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Vorsicht! Frische Farbe!

■ Rundgang durchs Nippesregal: Was die Gäste so alles aus Worpswede mitnehmen

„Die Leute können einem ja leid tun.“ Allzu mitleidsvoll guckt die alte Dame hinter ihrer Schmuckvitrine nicht. „Die werden mit Bussen hierhergekarrt und müssen dann anderthalb Stunden in der Gegend rumlaufen. Bzw. Kaffee trinken, Kuchen essen – und Kunst kaufen. Kunst? „Ach was; die meisten wollen doch bloß Kitsch.“ Mokkatäßchen, Bilderrähmchen – gekauft wird alles. Zumindest „alles bis zu 30 Mark.“

Da ist ein echter Worpsweder nicht drin. Aber immerhin ein nachgemachter. Rings um das Bermuda-Dreieck aus Busparkplätzen, Großraumcafés und eben Kunstboutiquen (vgl. nebenstehenden Text) läuft das Geschäft mit den Abziehbildern Worpsweder Malerei. Immer strategisch entlang der Trampelpfade der Touristen plaziert.

Im Bilderladen an der Bergstraße drückt sich eine komplette Kleinfamilie herum. „Junge Leute“, verrät die Verkäuferin, „kaufen am liebsten passend zur Einrichtung.“ Am besten was Stilisiertes. Schnittige Schiffsszenen, wie frisch aus der Becks-Bier-Reklame; poppige Sonnenuntergänge. Für die ältere Generation hält man knorrige Bauern bereit, stets korrekt mit Pfeife und romantisch zerzausten Haaren ausgestattet. Kleine Landschaften ab 12 Mark, der nachgemachte Renoir für 179 Mark – kein Worpsweder im engeren Sinne, aber auch irgendwie schmuck. „Hobbykünstler und Malstudenten“ produzieren die bunte Mischung. Wer doch nichts findet, kann mit einem Holzdackel (6 Mark) aus dem Grabbelkörbchen glücklich werden, der dreibeinige Elefant kommt sogar nur halb so teuer.

Es müssen ja auch nicht immer Bilder sein. Im Laden nebenan drängeln sich bemalte Holzkatzen mit bemalten Holzenten im Regal. Messing-Bügeleisen, Messing-Kerzendochtauslöscher. Ein Tee-Elefant aus nachgemachtem Porzellan läßt die Provenienz ahnen. „Alles handgemacht“, sagt die Händlerin, „aus Asien. Direktimport!“ Daher so besonders günstig. Immer unterhalb der 30-Mark-Grenze. Ist ja schließlich nicht fürs eigene Wohnzimmer gedacht. „Die Frau, die die Blumen gießt oder die Nachbarin, die den Briefkasten leert“, das sind die Adressaten der Neuworpsweder Asiatika.

Worpsweder Motive? Erinnungen an den einmaligen Tagesausflug? „Da müssen Sie in den Tabakladen nebenan gehen.“ Tatsächlich. Im kleinen Schaufenster sind liebevoll drapiert: Silberlöffelchen mit „Niedersachsenstein“-Motiv; Schnapsgläser mit „Worpsweder Mühle“-Motiv; ein Mokkaservice mit „Worpsweder Mühle“-Motiv; ein Wanderstockabzeichen mit „Niedersachsenstein“-Motiv. Zinnteller „gibt's an der Tankstelle“. Verkauft wird davon aber „praktisch nichts“. Mal eine Kunstpostkarte, das Stück für eine Mark.

Sonst gibt es noch vielerlei Buntes, das mit Originalcharakter liebäugelt. Wer's billig braucht, aber trotzdem keine Massenware will – dem bleiben handbemalte Hutschachteln und handbemalte Blechbüchsen für irgendwas. Die Broschen („handbemalt“) sind dann irgendwie tatsächlich Kunst. Das Preisschild preist den Künstler: „Broschen von Fjodor, St. Petersburg“. Wenn nichts mehr hilft, hilft nur noch „Moorgeist“ vom „Worpsweder Weinstübchen“, 50 Prozent Alkohol, florales Etikett, 11,90 Mark. Abfahrt nach Gelsenkrichen. Thomas Wolff

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