: „Beide Seiten wollten keine Lösung“
■ Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder (SPD) zur Polizeiaktion am Kurden-Zentrum
taz: Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) erklärt die Deeskalationsstrategie für gescheitert. Sie haben am Freitag zusammen mit Christian Ströbele (Bündnisgrüne) versucht, den Polizeieinsatz in der Zossener Straße zu verhindern. Hat die Polizeiführung versagt?
Peter Strieder: Ich hatte Herrn Saberschinky (Polizeipräsident, die Red.) und Herrn Böse (Innen- Staatssekretär, die Red.) am späten Freitag nachmittag gebeten, mir noch eine halbe Stunde Zeit zu geben. Letztlich wollten wohl beide Seiten keine friedliche Lösung. Die Kurden nutzen die Chance, um das erlahmende Medieninteresse durch diese Polizeiaktion wieder zu beleben. Und Herr Heckelmann hat offensichtlich vorgehabt, im Wahlkampf zu zeigen, daß hier die Sicherheitsbehörden anders reagieren als in Hannover.
Nun werden Stimmen von Anwohnern laut, die darauf drängen, das Mietverhältnis für das Kurdische Zentrum aufzuheben. Wird da bewußt Panik geschürt?
Die Anwohner sind natürlich extrem betroffen. Da sind auf dem Innenhof jede Nacht mehrere hundert Menschen, da werden politische Parolen skandiert, Musik gemacht. Den Kurden muß man klarmachen, daß nicht nur bei ihnen, sondern auch bei den Anwohnern eine große, wenn auch völlig anders geartete Betroffenheit herrscht.
Die Atmosphäre bei den Kurden ist aufgeheizt, Kritik an ihrer Strategie wird nicht verstanden.
Ich war am Sonntag letzter Woche schon einmal im Kurdischen Zentrum, um zu klären, wie wir die ärztliche Versorgung für die Hungerstreikenden im Urban-Krankenhaus sicherstellen können. Dabei habe ich versucht, auch mit ihnen über die Form ihres Protestes zu reden. Das war nicht einfach. Ich glaube, daß die Aktion der Kurden sich nachhaltig auf das Verhältnis von Deutschen und Kurden in Berlin auswirkt. Da werden Emotionen auf der einen wie anderen Seite ausgelöst, die schnell umschlagen könnten. Deshalb kam es mir auch am Freitag darauf an, die Anwohner nicht noch zusätzlich durch einen großen Polizeieinsatz zu verunsichern. Unter den Anwohnern herrschen natürlich auch Ängste, daß Anschläge auf die Hungerstreikenden sie selbst treffen könnten. Wenn man die Sorgen der Anwohner bei der Innenverwaltung ernstgenommen hätte, hätte man am Freitag auf die Polizeiaktion verzichten müssen. Zum Schluß ging es doch nur noch um das Tor: Dürfen wir es mitnehmen oder nicht.
Droht nun ein Ende der Berliner Linie?
Deeskalation heißt ja nicht wegzuschauen, sondern zu versuchen, das Recht auf friedlichem Wege durchzusetzen. Bei der Beerdigung von Gülnaz Baghistani hat die Polizei ja auch nicht die PKK- Symbole aus der Menge herausgeholt. Es kann natürlich Situationen geben, in denen die Polizei eingreifen muß. Gefährlich wäre aber nun ein Umschwenken auf eine harte Linie. Wir dürfen das Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern nicht durch Wahlkampfaktionen, wie es offenbar Herr Heckelmann will, in Gefahr bringen. Interview: Severin Weiland
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