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Gottes Mailbox

■ Im Bremer Dom befriedigt eine „Gebetswand“ religiöse und soziale Bedürfnisse der Gläubigen

„Lieber Gott, bitte kauf mir einen Mercedes-Benz!“ „Paß auf meine Hüften auf!“ „Mach, daß meine Freundin schwanger wird!“ „Mach, daß ich die Ausbildung im Berufsbildungswerk schaffe und fiele nette Menschen kennenlerne!“ Gott ist ziemlich gefordert, nicht nur orthographisch. Im Bremer St. Petri-Dom, links unter dem ersten Rundbogen steht seit zwei Jahren eine „Gebetswand“. Eine mächtige Kerze beleuchtet mild das schattige Gewölbe, das eine Pinnwand schmückt. Drei bis vier Dutzend Nachrichten, manche nehmen mehrere Seiten ein, warten derzeit auf Erfüllung. Und ein allzeit bereiter Notizzettelspender befriedigt spontane religiöse Äußerungen. Denn die frommen und weniger frommen Wünsche am Schwarzen Brett richten sich nicht an den Küster oder die Domgemeinde, sondern weisen geradewegs ins Metaphysische.

Und zwar in allen möglichen Sprachen. Auf englisch wird um Frieden in Bosnien gebetet, auf französisch um ein demokratischeres Afrika. Kyrillische Schriftzeichen gibt es da, und in gebrochemem Deutsch hofft jemand darauf, in Bremen wohnen zu dürfen. Erstaunlich, welche Bandbreite die Nachrichten der Gläubigen – alle eint das quadratische Papierformat – haben. So sehr sich die Herzen öffnen, so wenig geben sich die Absender preis: Alle Bekennerbriefe sind anonym. Tiefempfundene Genesungswünsche, innige Liebesschwüre, Offenbarungen des eigenen Glaubens, Belanglosigkeiten, Religionskritik und offene Schmähungen – alles ist dabei.

Das Pastorenehepaar Flügger hatte die Idee aus der Nürnberger St. Lorenz-Gemeinde mitgebracht. Wo sie auf reges Interesse stieß. Warum also nicht auch in Bremen einen Ort schaffen, der die Anonymität bewahrt und dem sozialen wie religiösen Bedürfnis der Menschen entgegenkommt? Zumal die Gebetswand in Bremen keine Konkurrenz hat.

Gut, daß es Dich gibt!“ „Mach, daß meine Tochter ihren leiblichen Vater zum Vater kriegt!“ Wie erklärt sich der Erfolg der Gebetswand, die mehrmals wöchentlich gelichtet und gesichtet wird? „Die Leute halten es nicht mehr aus mit ihren Problemen“, sagt Pastorin Flügger, „und in ihrer Umgebung gibt es immer weniger Gesprächspartner, wie ja auch der Zulauf auf Psychotherapeuten und die Telefonseelsorge beweist.“

Und: „Wir wollen zeigen, daß Kirchen nicht nur museale Räume sind und nur sonntags von 10 bis 11 belebt sind.“ Da bietet sich der Dom mit seinen halbwegs großzügigen Öffnungszeiten und dem vielen „Publikumsverkehr“ geradezu an.

„Wir sind natürlich auch direkt ansprechbar, aber viele Leute sind zufrieden, wenn sie wissen, daß andere ihre Gebete an der Tafel wahrnehmen“, sagt die Pastorin. So gedacht sei es zwar nicht, aber vorkommen tue es, daß die Neugierigen, die sich immer wieder vor der Gebetswand einfinden und sich kichernd die Zettel vorlesen, die an Gott adressierten Botschaften einfach mitnehmen. Um zuhause für die Wünsche der Absender zu beten, wie die Pastorin optimistisch vermutet.

„Schick unsern Sohn auf den richtigen Schulweg (Schulzweig), der seinen Fähigkeiten entspricht!“ „Laß Pavel gesund werden oder daß er wenigstens keine Schmerzen mehr hat!“ Solche Fürbitten fließen auch schon mal in die Mittagsgebete der Pastoren ein und verschaffen ihnen Öffentlichkeit. Auch kritische Stimmen (“Ich kann nicht mehr an Dich glauben!“) werden nicht von der Tafel entfernt. Allenfalls „Veräppelungen“ und Obszönitäten. Die Küster kontrollieren bei ihren Rundgängen auch die Gebetstafel. „Eigentlich wollten wir die Wand ja in die Ostkrypta stellen“, sagt Pastor Sixt, „aber der Raum war zu wenig einsehbar. Da weiß man nicht genau, was da dann passiert.“ Ansonsten kümmert sich Sixt nicht viel um die Innovation aus Nürnberg: „Nicht jeder hat schließlich die gleichen Vorlieben.“

Doch eine stattliche Anzahl der Dom-Besucher hat in der Gebetswand offenbar Gefallen gefunden. Und sollte sich Gott auch nicht aller Gebete annehmen können, es geht keines verloren. „Wir heben alle Gebete auf“, sagt die Pastorin. Besonders vielleicht dieses:„Mach, daß der Bremer Dom erhalten bleibt!“

Alexander Musik

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