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Kochbananen und rotes Palmöl

Ein Markt in Kamerun: hören, schmecken, riechen, fühlen. Auch für den weißen Mann mit dem weißen Stock ein Sinnenrausch, aber auch eine Art Langstreckenlauf. Gedankengänge durch Bamenda  ■ Von Eckhard Seltmann

„Good morning, Mista!“

„Good morning, Mohamed!“

„Ha for you?“

„Thank you, fine.“

Es ist eine klare, helle Stimme, die mich am Eingang vor „New Life“ anspricht. Sie kommt von unten rechts und gehört Mohamed, dem Haussa mit den verkrüppelten Beinen. Tagein, tagaus hockt er hier in einer Lücke zwischen den Warenangeboten des Supermarktes und schenkt den ein und aus gehenden Kunden ein paar freundliche Worte. Sein Stolz verbietet es ihm, lauthals zu betteln. Mohamed ist ungefähr so alt wie ich, und bisweilen halten wir einen kleinen Schwatz miteinander. So von Mann zu Mann, besser gesagt: von Behindertem zu Behindertem. Mohamed ist nicht allein. Ihm schräg gegenüber sitzt Jonathan, der Junge mit dem Wasserkopf, und weiter hinten Lucas, ein Leprakranker, der stets in seine fingerlosen Hände klatscht, wenn jemand eine Münze für ihn übrig hat. Sie alle haben sich nicht von ungefähr auf Bamendas Commercial Avenue eingefunden. Im Einzugsbereich von Markt und Geschäften hoffen sie auf Reiche, big men, Weiße, die zum Einkauf ins Stadtzentrum kommen. „New Life“ ist einer dieser Supermärkte. Dort kann man, wenn die Lkws aus Douala nicht liegenbleiben, Butter, Käse, Joghurt, Quark, Marmelade, Schinken, Thunfisch, Wein und andere europäische Selbstverständlichkeiten erwerben. Allerdings zu Preisen, die für die meisten Einheimischen unerschwinglich sind. Eine Schachtel Streichkäse kostet umgerechnet etwa 5,40 Mark, eine mittelgroße Salami etwa 25 Mark! Dem steht in dieser Region* ein Tagesverdienst von 3 bis 5 Mark gegenüber. Sofern man Arbeit hat.

Wir halten uns nach links, hinüber zum Markt. Schon nach wenigen Metern wird meine Frau von den beidseits des Gehwegs sitzenden Händlerinnen mit „Sister, buy me...!“ empfangen. Bei unserem ersten Marktbesuch vor zwei Jahren verstanden wir diese Aufforderung irrtümlich falsch. Dachten, es sei eine Variante des Bettelns, und fragten uns, warum wir für irgendwelche Mammies Kürbisse oder Cocojams kaufen sollten, wenn sie sie doch stapelweise vor sich liegen hatten. Zum Glück erfuhren wir alsbald, daß „me“ in Pidgin mit „mine“ gleichzusetzen ist und die Frauen nichts anderes taten, als für ihre Produkte zu werben.

– no bi so!?

„You want sweet oranges?“

„Well – how much is one place?“

„Twohundred. But I give three for fivehundred.“

Ein place ist eine kleine Pyramide aus Orangen, wobei drei neben- und zwei übereinander gruppiert sind. Wer nicht sehen kann, darf's vorsichtig fühlen. Wir nehmen gleich für 1.000 CFA mit, denn auch wenn sie äußerlich nur blaßgelb aussehen, enthalten sie doch einen köstlichen Saft.

Bei der Frau nebenan erwerben wir eine fußballgroße Melone sowie zwei riesige Ananas, deren Strünke beim Befühlen klebrig und feucht sind. Ein Zeichen, daß sie erst vor kurzem geerntet wurden. Gegenüber gibt es einen bunch kleiner, fester Bananen, die im Ansatz noch grün sind und daher für die nächsten Tage ihren herrlich süßsauren Geschmack beibehalten werden. Ein paar Meter weiter decken wir uns mit Dutzenden von Passionsfrüchten ein. Deren Inhalt, aufgekocht und durch die Flotte Lotte getrieben, vermag nicht nur als Gelee, sondern auch, mit reichlich kaltem Wasser verdünnt, als Durstlöscher zu begeistern. Schließlich halten wir ein letztes Mal an, um Zitronen und Limetten einzukaufen. Davon kann der Vorrat nie groß genug sein. Denn außer daß die Papayas Fisch oder Salatsoßen bereichern, läßt sich aus ihnen eine Limonade herstellen, die erfrischt und darüber hinaus noch den Ruf genießt, die beste Malariaprophylaxe zu sein. Nicht zu vergessen: ihre heilsame Wirkung bei Sonnenbrand. Der Saft wird dann allerdings äußerlich angewandt. Innerhalb weniger Minuten ist unser Obstsack bauchig und schwer geworden.

Obwohl es eng zugeht, brauche ich mir keine Sorgen ums Vorankommen zu machen. Die Menschen hier haben keine Berührungsängste und helfen mir, wenn meine Frau oder die Kinder beschäftigt sind, zwischen Sonnenschirmen und Obststapeln weiter. Die Scheu vor dem weißen Mann mit dem weißen Stock ist größtenteils gewichen. Es hat sich im Laufe der Zeit herumgesprochen, daß er nichts sieht. Sein Stock ist weder ein verlängertes Zepter noch irgendein Statussymbol, mit dem er die Leute auf Distanz halten will. Selbst wenn er ihn schützend vor sich hält. Andererseits weiß ich, daß die vielen hilfreichen Gesten nichts darüber aussagen, wie sehr die Menschen ein blinder Europäer irritiert. Waren in den vorangegangenen Jahrzehnten doch nur Exemplare der souveränen, nichtbehinderten Art aufgetaucht. Solche, die allzeit wußten, wo's langgeht, und anstelle eines Stocks die Flinte, das Geld oder den Glauben fest im Griff hatten. Und nun so einer! Hat man denn droben im Norden nicht die besten Ärzte? Die besten Kliniken? Die beste Medizin? Wie kann man da überhaupt blind werden? Einer Behinderung haftet immer noch das Stigma des Fluchs, der Verdammnis, der Strafe an. Ihr Auftreten gilt als Zeichen eines bis dato ungelösten Konflikts mit den Ahnen. Ja, es könnte sogar eine noch immer nicht gesühnte Untat oder ein weit zurückliegendes Unrecht dahinterstecken. Weshalb sich Familien mit behinderten Angehörigen einer gewissen Schande ausgsetzt sehen, derer sie sich mit Hilfe traditioneller Riten zu entledigen versuchen. In Bafut beispielsweise bedürfte es dazu einiger Dju-Djus (Geistermänner), die sich einer Zeremonie annehmen, bei der neben dem obligatorischen Palmwein eine Ziege, Kaninchen oder Hühner, Reis, Foufoucorn und andere Speisen als Opfer einzubringen sind. Doch trotz all dieser Versuche, mit seinen Vorfahren wieder ins reine zu kommen, läßt sich nicht leugnen, daß Behinderte im Kameruner Grasland eher ein zurückgezogenes, passives Leben führen. Nur wenige verlassen ihr dörfliches Umfeld. Und wo sie es dennoch tun, werden sie entweder zu bettelnden Einzelgängern oder leben mit ihresgleichen unter dem Dach einer vom Ausland getragenen Missionsstation. Insofern fällt natürlich ein Blinder gleich zweimal auf, der im städtischen Trubel mitmischt und sich am familiären Einkauf beteiligt.

„Hallo, long time not seen!“

„Yes, indeed.“

„How is life?“

„Thank you, just normal.“

Wir sind bei Mrs. Susan, der Königin unter den Gemüsehändlerinnen, angekommen. Sie hat nicht nur die größte Auswahl, sondern auch reelle Preise. Und das bei einer Qualität, von der deutsche Supermärkte nur träumen können. Wir schöpfen aus dem vollen: Karotten, Lauch, Sellerie, Blumenkohl, Paprika, Zwiebeln, Avocados, Zucchini, Auberginen.

„What about potatoes?“

„You have big ones?“

„No problem.“

„Okay, give one bucket!“

Der Eimer Kartoffeln, bei Mrs. Susan eingekauft, gewährleistet, daß die großen, dicken nicht nur obenauf liegen, sondern sich auch in den unteren Lagen befinden.

„I also have lettuce. And small, small red cabbage.“

„Fine. Give two of each.“

„And plantains?“

„Yes, but only ripe ones!“

Somit nehmen wir auch noch Salat, Rotkohl und Plantains mit. Letzteres sind mehlig feste Kochbananen, die im Grunde bei keinem einheimischen Essen fehlen dürfen. Egal ob zu Fisch, Fleisch, Bohnen oder Djama-Djama, fast überreif und in rotem Palmöl ausgebacken schmecken sie so gut, daß man jedesmal den Fehler macht, ein paar zuviel davon zu essen und sich anschließend nach einem Verdauungsschnaps sehnt. Oder einem doppelten Espresso!

Auf dem Weg zum Auto halten wir noch kurz bei den Tomatenständen inne. Die Auswahl ist wie gewohnt groß. Wir können zwischen glatten runden, dicken fleischigen, länglich schlanken oder wulstig gedrungenen entscheiden. Da nirgendwo eine Waage existiert, sind auch sie zu kleinen Haufen gestapelt, die irgendeiner Maßeinheit entsprechen. Anstelle der Stückzahl entscheidet die Menge. Und die wird stets unter der Hand abgesprochen. Als gute Kunden brauchen wir mittlerweile nicht mehr zu feilschen. Für 500 CFA bekommen wir anstandslos die gereichte Tüte gefüllt. Aroma und Geschmack der Tomaten sind so phantastisch, daß es ihren holländischen Treibhauspendants die Schamröte in die Schale treiben würde, müßten sie zu einem Vergleich herhalten. Beim Zahlen kommt jemand mit einer Plastikschüssel vorbei, in der Petersilie und Basilikum wässern. Wir legen noch ein paar CFA drauf und lassen uns jeweils einen Bund geben. Damit soll unser heutiger Markteinkauf abgerundet sein. Ginge es nach den Zurufen der anderen Frauen, könnten wir ihn allerdings unbegrenzt fortsetzen, könnten ihnen beispielsweise noch Kokos-, Cola- oder Erdnüsse abkaufen. Oder Jams. Oder Beans. Oder Turnips.

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Je mehr wir uns der Commercial Avenue nähern, desto strenger werden die Gerüche. Während linker Hand ein Großteil der zu Gari geraspelten Cassawas in der Hitze verdirbt, breiten sich rechts gegenüber heftige Schwaden von Trockenfisch aus. Auf geschabte Kuhhaut folgt gärender Honig. Auf ranziges ölvertropftes Kerosin. Dazwischen mischen die Ausdünstungen der Abfälle mit. Denn aller Schmodder bleibt liegen. Was nicht verkauft wird, fault vor sich hin. Was nicht gebraucht wird, fliegt einfach weg. Egal ob Zeitung, Gummilatschen oder Katzenkadaver, die Gosse nimmt alles auf. Wo es vergammelt – oder auch nicht. Bis irgendwann ein Regenguß den ganzen Dreck fortspült. Niemanden scheint das zu stören. Es ist, als hätten sich die Menschen an den mitunter pestilenzialischen Gestank gewöhnt. Als könnten sie mit dem Unrat leben. Als wüßten sie nicht um die Gefahr von Infektionen. Als machten ihnen die Keime und Krankheitserreger nichts aus. Als wäre Hygiene ein Fremdwort.

Was aber, wenn das Angepaßtsein nur eine Folge von Resignation und Abstumpfung wäre? Wenn sie sich eingerichtet hätten, weil kaum mehr etwas auszurichten ist? Manchmal kommt es mir vor, als bewegte ich mich in einer Gruppe von Langstreckenläufern, die dem Feld hinterherrennen und weder Kraft noch Motivation besitzen, die Kluft zu den Vorauseilenden zu verringern. Wozu auch? Eine letztjährige Statistik spricht für sich. Danach befinden sich von den 43 ärmsten Ländern der Welt 38 in Afrika. Das bedeutet, daß Einkommen, Lebenserwartung und Bildungschancen der knapp 700 Millionen Menschen dieses Kontinents unter der Hälfte des durchschnittlichen Weltstandards liegen. 50 Prozent der Bevölkerung gelten als arm, das heißt, ihnen steht nach Weltbankdaten ein Jahreseinkommen von 375 Dollar zur Verfügung. 30 Prozent leben in absoluter Armut, was bedeutet, daß sie jährlich mit weniger als 275 Dollar auskommen müssen. Auch als Handelspartner ist Afrika kaum noch gefragt. Der Anteil der Sub-Sahara-Länder am Weltmarkt beträgt gerade mal noch ein Prozent. Und die Tendenz ist trotz Abwertungsmaßnahmen und Demokratieversprechen weiterhin sinkend. Zugleich ist Afrika derart verschuldet, daß es dem Norden innerhalb von zwölf Tagen soviel an Zins und Tilgung zahlen müßte, wie es im gesamten Jahr an Entwicklungshilfe erhält. Wer jedoch ist „es“? Welche Politiker, Militärs oder Schönredner stecken hinter diesen zwei Buchstaben? Und welche anderen Buchstabenfolgen für Institutionen oder Organisationen gibt es, die unter einer Decke mit ihnen stecken? Wie viele Gelder sind über Jahrzehnte hinweg versickert, ohne daß bei den Wurzeln etwas ankam? Ich könnte wetten, daß die Marktfrauen hier in Bamenda niemals auch nur einen schäbigen CFA davon abbekommen haben. Sei es in Form von Strukturförderungs- oder Weiterbildungsprogrammen. Genausowenig wie sie Nutznießerinnen irgendwelcher städtischen Sanierungsmaßnahmen geworden wären. Für sie gilt, daß der Alltag im Jahre 95 noch schwieriger geworden ist, als er bereits im Jahre 94 war. Und schon damals hieß es:

„Money no day!“

Das Thermometer auf unserer Terrasse zeigt 32 Grad, und es weht eine leichte Brise. Leben wir nicht im Garten Eden? Gemessen daran, was sich in unserer Küche an Obst und Gemüse darbietet, könnte man sagen: ja; und ginge es nur um Wärme und Fruchtbarkeit, wäre die Story vom Paradies vielleicht noch reell. Doch der Lebensalltag der Leute spricht eine andere Sprache. Wir haben heute morgen für 11.725 CFA eingekauft. Das ist ungefähr ein Drittel eines hiesigen Monatslohns. Sofern man überhaupt Arbeit hat.

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