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Ein Gespenst aus Fleisch und Blut

Heute nacht wird der resozialisierte Mike Tyson in Las Vegas erstmals seit 1991 wieder in den Ring steigen und seinen Gegner Peter McNeeley im Geiste Machiavellis gründlich verhauen  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Ein Gespenst geht um in der Welt des Boxens: Mike Tyson. Seit Jahren hält sich hartnäckig der Mythos, daß der einstige Weltmeister aller Klassen der bei weitem beste zeitgenössische Schwergewichtsboxer sei. Dies ungeachtet der Tatsache, daß Tyson seit vier Jahren keinen Kampf mehr bestritten hat und bei seinen letzten Auftritten, bevor er wegen Vergewaltigung für drei Jahre ins Gefängnis mußte, keineswegs überzeugen konnte. Bis 1989 hatte der „Godzilla des Boxrings“ (Observer) seinen Gegnern meist nur wenige Minuten des aufrechten Ganges gegönnt, doch dann begannen schlampiges Training und eine ungesunde Lebensweise ihren Tribut zu fordern. Gegen den krassen Außenseiter Buster Douglas ging Tyson 1990 in Tokio in der 10. Runde k.o., und auch in den nächsten Kämpfen war von seinem gefürchteten Punch nichts mehr zu sehen. Tyson wirkte verunsichert, schlug wenig und klammerte viel.

Es zeugt vom traurigen Zustand des Schwergewichtsboxens, daß ausgerechnet Tyson nun zum Heilsbringer hochstilisiert wird, „ohne daß er einen Handschuh erhoben hat“, wie Emanuel Steward, Trainer des Briten Lennox Lewis, grantelt. Seit George Foreman als IBF-Champion zurückgetreten ist, kann kaum jemand auf Anhieb auch nur einen der diversen Schwergewichtsweltmeister nennen. Tyson soll, wie er es schon einmal tat, die Titel wieder auf eine Person vereinen. Die Weichen dafür hat er gestellt, kaum daß er dem Indiana Youth Center entronnen war, wo er sich mit Fitneßtraining einigermaßen in Form hielt. Fünf Tage nach seiner Entlassung hielt er eine 61sekündige Pressekonferenz ab, in der er erklärte, daß er mit dem „MGM Grand“ in Las Vegas einen Vertrag über 100 Millionen Dollar für fünf Kämpfe abgeschlossen habe und daß Don King wieder sein Manager sei.

Die erneute Berufung des zwielichtigen King, dem selbst eine Gefängnisstrafe wegen Unterschlagung und Steuervergehen droht, wurde als Rückfall in alte, finstere Godzilla-Zeiten gewertet und trug ihm viel Kritik ein. Für Tysons Karriereplanung ist der Mann mit der Stromschlagfrisur jedoch die ideale Person. King hat in der Boxszene fast alle Fäden in der Hand, wenn er auftaucht, machen die Funktionäre der meisten Boxverbände brav Männchen. Für Tyson hat der Promoter, der einst schon Ali, Frazier und Foreman geschäftlich betreute respektive ausnahm, bereits einen roten Teppich zu drei Weltmeistertiteln ausgelegt. WBC-Champion Oliver McCall und WBA-Champion Bruce Seldon stehen bei King unter Vertrag und als Tyson-Opferlämmer bereit. Dazu kommt der Südafrikaner Frans Botha, der im Dezember gegen Axel Schulz IBF-Weltmeister werden soll – ebenfalls ein Schützling Don Kings. Sollte Schulz gewinnen, macht es auch nichts, dann muß eben, so steht es im Vertrag, dieser gegen Tyson ran. Nur dem WBO-Champ Riddick Bowe wird Mike Tyson wohl tunlichst aus dem Weg gehen. Der ist im wahrsten Sinne des Wortes durch die gleiche Schule in Brooklyn gegangen und schlägt nicht minder hart.

Heute nacht nimmt das Gespenst in Las Vegas erstmals wieder Fleisch und Blut an, Aufschlüsse darüber, ob der 29jährige Tyson tatsächlich so gut ist wie der 23jährige, wird es allerdings kaum geben. Der Gegner wurde von Don King äußerst sorgältig ausgewählt, wobei besonderer Wert auf eine für Tyson gesunde Mischung aus imposantem Kampfrekord und gesteigerter Harmlosigkeit gelegt wurde. Der 26jährige Peter McNeeley gewann 36 seiner 37 Profikämpfe, 30 durch Ko., 20 in der ersten Runde. Gegen die meisten seiner Gegner hätte allerdings, so höhnt der Observer, auch Mutter Teresa eine Chance gehabt.

Manager Vinnie Vecchione hat McNeeley, der im Dezember seinen College-Abschluß in Politikwissenschaft und Geschichte machen will, konsequent auf eine einzige große Chance hin aufgebaut. Lukrative Fights gegen Weltranglistenboxer wie Joe Hipp oder Tommy Morrison wurden abgelehnt, die Rechnung ging auf. Gegen Tyson bekommt McNeeley immerhin 700.000 Dollar. Höchste Börse bisher für einen Kampf: 2.500 Dollar. „Er ist kein Athlet. Er ist kein Boxer. Er ist ein Kämpfer, ein Stier im Porzellanladen. Wenn er jemanden trifft, knockt er ihn aus“, lobpreist Vecchione, was der Observer folgendermaßen übersetzt: „Peter hat zwei linke Füße und bewegt sich ein Quentchen schneller als Michelangelos David, aber wenn er Tyson früh am Kinn trifft, könnten wir Glück haben.“

Die Begeisterung im boxüberfütterten Las Vegas für das Tyson- Comeback war trotz des von King betriebenen Ballyhoo zunächst nicht übermäßig. Wenige Tage vor dem Kampf warteten noch 4.000 Karten auf Abnehmer. Um das Interesse zu steigern, vor allem in bezug auf das Pay-TV, welches den Rekordpreis von knapp 50 Dollar für den Fight verlangt, hatte King dafür gesorgt, daß sich Tyson äußerst rar machte. Er trainierte geheim und gab nur eine größere Pressekonferenz, bei der er versuchte, das Godzilla-Image ein wenig zu korrigieren. Im Gefängnis hatte er viel Zeit zum Lesen, und routiniert zitierte der zum Islam konvertierte Boxer Marx, Nietzsche und Mao, nannte Machiavelli als sein großes Vorbild und sprach ebenso gewandt über den Blues wie über den Bosnienkrieg und die US-Politik. Tysons Bewunderung für Mao Tsetung ist so groß, daß er sich dessen Porträt sogar auf die Schulter tätowieren ließ. Die Schwärmerei für den chinesischen Revolutionär hinderte ihn andererseits keineswegs daran, sich gleich nach seiner Entlassung eine mondäne Villa in Las Vegas, einen luxuriösen Wagenpark und vielfältiges Geschmeide zuzulegen.

Gegen die intellektuelle Läuterung seines Goldstücks hat Don King nichts einzuwenden, doch gelegentlich möchte er dem Geschäft zuliebe auch den alten Mike Tyson sehen. Der ließ sich nicht lumpen. „Ich bin von Natur aus ein Arschtreter“, teilte er mit, „und, ganz nebenbei, ich werde Peter McNeeley umbringen.“ So weit wird es dieser wohl nicht kommen lassen, aber eine Chance hat er wohl kaum. Es sei denn, es gelingt ihm, Tyson in eine Diskussion über Politik und Geschichte zu verwickeln.

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