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Brandstiftung mit mehreren Versionen

Haben Ingo K. und Thomas H. eine Baracke im KZ Sachsenhausen angezündet? Das Jugendgericht meinte nein, der BGH verwarf das Urteil – nun muß das Landgericht entscheiden  ■ Aus Potsdam Annette Rogalla

Seit gestern wird der Prozeß um den Brandanschlag auf die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen neu verhandelt. Keine leichte Aufgabe, die die 1. Große Strafkammer unter ihrem Vorsitzenden Richter Suchan zu bewältigen hat. Vor fast genau einem Jahr hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die Freisprüche des damaligen Bezirksgerichts kassiert. In diesem ersten Verfahren war Suchans Kollege Przybilla mit seiner Jugendkammer nicht davon überzeugt gewesen, daß die Angeklagten Ingo K. und Thomas H. im Herbst 1992 dabei waren, als die Baracke 38 auf dem Gelände in Sachsenhausen niederbrannte.

„Im Zweifel für die Angeklagten waren die Beteiligten freizusprechen“, lautete ihr Urteil damals. Die Staatsanwaltschaft ging in die Revision, der BGH gab das Verfahren zu neuen Verhandlung an das Landgericht Potsdam zurück. Entstehung, Inhalt und Richtigkeit der Geständnisse seien nicht ausreichend geprüft worden und müßten noch einmal gründlich gewürdigt werden. Gestern konnten dem Gericht keine neuen Beweise vorgelegt werden. Drei Jahre nach der Tat sind die gleichen Fragen anhand der bekannten Aktenlage zu klären.

Haben Ingo K. und Thomas H. am 26. September 1992 den Brand in der jüdischen Baracke gelegt? Die beiden verneinten gestern diese Frage, wollten aber erneut aussagen. Zunächst befragte der Vorsitzende sie nach ihrem Lebenslauf. Klassische Stationen der Vernachlässigung ziehen am Gericht vorüber. Thomas H. hat den Vater nie gekannt. Er wächst bei der Mutter und seinem Stiefvater auf. Zehn Schuljahre absolviert er, lernt bei der Reichsbahn. Die Mutter sieht er selten, er wohnt beim Großvater und hatte eine Freundin, bis vor drei, vier Wochen. Es ging in die Brüche, der Druck des zweiten Prozesses sei zu groß gewesen. Ob ihn das schmerze, will Suchan wissen. Thomas H. schweigt. „Dazu sage ich nichts“.

In seinem Leben schrammte Ingo K. immer am psychischen Abgrund entlang. Im ersten Verfahren bestätigte eine Gutachterin der Charité, er sei „schwer debil und schwachsinnig“, bei einem IQ von 58. Dieses Gutachten erklärte dem Gericht seinerzeit, warum Ingo K. über elf Verhandlungstage mit immer neuen Versionen zur Tatnacht überraschte. Einmal sagte er, er selbst habe einen Molotowcocktail auf die jüdische Baracke geworfen, dann will er den fraglichen Abend über bei seiner Freundin gewesen sein, beim nächsten Mal präsentierte er sich als Mitläufer. Bei einem Ortstermin stammelte der schwer sprachbehinderte Hilfsarbeiter, er und Thomas H. seien gar nicht dabei gewesen. Bei dieser Version blieb er auch gestern. Alle Details, die er damals in der polizeilichen Vernehmung angegeben hatte, seien erfunden.

Richter Suchan will es nicht glauben. Die anderen Tatbeteiligten, die jedoch nie ermittelt wurden, seien nicht dabeigewesen? Die Geschichte mit dem Benzin, welches er in Bierflaschen aus einem grünen Moped abgezapft haben will, sei nicht wahr? Die Wegbeschreibung vom Tor der Gedenkstätte zu den Baracken, frei erfunden? So wie er sich durch den ersten Verhandlungstag hangelte, wird Suchan sich mühsam durchs Verfahren fragen. Noch fünf Prozeßtage lang.

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