: „Wir kehren sicher zurück“
■ China in Bremen (4) – heute: chinesische Jugendliche Von Ming Yin und Yu Xi
Vier chinesische SchülerInnen aus Bremen sind sich einig: „Wir werden nach Hause nach China zurückkehren, wenn wir erwachsen sind.“ Der 13jährige Xiang Lee, der sonnengebräunt ist, kam vor einem Jahr von Beijing nach Bremen. Seine Eltern haben hier ein Reisebüro. Seit der kleine Lee 6 Jahre alt war, lebte er allein mit seinen Großeltern in Beijing. Im letzten Jahre konnte er endlich zu seinen Eltern nach Deutschland kommen, aber er fühlt sich immer noch sehr einsam. Denn in Beijing waren die Großeltern immer in der Nähe und immer für ihn da. Hier in Bremen sind seine Eltern aber sehr viel unterwegs, für ihn können sie sich nur ganz wenig Zeit nehmen. „Aber während meiner Sommerferien geht die Mutti erst um zehn zur Arbeit, um mich etwas länger begleiten zu können“.
In diesen Ferien hat Lee viel Tennis gespielt und geschwommen, deswegen ist er jetzt viel brauner als die anderen chinesischen Jungen. Er kann schon ziemlich gut Deutsch, und in der Schule hat er sich auch mit seinen deutschen Kameraden befreundet. Er will zuerst hier sein Abitur machen und dann weiter in Deutschland studieren – asiatische Wirtschaft. „Zur Zeit lerne ich Deutsch, ich will noch Englisch und Japanisch lernen. Eines Tages werde ich meine eigene Firma in China haben.“
Xiaoli Lee, 15 Jahre alt, kam im letzten Jahr aus Dalian, der chinesischen Partnerstadt von Bremen. Sein Vater arbeitet in der Auto- und Kommunikationsbranche. Seine Mutter war in China Medizinerin. Jetzt ist sie nicht berufstätig. Was Xiaoli sehr gewundert hat ist, daß sich hier in Deutschland Mädchen und Jungen mit 12 oder 13 Jahren schon ineinander verlieben. Aber niemand wird ihnen deswegen Vorwürfe machen.
In diesem März hat er mit seinen Schulkameraden einen Ausflug gemacht. Da hat er gesehen, daß sich zwei seiner Klassenkameraden, ein Mädchen und ein Junge von 13 Jahren, sehr intim geküßt haben. Im Kinderfernsehprogramm „Wunderbare Jahre“ hat er auch viele solche Aufnahmen gesehen. Er sagt offen, daß einige Mädchen in seiner Schulgruppe „ihn gern hätten“, aber er habe es bis heute noch nicht probiert. In China spricht man nie öffentlich über Liebe und Sexualität. Die Schüler dürfen sich auf keinen Fall ineinander verlieben. Wer das wagt, muß damit rechnen, mit Vorwürfen überhäuft zu werden. Kein Wunder, daß sich Xiaoli über das Verhalten seiner Kameraden gewundert hat.
Im Vergleich mit Xiaoli ist das 18jährige Mädchen Yue Li viel erfahrener. Vor fünf Jahren ist sie mit ihrem Vater nach Bremerhaven gekommen, wo sie dann vier Jahre wohnten, bevor sie vor einem Jahr nach Bremen zogen. Ihr Vater arbeitet in einer Bremer Spedition. Das ein Meter siebzig große Mädchen (für chinesische Verhältnisse ist das schon sehr groß für eine Frau) hat typische chinesiche Schlitzaugen. Sie spricht ganz offen, daß sie sich nun in einen Deutschen verliebt hat. Die beiden sind sehr häufig zusammen, bummeln Hand in Hand herum. Am Anfang hat sich ihr Vater darüber sehr geärgert, denn sie hat es ihm gegenüber verschwiegen. Jetzt verlangt der Vater nur noch von ihr, daß sie die Adresse und Telefonnummer zu Hause lassen soll, wenn sie am Abend ausgeht, damit er jederzeit weiß, wo er seine Tochter finden kann. Wenn sie spät in der Nacht nach Hause kommen möchte, holt sie der Vater auf jeden Fall ab. „Du bist meine einzige Tochter. Ich bin für dich verantwortlich“, meint ihr Vater.
Yue kann ihren Vater zwar verstehen, aber sie findet trotzdem, daß er sich zu viele Sorgen um sie macht. Ihr Freund ist Mitglied der Grünen, China interessiert ihn sehr. Yue erzählt ihm viel von ihrer Heimat. Sie seien zusammen sehr glücklich, sagt sie. Aber Yue kann nicht verstehen, warum ihr Freund zu seiner Mutter so unfreundlich ist. Es ist sehr oft passiert, daß der Sohn seine Mutter beim Sprechen einfach mit „Halt die Klappe!“ unterbrach. „Ich würde nie so etwas zu meinen Eltern sagen“, sagt Yue.
Die vier jungen Chinesen besuchen alle hier die deutsche Schule. Die Schule erscheint ihnen viel lockerer und leichter als in China. Das Schulsystem in Deutschland hat auf Jing Jin, mit 15 Jahren nach Bremen gekommen, einen tiefen Eindruck gemacht. In der Schule haben sie alle die Möglichkeit, sich selbst frei zu entfalten. „In einem Semester habe ich Musikunterricht gewählt. Der Lehrer hat mir dann die Chance geboten, ein Referat über Erhu, die chinesische Geige, zu halten. Es hat sehr gut geklappt. Mit der Hilfe des Lehrers habe ich noch einen Artikel über den Roman ,Die Familie' von Ba Jin, dem berühmten chinesischen Schriftsteller, geschrieben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich in China auch so etwas schaffen würde.“
Yue Li vergleicht: In Beijing interessieren sich die Jugendlichen überhaupt nicht dafür, was anderswo auf der Welt passiert, es ist ihnen völlig egal. Denn sie stehen unter dem Druck der schweren Schularbeit. Hier in Deutschland gibt es dagegen viele verschiedene Veranstaltungen und Möglichkeiten für die Schüler, sie können frei nach ihren Interessen aussuchen. „Nachdem Frankreich Atomtests angekündigt hat, haben viele Schüler spontan dagegen auf der Straße protestiert. Ich habe auch daran teilgenommen“, erzählt Yue.
Yue betonte noch die Ehrlichkeit zwischen ihren deutschen Kameraden. „Als ich von Bremerhaven nach Bremen zog, fiel es meinen Freunden schwer. Sie haben dreimal eine Abschiedsparty für mich organisiert, wir haben zusammen getrunken, viel gesprochen – offen und ehrlich. Wir haben uns gut verstanden. Beim Umzug haben uns viele geholfen. Das werde ich nie vergessen. Aber als ich noch in Beijing war, kam es mir vor, daß das Vertrauen zwischen meinen Kameraden fehlt. Da hatte ich keine richtigen Freunde.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen