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Nicht ohne meinen Kafka

„Congo“, von Frank Marshall nach Michael Crichtons Roman gedreht, zeigt künstliche Menschenaffen und echte Affenmenschen, und der Zuschauer fragt sich: Stumpft der Mensch vom Gaffen ab?  ■ Von Wiglaf „Bonobo“ Droste

Michael Crichton ist gut im Geschäft. Was immer der Fleißschreiber produziert, wird ihm aus den Händen gerissen, millionenfach vervielfältigt und weltweit über allen Buchläden abgeworfen. Selbst olle Kamellen, unter Pseudonym, also sozusagen vor Crichti Geburt veröffentlicht, erleben hohe Neuauflagen, und außer dem Boulevard ist auch die Edelkritik von Crichton fasziniert: Einen „Balzac des 20. Jahrhunderts“ nannte ihn Katharina Rutschky für seinen Roman „Enthüllung“ im Freitag (36/94). Zwar klingt der Crichton- Satz „Er wollte sie ficken, gründlich durchficken“ („Enthüllung“, S. 133) weniger nach Bal-, sondern eher nach Sabberzac, aber prinzipiell geht die Freude über Crichton in Ordnung: Unterhaltung, diese „leichte Sache, die so schwer zu machen ist“ (Lenin, Billy Wilder et al.), beherrscht der emsige Mann recht gut. Und während die Existenz von Wigald Boning bloß beweist, daß wirklich nichts unmöglich ist, zeigt Crichton, daß man auch ohne Penetranz präsent sein kann. Unter anderem deshalb fällt die Antwort auf die nölige Frage des Kollegen Ralf Umard im Berliner Tip (17/95), „Warum verdient ein Autor wie Michael Crichton Abermillionen und ich nicht?“, auch ganz leicht: Weil das gut und gerecht so ist, du Nase.

Eine weniger glückliche Hand hat Crichton bei den Verfilmungen seiner Stoffe: „Der große Eisenbahnraub“ wurde unter seiner eigenen Regie ein solides, aber braves Stück Kintopp; Spielberg machte „Jurassic Park“ zu einem pädagogischen Traktat für nervige Blagen, und in der Filmversion von „Enthüllung“ wurde dem ehrgeizzerfressenen, vom Karrierismus bereits sichtlich deformierten Michael Douglas von einer Frau attestiert, „ein sehr attraktiver Mann“ zu sein, ohne daß sich ein Kulissenbalken bog. Und so läßt sich über die Crichton-Filme frei nach Schlingensief sagen: Sie kamen als Bücher und wurden zu Wurst.

15 Jahre nach der Buchveröffentlichung hat es nun auch „Congo“ erwischt. Daß Affen sprechen können, weiß man spätestens seit der Erfindung der Talkshow; allein Drehbuchautor John Patrick Shanley und Regisseur Frank Marshall hatten das noch nicht mitgekriegt. Entsprechend unverdrossen breiten sie ihre Konventionalitäten aus: Flugzeuge gehen kaputt, ein Vulkan explodiert, Munition wird kistenweise verschossen, das Personal zeigt viel Fitneß vor, kann Fallschirmspringen, Schlauchbootfahren, Ballonfliegen und so weiter, Salomos Diamanten werden der Natur entrissen und, Blutzoll inklusive, zurückgeholt, und passend zur Internationalen Funkausstellung wird das neueste High-Tech- Spielzeug vorgestellt. Nach knapp zwei Stunden ist selbst der hartgesottene Abenteuerfilmfreund kopfmäßig weichgekocht, der Schädel dröhnt wie ein Essensgong, und die Frage der Kollegin Sabine Vogel, „Stumpft der Mensch vom Gaffen ab?“, kann er soeben noch mauloffen grunzend abnicken: gahuga, gahuga.

Im Prinzip wäre die Rezension hiermit prima eingetütet und im Sack, aber nicht umsonst hat das Feuilleton die sog. Meta-Ebene ersonnen, eine Mode, die von der zweifelhaften Idee gespeist wird, daß sich unter der Oberfläche, also hinter den Dingen quasi, noch etwas verberge, und besonders gern wird die M.-E. als Aufforderung zum Verfertigen von Meterware mißverstanden, als redaktioneller Notruf nach einem langen Riemen. – Wohlan: Werde auch ich es schaffen, hier und heute einen französischen Salonphilosophen breitzutreten? Und ob es mir vielleicht sogar gelingt, das beliebte Wort „Dekonstruktion“ unterzubringen? – Halten Sie mir die Daumen, Zeit läuft:

– Die angreifenden Killertomaten, ach was: -gorillas werden vom männlichen Hauptdarsteller als „genetische Sackgasse“ denunziert und so zum Abschuß freigegeben. Dieser gefährlichen bioethischen Gedankenlosigkeit ist scharf entgegenzutreten! Friedrich Schorlemmer ringt die Hände! Ulrich Wickert und Oliver Tolmein wackeln besorgt mit Köpfen! Frauen bilden Banden! Öffentliche Diskussion! Verbieten! Wehret den Anfängen!

– Dieselben Gorillas werden höchst unansehnlich abgebildet, haben ein graues Fell, viele leiden unter Zahnausfall und Mundfäule – hier wird der Alterungsprozeß verächtlich gemacht, hier werden Senioren-Tanztees und Kukident- Parties verunglimpft, hier werden Graue Panther ausgegrenzt! Drehbuchautor Shanley sagt es ganz unverblümt: „Genau das sind die Grauen – geistlose Mordmaschinen.“ – Trude Unruh, übernehmen Sie!

– Dickes Minus: Für das Genre unverzichtbare Sätze wie „Sie sind doch irgendwo da draußen“, „Hab keine Angst“, „Alles wird gut“, „Vertrau mir“ oder „Hol schon mal den Wagen, Harry“ kommen nicht vor – die berechtigten Hoffnungen des Zuschauers auf netten Quatsch werden arglistig düpiert.

– Warum macht man einen Film über dumme, gewalttätige Tiere? Beim Kongo gleich nebenan, in Zaire, leben die Bonobo-Affen ein höchst vorbildliches Leben: Streitigkeiten zum Beispiel werden von den Bonobos durch Gewährung kulinarischer Genüsse oder sexueller Dienstleistungen beigelegt. Gleichbleibend freundlich füttern, befummeln, streicheln und pflöckeln sich diese erleuchteten Wesen wechselseitig und ebenso verschieden- wie gleichgeschlechtlich und überlassen das schlechte Leben den Doofen dieser Welt. – Also, Wim Wenders: Wenn Sie auch mit 50 beim Drehen noch so rüstig und reisefreudig sind wie immer schon: „Bonobos à Gogo“, bitte!

– Endlich etwas Positives: Im Film werden sämtliche Tiere von aufwendig verkleideten Menschen täuschend echt dargestellt. Mit diesem wegweisenden Verfahren kann a) die Legion arbeitsloser Schauspieler und Maskenbildner finanziell saniert, b) die Gesellschaft dadurch entlastet und c) die faunische Artenvielfalt immerhin pro forma aufrechterhalten werden: Vom Aussterben bedrohte Tierarten wie der Alexandersittich, der Rodrigues-Flughund, der Kakapo, das Aye-Aye, der Yangtse-Delphin und das weiße Nashorn werden darüber belehrt, daß auch sie ersetzbar sind, und dürfen mit dem guten Gefühl abtreten, notleidenden Menschen geholfen zu haben.

– In „Congo“ werden die Ästhetik der „Camel-Trophy“ und das Werk Franz Kafkas subtil, wenn nicht sogar sublim miteinander verschmolzen: Die Erlernung der menschlichen Sprache, das Erwerben menschlicher Sitten und Gebräuche wie zum Beispiel der Hang zur Tränendrüse, im Film von Gorillaweibchen Amy vollzogen, erscheint als eine an Michel Foucaults Lebensmotto „Post post, Kameraden!“ orientierte Version des Kafkaschen „Berichts für eine Akademie“. Eine Verhörszene in „Congo“ legt sogar nahe, hier sei Kafkas „Vor dem Gesetz“ als Transmissions- und Keilriemen für die lange Strecke Prag-Brazzaville-Hollywood verwendet worden: „Das ist wie bei Kafka“, flüstert einer der gefangenen Wissenschaftler zum anderen, und sofort blafft der wachhabende, nichts Gutes ahnende Soldat: „Wer ist dieser Kafka?“ – So gesehen gelingt Regisseur Frank Marshall eine – Tätä! – Dekonstruktion, hier ist sie schon! Franz Kafkas, wie man sie seit Eckhard Henscheids „Franz Kafka verfilmt seinen Landarzt“ mit dem unvergessenen Ferenc Knitter in der Titelrolle nicht mehr so nachhaltig erlebt hat. Chapeau!

– Nicht wirklich kafkaesk dagegen, sondern eher wie Fußkäs' mit Musik kommt der am Ende des Films doch leider noch aufdringlich vorgebrachte, streng massenkompatible Öko-Pflichtaufruf daher: Finger weg von Mutti Erde / Sonst nagelt dich die Affenherde.

– „Congo“. R: Frank Marshall, nach dem Roman „Expedition Kongo“ von Michael Crichton; B: John P. Shanley; D: Laura Linney, Dylan Walsh, Tim Curry u.a., USA 1995, 108 Minuten, Farbe.

– Jody Duncan/Janine Pourroy: „Congo – Der Film“, Knaur Verlag, München 1995, Großformat, 189 Seiten, 29,90 DM.

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