: Debüt der doppelten Nummer eins
Während Attentatsopfer Monica Seles beim Tennisturnier in Toronto ein überzeugendes Comeback gelang, verlor die vaterschaftsgeplagte Steffi Graf ihr erstes Match im Jahre 1995 ■ Von Matti Lieske
Als wären ein inhaftierter Vater, die vage Aussicht, selbst wegen fortgesetzten Steuerbetrugs belangt zu werden, und eine ebenso schmerzhafte wie chronische Rückenverletzung noch nicht genug des Unglücks, hat Steffi Graf seit dieser Woche mit einer weiteren Plage zu kämpfen: Monica Seles. So sehnlichst die Rückkehr der ehemaligen Jugoslawin und jetzigen US- Bürgerin nach 28monatiger Pause aufgrund des Messerattentats von Hamburg erwartet worden war, so fatal gestaltete sich der große Tag für die Deutsche. In Toronto starteten die beiden Lei(d)tfiguren des Frauentennis erstmals seit jenen verhängnisvollen German Open im Mai 1993 wieder bei derselben Veranstaltung. Seles, die vor knapp drei Wochen mit einem Sieg in einem Schaukampf gegen Martina Navratilova zurückgekehrt war, absolvierte ihr Wettkampf- Comeback, Graf eine Art Mini- Comeback. Nach ihrem mühsamen, schon damals durch Haussuchung und Steueraffäre beeinträchtigten Finalsieg gegen Arantxa Sanchez-Vicario in Wimbledon Anfang Juli hatte sie kein Turnier mehr gespielt und auch nach ihrem eiligen Transfer von Heidelberg nach New York kaum trainiert.
Eigentlich sollten die beiden Spitzencracks, das hatte die Women's Tennis Association (WTA) nach längeren Querelen unter den Spielerinnen durchgeboxt, gleichberechtigt als Nummer eins gesetzt und entsprechend behandelt werden. Doch die Prioritäten der Veranstalter in Toronto lagen natürlich eindeutig bei Monica Seles, deren publicityträchtige Wiederkehr auch von den meisten Konkurrentinnen ausdrücklich begrüßt worden war. Bei einer Spielerinnensitzung zu Beginn des Turniers war die 21jährige sogar mit Beifall begrüßt worden, ein Anfall rarer Solidarität im Tenniszirkus. Anders als im Fall Andre Agassi, dessen bevorzugte Behandlung Boris Becker dem Einfluß seines Schuhausrüsters zuschreibt, bedurfte es im Fall Seles des Nike-Bonus gar nicht. Das diese zur besten TV- Sendezeit antreten würde, verstand sich von selbst. Steffi Graf mußte ihr Match am Nachmittag bei brütender Hitze absolvieren, Seles betrat abends den Platz, gerade als die sengende Sonne selbigen räumte.
Entsprechend unterschiedlich war die Befindlichkeit der beiden Akteurinnen. „Wann geht's denn endlich los“, fragte Seles ungeduldig die Sicherheitsbeamten, von denen sie zehn Exemplare zusätzlich geordert hatte, während 8.206 euphorische Zuschauerinnen und Zuschauer rhythmisch klatschend nach ihrem Erscheinen verlangten. Mit Ovationen wurde sie begrüßt, danach dominierte sie das Match gegen Kimberley Po (USA) strahlend und souverän, mit gewohnt sicheren Grundlinienschlägen und verbessertem Service. Nach genau einer Stunde hatte sie 6:0, 6:3 gewonnen, und die Kontrahentin staunte: „Natürlich fehlen ihr Spielpraxis und Beweglichkeit, aber sie schlägt von beiden Seiten noch härter als früher.“ Das Publikum verabschiedete die Siegerin mit einem weiteren Beifallssturm, und diese freute sich: „Das ist wie Medizin. Für so lange Zeit habe ich kein Licht am Ende des Tunnels gesehen, und jetzt hatte ich so viel Spaß.“
Überhaupt keinen Spaß hatte zuvor Steffi Graf, der nicht nur Trainingsrückstand, mentale Misere und Temperaturen von 45 Grad zu schaffen machten, sondern auch eine unbequeme Gegnerin: die Südafrikanerin Amanda Coetzer, die ihr schon in Wimbledon Schwierigkeiten bereitet hatte. Obwohl sie 54 leichte Fehler und sieben Doppelfehler beging, hätte Graf dennoch fast gewonnen, brachte aber beim Stand von 6:5 im dritten Satz ihren Aufschlag nicht durch und unterlag mit 6:3, 2:6, 6:7 (6:8). Es war nach 32 Siegen ihre erste Niederlage in diesem Jahr. „Ich habe mich schon ein paarmal so schlecht gefühlt“, sagte sie anschließend, „aber Amanda war einfach als Gegnerin zu stark.“
Einen Intervievwunsch des kanadischen Fernsehens lehnte Steffi Graf nach dem verlorenen Match ab, und auch Fragen in deutscher Sprache mochte sie nicht beantworten. Auf englisch gab sie immerhin zu Protokoll, daß dies die schwerste Zeit ihres Lebens sei und vor allem die letzten beiden Wochen „sehr hart“ gewesen wären. Kommentar von Monica Seles: „Steffi tut mir leid.“ Solche Aussagen hatte es in den letzten beiden Jahren vorwiegend in umgekehrter Richtung gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen