: Kindheitsmief in Huntehütte
■ Horst Janssen: Einst uneheliches Kind im schnieken Sonntagaanzug, heute lieggewonnener Herzeigesohn und Ehrenbürger der Stadt
Oldenburg bedeutet für Horst Janssen Kindheit. Hier hat der malende Zeichner, der seit über 50 Jahren in Hamburg arbeitet und derzeit an den Folgen eines schweren Schlaganfalls leidet, die Jahre 1930 bis 1941 verbracht. Hier lebten Opa und Oma, seine wichtigsten Bezugspersonen. Immer wieder erzählt der hoch gehandelte Zeichner, Grafiker und Autor gern, wie Opa die Speckgrieben aus den Pfannkuchen rausgefummelt habe, von den Gerüchen an Omas Küchenschürze und seinem liebsten Spielplatz, der Schneiderwerkstatt.
Und Oldenburg nutzt die Gefühlsduselei des alternden Zeichners für immer neue Huldigungen. Weil die Stadt eben 650 und ihr Lieblingskünstler 65 Jahre alt geworden ist, wird am Sonntag in vier Museen eine Mammut-Retrospektive (Besprechung in der Montags-taz) gezeigt. Das städtische Presseamt spricht von der „bisher umfangreichsten Gesamtschau des künstlerischen Schaffens von Horst Janssen“. Weil dieser jedoch krank ist, werden bei der Eröffnung am Sonntag ironische Hiebe des Wort-Künstlers gegen biedermeierlichen Kleingeist fehlen.
Die OldenburgerInnen sind um so stolzer. Schließlich hat der Herzeigesohn ein ungewöhnlich umfangreiches Werk geschaffen mit vielen tausend Zeichnungen, Aquarellen, Radierungen, allesamt gegenständlich und überwiegend in Privatbesitz, und mindestens 40 Büchern und Katalogen. Motive aus der Kindheit wie das großelterliche Haus und Opa tauchen immer wieder auf. Die knochige Mutter hat sein Frauenbild geprägt.
Daß der Mann, der mit Zeichenstift, Feder und Pinsel meisterhaft Kauziges festhält, gerademal ein Sechstel seines Lebens an der Hunte verbrachte, stört da wenig. Als dem Künstler 1990 ein Preis der Kulturorganisation Oldenburgische Landschaft verliehen wurde, hieß es in der Laudatio kleinkariert: „Er ist eben Oldenburger, die Hamburger mögen es verschmerzen.“ Und bei der Ernennung zum Ehrenbürger von Oldenburg sprach man vor drei Jahren ganz selbstverständlich von einem Oldenburger Künstler.
Dabei begann die Beziehung Oldenburg – Janssen recht kompliziert. Zwei Wochen nach der heimlichen Entbindung in Hamburg war Martha mit dem unehelichen Söhnchen nach Oldenburg zurückgekehrt. In ihrer Nähstube in der Georgstraße hielt die Damenschneiderin das Kind versteckt, aus Angst vor Tratsch. Doch das Säuglingsgeschrei machte den Fauxpas öffentlich. Von nun an brachte der Großvater den Jungen durch.
Mit welchen Tricks sich die Mutter schließlich abmühte, aus Horst etwas besseres als Oldenburger Mittelmaß zu machen, beschreibt Janssen-Biograph Stefan Blessin: „Sonntags zog sie den Kleinen fein an. Das Hemd mit Spitzenmanschetten und Rüschenkragen machte ihn fast zum Mädchen. Im Café Bohlmann hob sie ihn auf den Tisch, ließ seine blonden, nach innen gerollten Locken sehen. Im Schloßgarten machte sie die Runde, der dünnbeinige Horst im Sonntagsanzug mit weiß abgesetztem Mantelaufschlag an ihrer Seite.“ Janssen kam sich wie ein Bastard im Feiertagsanzug vor, von den Altersgenossen mit „fanfarischem Gelächter“ verspottet.
1943 starb die Mutter an Schwindsucht. Bereits 1939 war der geliebte Großvater an Alterstuberkulose gestorben. Als man ihn von seinem Schneidertisch aus dem Hause trug, endete für Janssen die Kindheit. Der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen, und der Pimpf wurde in die Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Haselünne geschickte, für Janssen „eine auf den Millimeter genau durch und durch geordnete Zucht- und Kadettenanstalt in der Emsland-Walachei“. Anschließend landete er bei seiner Tante in Hamburg, wo ihm die Kunstakademie nach all der Enge wie eine Art Freigeisterkarneval vorkam.
Den Ausbruch ihres erwachsenen Sohns aus kleinstädtischem Mief und nationalsozialistischem Ordnungsdenken erlebten weder alleinerziehende Mutter noch Großeltern. „Dreckig, schlampert, verlottert und zerrissen, lustig, unbedenklich, bedenkenlos, physisch unerschöpflich, rabaukig und von gefährlichem Übermut getrieben, liebebedürftig, liebend, frech, dreist und witzig, lümmelig, überall anbändelnd und mitunter obszön.“ So beschrieb sich Wort-Künstler Janssen, nachdem seine in Oldenburg und Haselünne aufgestaute Jugend in einem Veitstanz explodiert war.
Mit der Härte der Mutter und dem Fehlen des Vaters versuchen Kritiker Janssens exzentrischen Lebensstil und frivole Auseinandersetzung mit Liebe und Tod bis heute zu erklären. Zeitlebens sei er auf der Suche nach Familie gewesen, sagen sie.
Doch in der Erinnerung sind die Oldenburger Jahre für Janssen goldene Jahre. Verdrängt sind das Defizit an Kindstollerei, die peinliche Pflicht, Marthas Näharbeiten mit einem Damenfahrrad an Kunden zu liefern, die aufbrausende Mutter, der schnell mal die Hand ausrutschte. „Oldenburg war umsorgte und behütete und beschützte Kindheit gewesen“, schreibt der Zeichner in seiner Autobiographie „Hinkepott“. Zwischen Großvater und Enkel bestand innige Freundschaft. In dem schlichten zweigeschossigen Handwerkerhaus, im Oldenburger Volksmund als Huntehütte bezeichnet, fühlte er sich wohl.
Bei soviel glättender Erinnerungsarbeit darf auch eine kleine Legende nicht fehlen: Just in der Oldenburger Schneiderwerkstatt soll die künstlerische Leidenschaft ihren Ausgang genommen haben: „Opa holte die hellen Kartons vom Regal herunter“, schreibt Biograph Blessin, „löste vorsichtig die Stoffproben ab, die er für die Kundschaft bereithielt, und gab seinem Enkel die Pappdeckel zum Malen. Horst vergaß dann, daß er lieber draußen gespielt hätte.“
Sabine Komm
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