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Hände wie Kraken am Körper

■ Zeitgenössische Improvisationen: Clownerien und erotische Phantasien beim „Tanz im August“ im Podewil

Improvisation, so das Lexikon, ist die spontane Erfindung aus dem Stegreif. Improvisation, so Altmeister Steve Paxton, ist etwas dem Menschen Angeborenes, das sich nur auf diesem Wege ausdrücken läßt. Er muß es wissen, schließlich ist er seit vierundzwanzig Jahren dabei, sich immer tiefer in den Improvisationsdschungel hineinzutanzen. Eines seiner sich ständig wandelnden Meisterwerke sind die (rund zweihundertmal aufgeführten) Tanzimprovisationen zu Bachs Goldbergvariationen. Mag die Improvisationskunst im Theater ihre Blütezeit in den sechziger und siebziger Jahren gehabt haben, als man daranging, die Spontaneität zu erlernen – im Tanz ist Improvisation höchst zeitgenössisch und lebendig geblieben.

So wurde also auch im Rahmen von „Tanz im August“ im Podewil ein Improvisationsabend präsentiert. Hinter dem Titel „Klick- Clique“ verbirgt sich eine lose Gruppe von vier TänzerInnen und zwei Musikern, die sich in wechselnder Besetzung seit zwei Jahren in Paris, New York und nun erstmals auch in Berlin zusammenfinden. Mit dabei waren diesmal Dieter Diesner, der über enormes komödiantisches Talent verfügt und seine Arbeit „Saxophonschauspiel“ nennt, sowie der zurückhaltendere Posaunist Johannes Bauer und die Tänzer David Zambrano und Frans Poelstra. Ein Verein schräger Individualisten, groß gewordener Kinder, die scheinbar nichts als Unsinn im Kopf haben: Frans Poelstra rollt vor sich hinquatschend über den Bühnenboden, David Zambrano hüpft wie ein Flummiball, Johannes Bauer bläst brav in die Posaune, und Dietmar Diesner serviert dem Publikum Kirschen.

Das ist zunächst ganz lustig anzuschauen, aber auf Dauer dann doch langweilig. Eine der Fallen des Improvisierens sei der Wunsch, lustig zu sein, sagt Steve Paxton. Und der muß es wissen. Tatsächlich kann man beobachten, wie die Clownerien, die den vier Akteuren ganz offensichtlich über ihre eigene Ratlosigkeit hinweghelfen sollen, vor allem einen wirklichen Kontakt verhindern. Der stellt sich nur selten, viel zu kurz und richtig gut erst am Ende ein. Da läßt sich Frans Poelstra auf die vibrierenden Saxophontöne Diesners ein. Er zeigt einen am Boden liegenden Körper, der versucht, sich zu erheben, und doch nichts als feinste Zuckungen zustande bringt. Der nichts mehr von sich weiß, dem die Verbindung zwischen Gehirn und Nervenbahn unterbrochen zu sein scheint. Ein gelungener Abschluß eines ansonsten vertanen Abends.

Nicht nur spannender, sondern geradezu hervorragend war dagegen der Tanzabend, den die TanzWerkstatt vergangene Woche im Podewil präsentierte. Kein Wunder, wenn so profilierte TänzerInnen wie Amanda Miller und Myriam Naisy auf dem Programm stehen. Drei Soli und ein Duett gab es zu sehen, einen Schnitt quer durch die unterschiedlichsten Arbeitsansätze. Myriam Naisy und Nicolas Maye vertieften sich in „White Man Sleeps“ in erotische Allmachtsphantasien: Eine Frau scheint sich qua kreiselnder Beschwörungsrituale in die Träume des Mannes zu beamen, hinein in einen verschlungenen, hochvirtuosen Tanz zu zweit. Xyvier le Roy zerlegte seinen Körper in Einzelteile: Der Unterarm kreist mit der Geschwindigkeit eines Propellers, während der restliche Körper nahezu unbeweglich verharrt und der Blick in die Ferne geht. Er läßt die Hände wie Kraken seinen Körper abtasten, den Kopf nahezu verschwinden. Eine Variation auf den monströsen, sich selbst entfremdeten Körper. Esoterisch und hochkomplex ging es dagegen bei der nahezu im Dunkeln tanzenden Amanda Miller zu, und David Zambrano spielte mit aufgemaltem Monjoubärtchen – diesmal allerdings höchst wirkungsvoll – den Clown. Michaela Schlagenwerth

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