesstaatlichen Sozialhilfe, mobilisiert gegen Pornographie auf dem Internet, kritisiert die UNO, propagiert Steuersenkungen und die Einführung einer „flat tax“, einer linearen Besteuerung, unabhängig von der Höhe des Einkommens. Mit dieser Strategie, so schrieb unlängst die Zeitschrift Time, sei Reed die „stärkste Durchdringung der säkularen amerikanischen Politik durch eine religiöse Organisation in diesem Jahrhundert“ gelungen.

Der Rechtsruck der Republikaner wiederum begann nicht erst mit dem Auftauchen Ronald Reagans und der Basisorganisation der christlichen Rechten, sondern mit der „Versüdstaatlichung“ der Republikanischen Partei. Die, so schreibt der US-Publizist Michael Lind in der Zeitschrift New Republic, begann mit dem Protest der weißen – und traditionell demokratisch wählenden – Bevölkerung in den Südstaaten gegen die Bürgerrechtsgesetzgebung der Kennedy- und Johnson-Administration – einem Protest, den der damalige erzkonservative republikanische Präsidentschaftskandidat Barry Goldwater für seinen Wahlkampf gegen Johnson nutzte.

Goldwater verlor, doch die Wandlung einer durch moderate, prostaatliche Konservative aus den Nordstaaten geprägten Partei hin zu einer Partei des „Southern Bourbon“-Konservativismus hatte begonnen. Dessen Merkmale sind: minimale Besteuerung, minimale staatliche Leistungen und eine tiefverankerte Abneigung gegen gesellschaftliche und politische Reformen.

In diesem Umfeld kam es in den siebziger Jahren zu den Allianzen zwischen Republikanern und den ersten Televangelisten wie Jerry Falwell. Auf dieser ideologischen Basis harmoniert derzeit die christliche Rechte mit anderen Fraktionen, die ihre politische Heimat bis auf weiteres bei den Republikanern verortet haben: Antiföderalisten und Anhänger des sogenannten „states-rights-movement“, das den Einzelstaaten eine Vormachtstellung bei der Gestaltung der US- amerikanischen Politik geben will; konservative Kommunitaristen und Libertäre; außenpolitische Isolationisten; Anhänger der „supply-side“-Ökonomie und radikale Gegner jeder Form von Staatsverschuldung.

Glaubt man William Kristol, mittlerweile intellektueller Guru der Republikaner, so sind all diese Fraktionen durch zwei Faktoren vereint: den festen Glauben, eine republikanische Mehrheit über mehrere Generationen zu manifestieren, sowie durch eine konservative Vision: „die Wiederbelebung der Zivilgesellschaft mit einem neolibertären, antistaatlichen Programm“. Deren tragende Säulen sind Familie und community, ein Begriff, der im US- amerikanischen Kontext sowohl das soziale Geflecht aus Nachbarschaft, Kirchengemeinde, Elternausschuß und Veteranenverband meinen kann wie auch eine ethnische Gruppe. „Wir sind die Partei der Ideen“, triumphiert auch Newt Gingrich, selbst ein eifriger Produzent von Visionen, die er seit kurzem wieder einmal als Buch über die „Erneuerung Amerikas“ verkauft.

Was die Produktion von Ideologie betrifft, so haben die Konservativen schon vor langer Zeit mit der Dominanz liberaler Think-tanks aufgeräumt. Gesellschaftliche Visionen werden heute in bestens finanzierten „Denkfabriken“ wie dem American Enterprise Institute, der erzkonservativen Heritage Foundation oder dem libertär orientierten Cato-Institute entworfen – und an die Republikaner weitergegeben.

Im anderen Lager findet eine intellektuelle Debatte nur auf ökonomischer Ebene statt, und da vor allem um die Frage, welche Rolle der Staat bei der Steuerung der enormen wirtschaftlichen Transformationsprozesse einnehmen soll. Das ist ein lobenswertes intellektuelles Unternehmen – gerade angesichts des immer größer werdenden Grabens zwischen Arm und Reich und der rapiden Ausweitung von Niedriglohnarbeit. Doch ohne gesellschaftliche Visionen und eine politische Persönlichkeit – die in der Regel der Präsident ist –, die diese glaubhaft verkauft, lassen sich in den USA keine Mehrheiten bilden. Visionen und Ideen zu propagieren, argumentiert Jeff Faux, Direktor des dem linken Parteiflügel der Demokraten nahestehenden Economic Policy Institute, ist besonders notwendig, wenn es gilt, eine traditionell dem Staat skeptisch bis ablehnend gegenüberstehende Gesellschaft von der Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu überzeugen.

Ob die Republikaner daraus langfristig Kapital schlagen können, ist fraglich. In ihrer anhaltenden Euphorie über den Sieg bei den letzten Kongreßwahlen befinden sich viele in der irrigen Annahme, 1994 habe eine Neuanbindung der Wähler an die Partei stattgefunden. Unbestritten ist jedoch, daß inzwischen keine der beiden Parteien mehr eine gesellschaftliche Mehrheit für sich reklamieren kann. Der seit Jahren anhaltende Trend der Loslösung der Wähler von den Parteien hält unvermindert an. Die Zahl derer, die sich als parteiunabhängig verstehen und nach den Worten Michael Linds „faktisch eine dritte Partei aus unangebundenen und entfremdeten Wählern“ darstellen, ist auf etwa ein Drittel der Wählerschaft angewachsen. Tendenz steigend. Die Demokraten haben darunter aufgrund der wachsenden Konflikte zwischen ihren traditionellen Wählerklientelen mehr gelitten, doch die Republikaner haben davon keineswegs profitiert.

Vor diesem Hintergrund erscheint plötzlich die Strategie des Außenseiters Arlen Specter gar nicht mehr so abwegig. Mit seiner Befürwortung des Rechts auf Abtreibung will der Senator aus Pennsylvania nicht nur den in sozialen Fragen liberalen Flügel seiner eigenen Partei mobilisieren. Es ist auch ein klares Signal, daß er parteiübergreifend und parteiunabhängig Wahlkampf machen will. Natürlich nicht zu unabhängig: Den Abbau staatlicher Strukturen und Programme predigt auch er. Von dieser Strategie hofft Specter bei den Vorwahlen in jenen 22 Bundesstaaten zu profitieren, in denen auch Nichtmitglieder der Parteien oder Mitglieder der gegnerischen Partei ihre Stimme abgeben dürfen.

Specter könnte allerdings seine Sonderstellung an den kalifornischen Gouverneur Pete Wilson verlieren, der erst vor einigen Wochen in das Rennen um die Kandidatur einstieg. Wilson gilt als Konservativer in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik, als moderat in sozialen Fragen wie Abtreibung oder Schulgebet. Vor allem aber gilt er als kühl rechnender Stratege mit einem nachweisbaren Hang zum Opportunismus. Noch sucht er offenbar sein Heil eher im konservativen, vorwiegend weißen Wählerpotential.

Die Rechenspiele aller republikanischen Bewerber und Bill Clintons werden jedoch durch einen riesigen Unsicherheitsfaktor durcheinandergebracht: die mögliche Kandidatur Colin Powells, des schwarzen Ex-Chefs des US-Generalstabs und Helden des Golfkriegs. Hofiert wird er von beiden Seiten – nicht zuletzt, weil beide Seiten seine Kandidatur als Unbhängiger fürchten: Mit Clinton unzufriedene „Demokraten“ hätten ihn gern als innerparteilichen Gegenkandidaten des Präsidenten; im Lager Bob Doles hätte man ihn gern als potentiellen Vizepräsidenten.

Doch die enorme Popularität, die der General a.D. derzeit genießt, liegt vor allem daran, daß er bislang als parteiunabhängig wahrgenommen wird. Darüber hinaus fehlen ihm alle schlechten Eigenschaften von Ross Perot. Er ist ein Volksheld – und aufgrund seiner Hautfarbe könnte er zumindest für einen Wahlkampf die von den Demokraten enttäuschte schwarze Wählerschaft ebenso hinter sich bringen wie viele der „angry white males“, der „wütenden weißen Männer“. Denn einerseits benennt Colin Powell Rassismus als fortwährendes Problem in den USA, andererseits repräsentiert er den American dream, jenen Mythos, wonach auch unter widrigen Umständen nach oben kommen kann, wer nur richtig will.

Noch weigert sich Powell, sich zu erklären. Aber er genießt offenbar die Spekulationen – und tut nichts, um sie zu entkräften.

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