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Bündnisgrüne geben sich pragmatisch

■ Vorstandsmitglied Ströbele warnt SPD vor einer Politik der vollendeten Tatsachen. Partei strebt über 15 Prozent an

Der vor den Wahlen anberaumte Spatenstich für den Tiergartentunnel belastet rot-grüne Koalitionsverhandlungen. „Wir warnen alle, jetzt eine Politik der vollendeten Tatsachen zu schaffen“, erklärte das bündnisgrüne Vorstandsmitglied Christian Ströbele mit Blick auf die SPD.

Trotz der kleinen Spitzen bemühten sich die bündnisgrüne Prominenz bei der gestrigen Präsentation des Wahlkampfkonzepts um Zurückhaltung. Der Parteilinke Ströbele, der 1989 entscheidenden Anteil am Zustandekommen der ersten rot-grünen Koalition unter Walter Momper (SPD) hatte, gab sich betont pragmatisch. Unüberwindliche Hindernisse wolle man nicht aufbauen, aber Großprojekte wie der von der SPD gewünschte Großflughafen in Sperenberg oder der Tiergartentunnel stünden ganz oben auf der Streichungsliste seiner Partei. Angesichts des derzeitigen Zustands der SPD überkämen ihn gelegentlich „Regungen des Mitleids“, gestand Ströbele. Er könne nur hoffen, daß die SPD „auf Kosten der CDU noch Tritt faßt“. Die Schwerpunkte des Wahlkampfs liegen auf der Mieten-, Umwelt-, Verkehrs-, Ausländer- und Drogenpolitik. Durch die „Entkriminalisierung“ der Drogenszene wolle man auch die Arbeit der Polizei entlasten, erklärte Ströbele. Deren Aufgabe sei der „Schutz der Gesundheit, des Lebens und der Würde der Menschen“. Im Falle einer Regierungsbeteiligung wollen die Bündnisgrünen auch mehr Beteiligungsrechte für Ausländer. Es sei unhaltbar, daß die Türken noch immer von kommunalen Wahlen ausgeschlossen seien, betonte Ströbele. Auch Immigranten und Kriegsflüchtlinge dürften nicht länger abgeschoben werden. Spitzenkandidatin Sibyll Klotz forderte eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs. Unter dem Motto „Solarstadt Berlin“ soll für eine Metropole der umweltgerechten Zukunftstechnologien geworben werden. Statt auf Neubau wollen die Bündnisgrünen verstärkt auf Sanierung von Altbauten setzen. Angesichts des Haushaltsdefizits stünden neue Beteiligungsmodelle zur Debatte, etwa durch Verkauf von Wohnungen an Mieter oder Hausgemeinschaften statt wie bisher an „dubiose Anlegergesellschaften“, meinte die haushaltspolitische Sprecherin Michaele Schreyer. Kräftige Stimmengewinne erhofft sich die Partei am 22. Oktober. „Mehr als 15 Prozent“ seien möglich, ist sich Ströbele sicher. Immerhin sei die Partei im Osten nach den ernüchternden Bundestagswahlen aus „der Tiefheit der Tiefe“ wieder herausgekommen, betont Landesgeschäftsführer Norbert Schellberg. Derzeit rangiert die Partei in den Umfragen bei rund 14 Prozent. Rund 550.000 Mark läßt sich der Landesverband den Wahlkampf kosten, der offiziell am 2. September mit einem Umzug von der Oranienstraße zum Roten Rathaus beginnt. Zentrales Motto der „frischen, optimistischen und kämpferischen“ (O-Ton Schellberg) Plakatmotive: „Der Wechsel ist fällig“.

Den personell schwachen Ostgrünen, die nur rund 400 von insgesamt 3.120 Mitgliedern stellen, wird die Zentrale mit einer Info- Tour unter die Arme greifen. Mit der Prominenz ist man sparsam: Nur Joschka Fischer ist eingeplant.

Im Osten konkurrieren die Bündnisgrünen nach eigener Einschätzung vor allem mit der PDS. Hier wolle man herausstellen, daß „wir die eigentliche Mieterpartei“ sind, erklärte Schreyer und erinnerte daran, daß die Gysi-Partei kürzlich zusammen mit SPD und CDU die Absetzung der Baustadträtin Dorothee Dubrau (parteilos, von den Bündnisgrünen nominiert) in Mitte betrieben hatte. Routiniert umschiffte Ströbele die Frage nach einer PDS-Tolerierung. Hier habe seine Partei ja bereits eine „weise Entscheidung“ getroffen, und die laute: „Wir haben keinen Grund, die Aussage der SPD in Frage zu stellen, daß sie jede Zusammenarbeit mit der PDS ablehnt.“ Severin Weiland

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