■ Rosi Rolands Bremer Geschichten
: Die Lüge als Berufskrankheit

Wer einem Politiker glaubt ist selber schuld – der Satz gehört schon zur Folklore. Sie kennen das. Da blicken wir in treue PolitikertInnengesichter und kriegen das Blaue vom Himmel heruntererzählt. Auch nicht schön.

Zum Beispiel: Da fuhr unlängst der Kollege Hoetzel vom Heimatfernsehen mit der Bahn. Nach Köln sollte es gehen. Und weil der Kollege Hoetzel gastronomischen Ge-nüssen nicht gerade abgeneigt ist, schlenderte er in den Speisewagen (Mitropa), einen Kaffee zu trinken. Dort freute er sich sehr, denn da saß schon einer, den er kannte: Manfred Morgenstern, der letzte grüne Mohikaner im neuen rotschwarzen Regierungsstamm. Großes Hallo, was machst du denn hier undsoweiter, man kann sich das vorstellen. Er sei auf dem Weg nach Bonn, sagte Morgenstern. So verplauderten die beiden ein paar Viertelstündchen, bis der Staatsrat merkwürdig unruhig wurde und sich, es war kurz vor Dortmund, nach einigem Hin- und Herruckeln mit den Worten verabschiedete, er müsse nochmal zum Aktenstudium ins Abteil. So gingen die beiden auseinander, und der Kollege H. hatte keinen Grund zum Mißtrauen.

Hätte er haben sollen: Gleißende Lügen, die ihm der Politiker da mit gespielter Treuherzigkeit aufgebunden hatte. Die Wahrheit war nämlich: Morgenstern sitzt im Speisewagen und ist auf dem Weg, nicht etwa nach Bonn, sondern nach Düsseldorf, in geheimer Mission. So geheim, daß gerade in Bremen niemand davon wissen sollte, schon gar keiner vom Heimatfernsehen. Denn Morgenstern war auf dem Weg zu einem Vorstellungstermin beim neuen grünen Bauminister Michael Vesper im neuen rot-grünen Kabinett von Nordrhein-Westfalen. Da sollte er Staatssekretär werden.

Das aber hieß, daß er in Dortmund umsteigen mußte. Dumm nur, daß er die Geschichte mit Bonn schon erzählt hatte, weil man nämlich in Dortmund umsteigen muß, wenn man nach Düsseldorf will und gar nicht umsteigen, wenn es nach Bonn gehen soll. So kam es, wie es kommen mußte: Mit demselben treuherzigen Gesicht erzählte Morgenstern die zweite Unwahrheit. „Notlüge“, versucht er die Geschichte heute zu korrigieren. Irgendwann wird das als Berufskrankheit anerkannt. Nur schade, daß wir am Dortmunder Bahnhof nicht Mäuschen sein durften, als ein Herr mit hochgeschlagenem Jackenkragen geduckt aber pfeilschnell in der Unterführung verschwand, findet Ihre Rosi Roland