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Terror im Terrier Trimmsalon

Von Anfeuchtapparaten und Zentralschmieranlagen: So manches, was wir bisher gar nicht kannten, wird uns nach Lektüre der Gelben Seiten unentbehrlich  ■ Von Ute Scheub

Lektüre ausgegangen? Die Zeitung ausgelesen, die Buchhandlung um die Ecke geschlossen? Macht nichts. Hier ein ganz heißer Lektüretip, garantiert in jedem Haushalt vorrätig: die Gelben Seiten. Nirgendwo sonst ist das Werkeln und Streben, Machen und Schaffen von Millionen seltsamer Großstadtbewohner in solch atmosphärischer Dichte festgehalten. Nirgendwo sonst können wir so viel über Dinge erfahren, die wir bis dato gar nicht kannten und jetzt nicht mehr in unserem Leben missen wollen: Anfeuchtapparate. Brautfahrzeuge. Corsets. Durchschreibesätze. Endlosformulare. Fettabscheiderwartungen. Glockenläutemaschinen. Haarverpflanzungen. Imageberatungen. Kalkeier. Läppmittel. Manometerfabriken. Nadellager. Oldtimervermietungen. Papierabreißapparate. Regenwurmzuchten. Schornsteinquerschnittsveränderungen. Tampondruck. Wächterkontrolluhren. Yachtsegelmachereien. Zentralschmieranlagen.

Die soziologischen und philosophischen Anregungen, die wir dem gelben Wunderbuch entnehmen können, sind immens: Wie fühlt man sich, wenn man den ganzen Tag Rabitzarbeiten erledigt hat? Brauchen wir wirklich derartige Mengen von Gabelstablerfahrschulen? Gibt es ein Wohlergehen für die Bewohner einer Stadt, in der es von Blindnieten, Schlüsselrohlingen und Verdunkelungsanlagen nur so wimmelt? Vor allem letzteres erweist sich vor dem Hintergrund des nicht unbeträchtlichen sadomasochistischen Potentials der Einwohnerschaft als durchaus gewichtige Frage.

Dieser latente Hang zum Sadomasochismus wird bei der Lektüre der Rubriken „Kosmetikstudios“ und „Schlankheitsinstitute“ nachgerade manifest. Neben „Lymphdrainagen“, „Mitesserabsaugungen“ und „Haarentfernungen mit Nadel und Heißwachs“ werden auch „Wimperndauernwellen“, „Tätowierung von Lippen, Lid und Augenbrauen“ sowie „Reizstrombehandlungen“ angeboten. Wer die siebenschwänzige Geißelpeitsche der Schönheit immer noch nicht genug gespürt hat, möge sich einer „Schälkur für Akne, Falten und Schwangerschaftsstreifen“, einer „Collagenfalten-Unterspritzung“ oder den „Hautschleifungen aller Art“ unterwerfen.

Ähnliche Angebote gibt es, siehe die Rubrik „Hundepflege“, auch für unsere kleinen Lieblinge. Zum Beispiel im „Terrier Trimmsalon“ oder in der „Tiermassagenpraxis“. Wenn Fiffi dann frisch geschert und getrimmt aus dem Ungezieferbad gezogen wird, hängt er wahrscheinlich heulend und hechelnd an der Leine. Dann schnell in der Rubrik „Tierärzte“ nachschlagen: Homöopathie, Akupunktur, Radiance oder Magnetfeldtherapie, das ist hier die Frage.

Überlebt er auch diese Behandlung, dann steht die Frage im Raume: Geht er zur Kur oder wir? Wenn wir die „tägliche Haustierbetreuung in Ihrer Wohnung“ ablehnen, können wir immer noch wählen zwischen „Urlaub für den Hund“, „Ferienheim Hund und Katze“ und der „Hundepension mit Familienanschluß“. Hat Fiffi aber inzwischen das Zeitliche gesegnet, ist auch hier schnell Abhilfe gefunden: siehe „Tierbestattungen“. Oder wir schauen nach unter „Tierpräparationen“ und lassen unser Hundchen „schnell“ und „naturgetreu“ ausstopfen. So bleibt er uns für immer im Kreise der Familie erhalten.

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