: "Wir sind verkauft worden"
■ Die serbischen Einwohner der Krajina sind fast alle auf der Flucht. Bosnische Kroaten werden aus Banja Luka vertrieben. Die ethnische Säuberung paßt allen Nationalisten ins Konzept. Die Hilfe reicht nicht aus.
Banja Luka (AP) – Lange Flüchtlingstrecks schleppen sich durch Nordbosnien. Erschöpft, verängstigt und hoffnungslos sind die Menschen, die vor der kroatischen Eroberung der Krajina in den serbischen Teil Bosniens fliehen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) rechnet mit bis zu 120.000 Menschen. Zwar betonte die Zagreber Regierung, die serbisch-kroatischen Bewohner könnten bleiben. Doch die Vertreibungen passen ins Konzept jener Nationalisten auf allen Seiten, die für „ethnisch reine Gebiete“ eintreten. Aus Banja Luka in Nordbosnien werden denn auch bereits Kroaten aus ihren Häusern gejagt.
Die serbischen Flüchtlinge selbst hadern jedoch weniger mit den kroatischen Siegern, sondern mit ihren Brüdern in Bosnien und Serbien. „Wir sind verkauft worden“, sagt ein kroatisch-serbischer Soldat, der seinen Namen nur mit Neno angibt. „Erst haben sie Grahovo und Glamoc verloren, fast ohne einen Schuß abzugeben, und danach war es nur eine Frage von Tagen bis zum Fall von Knin“, sagt er weiter. Die Eroberung der beiden Orte im serbisch gehaltenen Westbosnien vor zehn Tagen verschaffte den Kroaten eine strategisch gute Ausgangslage für den Angriff auf die Krajina.
Für Neno und seine Freunde Drago und Simo war angesichts der ausbleibenden Hilfe seitens der Serben in Rest-Jugoslawien und in Bosnien klar, daß die Entscheidung über ihr Schicksal über ihren Kopf hinweg getroffen wurde. „Wenn du erkennst, daß dein Volk und dein Land in einem dreckigen politischen Spiel verkauft wurden, daß deine Freunde und Verwandten vergeblich ihr Leben gegeben haben, dann ist das zum Kotzen“, fluchte Simo.
Teilweise sind die Kolonnen aus Bussen, Autos und Traktoren 20 Kilometer lang, mit denen die kroatischen Serben in Nordbosnien unterwegs sind. „Wir haben es hier mit einer großen humanitären Katastrophe zu tun“, beschreibt Mans Nyberg vom UNHCR die Lage. Seine Organisation und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) versuchen, das Elend mit Lebensmitteln, Medikamenten, sanitären Einrichtungen und Decken zu mildern. Serbische Landsleute helfen aus mit dem, was sie haben.
Doch die Spirale des Leids und der Vergeltung an Zivilisten hat sich ebenfalls weitergedreht. Der römisch-katholische Bischof von Banja Luka, Franjo Komarica, erklärte, Kroaten würden aus ihren Häusern vertrieben. Wie Nyberg ergänzte, befindet sich eine unbekannte Zahl kroatischer Zivilisten inzwischen auf dem Weg von Nordbosnien nach Kroatien.
Kroaten kehren in die Krajina zurück
Dagegen warten rund 100.000 Kroaten, die 1991 von Serben aus der Krajina vertrieben worden waren, auf die Rückkehr in ihre Heimat. Nur wenige wie Ankica Coric hegen keine Aggression gegen jene Serben, die in ihre Häuser einzogen. „Das waren doch nur ein paar Jungs aus einem sehr armen Dorf in der Nachbarschaft“, sagte sie. Frau Coric lebt seit vier Jahren mit ihrer fünfköpfigen Familie in einem Hotelzimmer in Split. „Jetzt können wir zurück“, sagt sie, „und das ist unser ganzer Sieg. Es ist uns egal, was ihnen jetzt passiert.“
Wo die serbischen Flüchtlingstrecks enden werden, ist noch ungeklärt. Radio Belgrad meldet, daß 80.000 Menschen Richtung Serbien unterwegs seien. In anderen Meldungen heißt es, ein Teil der Flüchtlinge solle in Ostslawonien an der Grenze zu Serbien eine neue Heimat finden. Dieses Gebiet wird von kroatischen Serben gehalten.
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