Pazifismus am Ende

■ Für den parlamentarischen Geschäftsführer des Bündnis 90/ Die Grünen sind deutsche Truppen in Bosnien kein Tabu mehr

taz: Joschka Fischer hat dafür plädiert, die UN-Schutzzonen in Bosnien militärisch zu verteidigen. Ludger Volmer hat ihm daraufhin vorgehalten, er müsse dann auch einen Vorschlag zur Durchführung machen. Haben Sie einen?

Werner Schulz: Das ist in der Tat ein Schwachpunkt, auf den Ludger Volmer hinweist. Wenn man auf der einen Seite betont, daß die Schutzzonen gesichert und garantiert werden sollen, dann muß man auch sagen, wer diese Verantwortung übernimmt. Wir sind in der Partei alle keine solchen Militärexperten, daß wir sagen könnten, wie man durch ein entsprechendes militärisches Aufgebot Kampfhandlungen unterbindet. Wir bewegen uns hier auf schwierigem Terrain. Doch es ist eine Schwäche, wenn wir diese Forderung aufstellen und gleichzeitig betonen, daß Deutschland dafür nicht in Frage kommt.

Sollten sich deutsche Truppen an einer Verteidigung der Schutzzonen beteiligen?

Man muß differenziert diskutieren. Ist die Feststellung „nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ eine leere Beschwörungsformel, oder verpflichtet sie uns nicht vielmehr zu aktivem Handeln. Müssen wir nicht im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystem immer dort Mitverantwortung zeigen, wo sich Faschismus zeigt, wo Krieg eingedämmt werden muß. Wohl wissend daß ein Einsatz deutscher Soldaten, sei es als Sanitäter in Kroatien oder als Blauhelme direkt in Bosnien, die psychologische Kriegsführung der Serben enorm anheizt, macht es für mich einen riesengroßen Unterschied, ob die Wehrmacht in einem aggressiven Eroberungskrieg anrückt oder die Bundeswehr im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystem.

Gilt nicht mehr das Argument, daß gerade aufgrund der Geschichte eine deutsche Präsenz auf dem Boden Ex-Jugoslawiens eskalierend wirken würde?

Die Eskalation besteht bereits. Ich weiß nicht, was noch schlimmer sein sollte als dieser Krieg.

Die Präsenz deutscher Bodentruppen heizt die Stimmung.

Ich will dieses Argument nicht in Abrede stellen. Wenn allerdings die UN Garantien für gefährdete Gebiete und bedrohte Menschen übernimmt und wir das richtig finden, stellt sich doch für uns die Frage, in welcher Form wir uns daran beteiigen. Da kann man keine Ausschließlichkeiten formulieren. Was sich ausschließt, sind Einsätze, wie die, an denen sich eine deutsche Armee 1968 in der Tschecheslowakei beteiligt hat.

Bislang galt selbst für den Bundeskanzler das Verdikt: keine deutschen Bodentruppen.

Wenn man ja zu Schutzzonen sagt, wenn man ja sagt zu Blauhelmen, dann muß man die Konsequenzen mitbedenken, dann muß man die Frage beantworten, inwieweit sich deutsche Truppen daran beteiligen ...

Als UN-Truppen oder auch als Eingreiftruppe?

Für mich ist wichtig, daß wir uns im Rahmen der UN-Verpflichtungen bewegen.

Wenn das Bündnis 90/ Die Grünen für eine Beteiligung an militärischen UN-Missionen in Bosnien plädiert, warum dann nicht bei nächster Gelegenheit auch in anderen Regionen? Wo ist da noch die Differenz zur weltweiten Krisenintervention des Verteidigungsministers Rühe?

Wenn man diese Verpflichtung in Bosnien eingeht, stellt sich diese Frage in der Tat. Ich würde das aber nicht im Zusammenhang mit der Politik der Hardthöhe diskutieren, deren Zielsetzung umstritten ist.

Diskutieren wir es im Zusammenhang der Debatte ihrer Partei. Vor zwei Jahren hat ein Parteitag mit klarer Mehrheit eine militärische Intervention verworfen.

Nun hat Joschka Fischer diese Frage erneut aufgeworfen. Allerdings können wir sie nicht nur abstrakt diskutieren. Es besteht in der Partei wohl kein Dissenz, daß wir uns dafür einsetzen, daß diese Schutzzonen gesichert werden. Wir müssen diese Diskussion allerdings — und darauf weist Ludger Volmer hin — bis zur Konsequenz führen. Wir müssen sagen, ob wir für den Schutz mit Sorge tragen oder ob es lediglich eine Aufforderung an andere UN-Staaten ist.

Haben sich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Grünen in der Frage einer militärischen Intervention geändert?

Es gibt dafür nach wie vor keine Mehrheit. In einer Partei, die aus der Friedensbewegung hervorgegangen ist, tut man sich damit unglaublich schwer. Viele befürchten, daß das Prinzip der Gewaltlosigkeit aufgegeben wird. Daß will ich ja auch nicht, nur stößt dieses Prinzip an Grenzen. Und in solchen eskalierenden Situationen wie in Bosnien kommt man mit Pazifismus nicht weiter. Es geht nach wie vor um politische Lösungen, doch es ist die Frage, mit welchem Nachdruck man sie verfolgt.

Die klassisch pazifistische Partei Bündnis 90/ Die Grünen wandelt sich zu einer interventionistischen, während die SPD das Schild des Pazifismus hochhält.

Es gibt keinen astreinen Pazifismus in der schwierigen Entscheidung, ob man Menschen schützt, denen man zugleich das Selbstverteidigungsrecht beschneidet. Da ist man verpflichtet zur Hilfe.

Interview: Dieter Rulff