: Von Klassik bis leptosome Kritzeleien
Bewegung im alten Leseland: Die ehemaligen DDR-Verlage in Berlin fünf Jahre nach dem Neubeginn ■ Von Peter Walther
Als 1989 die Wirklichkeit in der DDR die Literatur einholte, brach der Markt für Bücher aus den Ost-Verlagen zusammen. Die potentiellen Leser, bis dahin auf ein Ersatzleben in der Literatur angewiesen, wo Opposition in Grenzen möglich war, hatten keine Zeit zum Lesen mehr.
Ebenso folgenreich für die wirtschaftliche Existenz der DDR- Verlage war die Veränderung der Leseinteressen im Osten. Wer mochte noch die ins Tierreich verpflanzte Gesellschaftskritik eines Tschingis Aitmatow lesen, wenn zur selben Zeit realsozialistische Polit-Thriller wie das Buch mit Mielke-Protokollen zu haben waren? Wer interessierte sich überhaupt noch für Gesellschaftskritik? Warum sollte die jahrelang mit Hochliteratur von Hermann Kant oder Helga Königsdorf beschenkte Kundschaft nicht endlich auch Trivialliteratur, Finanzratgeber oder Reiseliteratur kaufen sollen?
Bis sich die ostdeutschen Leseinteressen ungefähr auf den Stand der Spiegel-Bestsellerliste eingepegelt hatten, gab es noch einige Turbulenzen. Berühmt geworden ist der Fall einer riesigen Müllkippe, die nur aus den Lagerbeständen ostdeutscher Buchverlage bestand. Natürlich gibt es auch noch heute Unterschiede in den Leseinteressen und im Kaufverhalten in Ost und West. Wie aber sind die ehemaligen DDR- Verlage – speziell in Berlin – mit der wirtschaftlichen Umstellung, mit dem Wechsel der Besitzverhältnisse und der Orientierung auf den größeren Markt zurechtgekommen?
Belletristik nur am Rande
Der Henschel Verlag war zu DDR-Zeiten der wichtigste Theaterverlag, in dem außerdem Bücher zur bildenden Kunst, Musik und Architektur erschienen. 1945 gegründet von Bruno Henschel, der schon vor 1933 den Volksbühnenverlag leitete, gehörte er seit 1951 der SED. Nach 1989 gingen die drei Sparten – Bühnenvertrieb, Zeitschriften- und Buchverlag – ihren je eigenen Weg. Der Bühnenvertrieb lebt weiter als Theaterverlag „Henschel-Schauspiel“, getragen von Autoren, Übersetzern und Mitarbeitern. Auch einige der früher bei Henschel herausgegebenen Zeitschriften haben als selbständige Unternehmen überlebt, so zum Beispiel Theater heute oder die Neue Bildende Kunst.
Der Henschel Buchverlag wurde 1990 zunächst von den Mitarbeitern dank eines PDS-Darlehens in eigener wirtschaftlicher Regie weitergeführt. 1992 mußte das Unternehmen Konkurs anmelden und wurde vom Schweizer Flugzeughersteller Dornier gekauft. Geblieben ist das Profil des Verlages: Publikationen zu Theater, Film, Musik und Architektur. Henschel bildet gemeinsam mit dem Brandenburgischen Verlagshaus, dem Theseus-Verlag und drei Leipziger Verlagen (darunter der renommierte Kunstverlag E.A. Seemann) die „Dornier Verlagsgruppe“.
Im wesentlichen haben auch die übernommenen Verlage ihr Profil beibehalten, irreführend ist lediglich der Name „Brandenburgisches Verlagshaus“ für den ehemaligen Militärverlag der DDR. Hier geht es nicht um Regionalliteratur, vielmehr tummelt sich im Programm eine bizarre Mischung aus Militaria, Sachtiteln zu historischen Themen und Kolportageromanen etwa des ostdeutschen Vielschreibers Harry Thürk.
Im selben Hause wie die Verlage der Dornier-Gruppe, dem Karl-Liebknecht-Haus in Mitte, das zugleich auch PDS-Zentrale ist, sitzt der Dietz Verlag. Vor 1989 war er der Leib- und Magenverlag der SED, der aktuelle politische Verlautbarungen ebenso wie die Werke von Marx, Engels und Lenin herausgab. Heute bemüht sich das Unternehmen erst gar nicht, eine Klientel im Westen zu gewinnen, Verlagsvertretungen gibt es allein in den ostdeutschen Ländern. „Bücher für Leute aus dem Leseland“ heißt es in Anlehnung an Hermann Kants Slogan vom „Leseland DDR“.
Noch genauer wird es in der Werbung für das Buch eines DDR- Journalisten formuliert, von dem es heißt, er spreche „für uns alle, die wir schon immer im Osten lebten und keinen Grund haben, uns dessen zu schämen“. Der Verlag sucht seine Kundschaft bei den „Einheitsverlierern“ und im Milieu der PDS-Sympathisanten: Von plumpen Versuchen der Geschichtsklitterung, von Rechtfertigungsliteratur bis zu sachlicher Dokumentation ist alles zu haben. Belletristik taucht nur am Rande auf. Bei den Autoren handelt es sich meist um Schriftsteller, deren Ruhm der Enge der DDR-Verhältnisse geschuldet war, wie etwa Gisela Kraft, Eberhard Panitz oder Jan Koplowitz.
Erfreulicher ist der Ausblick auf die Arbeit des Verlages „Volk und Welt“, den es seit 1947 gibt. In den fünfziger Jahren betreute er vor allem Literatur von, wie es damals hieß, „fortschrittlichen Autoren des Auslands“, wozu etwa Jorge Amado und Pablo Neruda gehörten.
Die ausländische Literatur des 20. Jahrhunderts prägte auch in den folgenden Jahrzehnten das Verlagsprofil, ab 1971, dem Jahr des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages, zählte auch die westdeutsche Literatur dazu. Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger gehörten ebenso zum Programm wie Tschingis Aitmatow und Daniil Granin. West und Ost sollten sich in ihrem Anteil an der Verlagsproduktion die Waage halten, tatsächlich jedoch überwog der Anteil der westlichen Autoren, die mit Zweitverwertungslizenzen gedruckt wurden.
1989 erschien bei „Volk und Welt“ gerade noch rechtzeitig Thomas Bernhards grandioser Roman „Auslöschung. Ein Zerfall“, ehe der Zerfall sämtliche Bereiche der ostdeutschen Gesellschaft erfaßte und auch den Verlag nicht unberührt ließ: Mit der Öffnung der Grenzen gab es keinen abgeschlossenen Büchermarkt mehr, so hatte sich die Vergabe von Sublizenzen erledigt – warum ein Buch noch einmal drucken, das es im Original schon gibt?
Für den Verlag eine verzweifelte Situation: Die meisten westlichen Autoren fielen aus rechtlichen Gründen aus dem Programm, und die Bücher aus Osteuropa wollte niemand mehr kaufen. Hinzu kam die prekäre ökonomische Lage des Unternehmens. Ursprünglich in SED-Besitz, wurde der Verlag noch zu DDR-Zeiten dem Volkseigentum überschrieben und ging als solches später in Treuhandverwaltung über. Für den Weiterbestand des Verlags engagierte sich ein Förderkreis von prominenten Autoren und Künstlern, die den Verlag gemeinsam mit den Mitarbeitern übernahmen, nachdem der Verkauf an zwei Münchner Schreibwarenhändler geplatzt war. Vor kurzem ist Luchterhand Verlagseigner geworden, womit zumindest die existentiellen Probleme vom Tisch sind.
Ein anderes drängendes Problem, der Streit um die sogenannten Plusauflagen, konnte gerichtlich geklärt werden. Eine Reihe von Verlagen, so auch der Aufbau- Verlag, hatte in DDR-Zeiten Werke in höherer Auflage gedruckt als mit dem Lizenzgeber vereinbart. Die Mehreinnahmen wurden nicht etwa an die lizenzgebenden Verlage, sondern an den DDR-Staatshaushalt abgeführt. Jetzt wurde im Fall von Volk und Welt entschieden, den Verlag aus der Pflicht für diese Praxis zu nehmen.
Statt der einst 135 Mitarbeiter beschäftigt der Verlag heute nur noch ganze 13. Aufwendige Produktionen, wie etwa die „Weiße Reihe“ – anspruchsvoll gestaltete Lyrik-Auswahlbände – oder die „ad libitum“-Reihe, mußten aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt werden. Im wesentlichen jedoch konnte der Verlag seinem Profil treu bleiben: Die Werkausgabe von Michail Bulgakow steht neben neuen Texten von Dieter Hildebrandt und einem Roman von Andrew Postman. Zum 100. Geburtstag des russischen Dichters gibt Volk und Welt eine dreibändige Jessenin-Ausgabe heraus, ein in jeder Hinsicht luxuriöses Unternehmen, das an die Tradition gediegener Editionen im Verlag anknüpft.
Boykottverdacht gegen Westverlage
Den Verlag Neues Leben gibt es seit 1946. Zu DDR-Zeiten gehörten vor allem Jugendliche zum Zielpublikum. Neben Abenteuer- und Science-fiction-Büchern ist hier auch klassische Literatur erschienen. Verkaufserfolge zu DDR-Zeiten waren etwa die Werkausgaben von Jules Verne und Karl May. Mit der Währungsunion gründeten die Mitarbeiter des Verlags eine GmbH und kauften der PDS, zu deren Vermögen das Unternehmen gehörte, den Verlag ab.
Nachdem die Treuhand die Aufsicht über das Parteienvermögen übernommen hatte, wurden zunächst auch die Konten des Verlags gesperrt. Erst vor kurzem wurde der Verlag von der Treuhand in die selbständige Existenz entlassen und findet sich jetzt mit einem Haufen Schulden auf einem Markt wieder, der kaum Absatz für neue Bücher bietet.
Die Karl-May-Bücher, von denen früher bis zu 250.000 Exemplaren je Titel gedruckt wurden, werden heute mit 5.000 Exemplaren aufgelegt und nur schleppend verkauft. Von den einst 91 Mitarbeitern sind 4 übriggeblieben, die immerhin noch 25 Titel im Jahr produzieren. Heute umfaßt das Programm vor allem Biographien und Bücher zu historischen Themen. In der „Edition Scheunenviertel“ des Verlags sind Krimis, ein Stadtführer und Bücher zur Berliner Lokalgeschiche erschienen. Daneben wird eine bizarre Mischung aus Sexführern, Romanen von Brigitte Reimann, Lyrik von Gisela Steineckert und einer frühen Erzählung von Ralph Giordano angeboten.
Der aus DDR-Zeiten übernommene Autorenstamm gehört meist – sieht man von Brigitte Reimann ab – zur zweiten Garnitur. Die Gründe dafür, daß der Absatz auf dem größeren Markt nicht gelingen will, sieht Geschäftsführer Rudolf Chowanetz allerdings nicht im Inhaltlichen. Chowanetz glaubt, daß es einen regelrechten Boykott der Ost-Verlage im Westen gibt.
Auch Matthias Oehme vom Verlag „Eulenspiegel – Das Neue Berlin“ kennt die Probleme, auf dem westdeutschen Markt Fuß zu fassen. Den Verlag Neues Berlin, der seit Ende der 50er Jahre eine Verlagsgemeinschaft mit dem Zeitschriftenverlag „Eulenspiegel“ eingegangen ist, gibt es ebenfalls schon seit 1946. Nach der Wende gründeten die Mitarbeiter – wie auch beim Neuen Leben – eine GmbH und kauften den Betrieb der PDS ab. Jedoch mußte schon 1993 Konkurs angemeldet werden. Aus der Konkursmasse bediente sich Matthias Oehme, der damals zu den Eignern der Unabhängigen Verlagsbuchhandlung Ackerstraße gehörte. Statt der 80 bis zur Währungsunion Beschäftigten sind heute noch vier Mitarbeiter in der Verlagsunion tätig.
Im Programm des Eulenspiegel- Verlags finden sich vor allem Cartoon- und Witzbücher. Die meisten Autoren und Zeichner gehören zum alten Stamm und haben schon früher für den Eulenspiegel gearbeitet, eine Zeitschrift, die ebensowenig ein Satireblatt war, wie etwa die „Distel“ ein Kabarett gewesen ist.
Dankbar muß man dem Verlag für die Herausgabe der hintersinnigen, leptosomen Kritzeleien von Henry Büttner sein, auch die Ausgabe der Gedichte des fast vergessenen Expressionisten Alfred Lichtenstein, mit Illustrationen von Henning Wagenbreth, fällt aus dem sonstigen Blödelrepertoire heraus.
Die meisten Titel im angeschlossenen Verlag Neues Berlin sind auf die Bindung an den Ostleser angelegt, so etwa Wolfgang Mittmanns Buch „Fahndung – Große Fälle der Volkspolizei“ oder die Kurt-Böwe-Biographie des unseligen Hans-Dieter Schütt, in dessen Zeitung Junge Welt (Schütt war Chefredakteur) noch im Herbst 89 politische Durchhalteparolen zu lesen waren. Daneben verlegt Neues Berlin vor allem Krimis (neuerdings auch solche von Peter Paul Zahl) und setzt die im Osten ehedem beliebte „DIE“ - Reihe fort.
Blockierte Lizenzen, geringe Bestände
Der bedeutendste Belletristik- Verlag zu DDR-Zeiten war der Aufbau-Verlag, der in diesen Wochen seinen 50. Geburtstag feiert. Hier sind neben der europäischen Klassik, der zeitgenössischen Weltliteratur und der Exilliteratur vor allem die Werke bedeutender Gegenwartsautoren verlegt worden, etwa Ernst Bloch, Bert Brecht, Lion Feuchtwanger, Peter Huchel, Heinrich und Thomas Mann, später Christoph Hein, Sarah Kirsch, Günter Kunert und Christa Wolf.
Vom Zusammenbruch des Büchermarktes in der DDR 1989/90 bleibt auch der Aufbau-Verlag nicht verschont. Im September 1991 kauft der Frankfurter Investor Bernt F. Lunkewitz das angeschlagene Unternehmen von der Treuhand, nachdem die SED 1990 den Verlag als ihr vermeintliches Eigentum in Volkseigentum hatte überschreiben lassen. Später stellte sich heraus, daß nicht die SED, sondern der Kulturbund Besitzer des Verlages war. Lunkewitz mußte sein Unternehmen ein zweites Mal kaufen und liegt seither im Clinch mit der Treuhand.
Während der letzten fünf Jahre ist es dem Verlag gelungen, eine umfangreiche Backlist aufzubauen: Zirka 1.000 Titel sind zur Zeit lieferbar. Besonders erfolgreich ist der im Frühjahr 1991 ins Leben gerufene Aufbau-Taschenbuch-Verlag. Dennoch hat es große Verluste gegeben. Lunkewitz führt dies vor allem auf die inkompatiblen Verlagssysteme in Ost und West zurück. Lizenzvergabe, Druck und Vertrieb eines Buches waren im Osten auf eine einmalige Ausgabe berechnet, während das westliche Verlagssystem auf ständige Verfügbarkeit einer möglichst hohen Anzahl von Titeln beruht. Als die Ost-Verlage sich schließlich der West-Konkurrenz stellen mußten, waren zum einen die Lizenzen blockiert, zum andern gab es kaum einen Bestand an lieferbaren Titeln, auf den man hätte zurückgreifen können.
Das Profil des Aufbau-Verlages ist im wesentlichen bestehen geblieben. Mit Autoren wie Erwin Strittmatter oder Helga Königsdorf wendet sich der Verlag an das traditionelle Publikum im Osten. Daneben gibt es neue Ausgaben internationaler Klassiker (Alexandre Dumas, Robert Merle) und deutscher Autoren (Fontane und Fallada). Im Westen reagieren die Buchhandlungen eher zurückhaltend auf die vermeintlichen Newcomer, immerhin jedoch beträgt der Absatz hier schon mehr als zwei Drittel. Die Zeitschriften, die früher bei Aufbau und Rütten & Loening herausgekommen sind, haben alle überleben können.
Während die Weimarer Beiträge im Wiener Passagen Verlag untergekommen sind, erscheinen Sinn und Form und die ndl bei Aufbau. Hinzugekommen sind Sprache im technischen Zeitalter und die Reihe „Text und Porträt“, die in Regie des Literarischen Colloquium produziert werden. Bei Rütten & Loening, dessen Profil sich bisher kaum von dem des Aufbau-Verlages unterschied, wird zunehmend anspruchsvolle Unterhaltungsliteratur geboten. Der Wechsel von Sinn und Form zu Aufbau hängt mit dieser Profilierung zusammen.
Auch weniger prominente DDR-Verlage haben auf dem Markt bestehen können, etwa der Altberliner Verlag oder Morgenbuch (ehemals Buchverlag Der Morgen). Allerdings, und das ist der Preis für die Anpassung, arbeitet heute in den Verlagen nur noch ein Bruchteil der einstigen Belegschaft. Konkurrenz haben die ehemaligen Staatsverlage durch zahlreiche Neugründungen bekommen, die sich zwar um Altlasten wie „Plusauflagen“ nicht zu kümmern brauchten, dafür aber buchstäblich mit Null anfangen mußten. Aber das ist ein anderes Kapitel.
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