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40.000 Tonnen Schrott für die Menschheit

Erst 1986 ausrangiert, seit Sonntag offiziell „Weltkulturerbe“ der Unesco: die Völklinger Eisenhütte  ■ Von Nils Minkmar

Die Liste der deutschen Denkmäler in der Unesco-Liste des Weltkulturerbes liest sich bislang wie ein Reiseprospekt für texanische SeniorInnen: Schlösser, Klöster, Dome und drei Altstädte, gleichmäßig übers Land verteilt, mit klingenden Namen wie „Falkenlust“ und „Sanssouci“. Seit Sonntag hat diese Liste einen Rostfleck: 40.000 Tonnen Schrott auf sechs Hektar – Europas älteste vollständig erhaltene Anlage zur Roheisenerzeugung, die Völklinger Hütte. Damit ist zum ersten Mal eine Industrieanlage offiziell zum Bestandteil des Weltkulturerbes erklärt worden.

Es ist gerade die Vollständigkeit, die diese Anlage auszeichnet: „In der westlichen Welt ist kein anderes geschichtliches Hochofenwerk bekannt, das in gleicher Weise, gleicher Authentizität und Vollständigkeit den Gesamtprozeß der Eisenverhüttung in einem voll integrierten Hüttenwerk zeigen kann“, heißt es in der Begründung der Unesco.

So rasch an die Menschheit vererbt zu werden, damit hatten wohl nur die wenigsten VölklingerInnen gerechnet. In der 43.000-Einwohner-Stadt wurde schließlich noch bis 1986 Eisen erzeugt, zuletzt arbeiteten hier noch 9.500 Mann. Ohne Hütte hätte es diese Stadt nie gegeben. Erst der Ausbau der Hütte durch die Brüder Röchling ab 1881 führte dazu, daß sich immer mehr Menschen in Völklingen ansiedelten. 1876 hatte das Industriedorf an der Saar noch bescheidene 7.250 Einwohner, 1907 schon 27.000.

Die Hütte prägte nicht nur das Stadt- und Landschaftsbild, sondern auch den Lebensrhythmus der Arbeiter und die Mentalitäten. Werkssiedlungen, Schlafhäuser, eine Milchküche, der Kindergarten, die Schwimmhalle und eine Haushaltsschule für die Töchter von Werksangehörigen waren alltäglich erlebte Zeugnisse der Omnipräsenz der Hütte und ihrer Besitzer, der Familie Röchling.

Geschickt nutzte Hermann Röchling (1872-1955) die Chancen, die zwei Weltkriege seinem Unternehmen boten: 90 Prozent der deutschen Stahlhelme des Ersten Weltkrieges wurden hier hergestellt, dazu Granaten und Panzerplatten. Als früher und eifriger Parteigänger der Nazis, schon lange vor der Rückgliederung des Saargebiets 1935, wurde Hermann Röchling rasch zur zentralen Figur im Hüttenwesen des „Dritten Reichs“.

Nach dem Krieg wurde er in Rastatt als Kriegsverbrecher verurteilt und saß von 1946 bis 1951 in Haft. Damals boten sich Hunderte von ehemaligen Hüttenarbeitern an, statt seiner je einen Tag der Strafe abzusitzen. Die Völklinger Hütte ist tatsächlich ein treffendes Zeugnis des 20. Jahrhunderts: An kaum einem anderen Ort kann die Verwobenheit von Politik, Wirtschaft, Technik und Kultur im Industriezeitalter – mit allen Licht- und Schattenseiten – auf so engem Raum besichtigt werden.

Heute handelt es sich bei der Hütte nicht um ein wohlgefälliges, pittoreskes Bauwerk, vor dem man sich fotografieren läßt, sondern um eine Anlage, die wirkt, als sei sie plötzlich gestoppt worden: Sie fordert die Besucher heraus, sich technische Prozesse vorzustellen, Arbeitserfahrungen nachzuvollziehen, einen Zusammenhang zum Leben der Menschen in der Region herzustellen. Daher ist es von Vorteil, daß sie nicht isoliert in einem Park steht, sondern mitten in der Stadt: Wohnsiedlungen, der Bahnhof, die Kneipen und selbst die Kinos der Stadt sind auf gewisse Weise Teil des Denkmals.

Vielleicht ist es gerade diese relative Offenheit des Denkmals, die sich inspirierend auf die heutigen Benutzer der Anlage auswirkt: In der alten Handwerkerallee hämmern seit 1989 die Bildhauerklassen der Saarbrücker Hochschule der Bildenden Künste: Studios und Proberäume für die Musikhochschule sollen folgen.

Freilich, bei aller kreativen Potenz, die der Hütte in den letzten Jahren zugute gekommen ist – ein Konzept für ein industrie- und sozialgeschichtliches Hüttenmuseum ist dabei noch nicht entstanden. Es ist bislang auch nicht möglich, die Hütte unangemeldet oder als einzelner zu besichtigen. Auf diesem Gebiet werden nun sicher die ersten Reaktionen auf die Aufnahme in die Unesco-Liste erfolgen. Doch hier praktikable Lösungen zu finden, ist nicht einfach: Die Kassen von Stadt und Land sind leer, und die Musealisierung einer kompletten Hüttenanlage ist ein Projekt, für das es weltweit kein Vorbild gibt.

Trotzdem: An elegischen Gedanken über das Ende des Zeitalters der Industriearbeit und den Beginn der postmodernen Informationsgesellschaft hat es in der Folge der Schließung des Eisenwerks nicht gemangelt.

Aber auch dieser vermeintliche Epochenwandel sieht in Völklingen ein bißchen anders aus: Wenige hundert Meter vom Hüttendenkmal entfernt steht das modernste Blasstahlwerk Europas mit insgesamt über 6.000 Beschäftigten. Jeden Morgen stapfen dort die Männer zur Frühschicht, besser ausgebildet, besser bezahlt, besser geschützt, aber kaum besser gelaunt als vor hundert Jahren.

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