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■ On the road: Geschichte in Straßennamen (8)„Kurzer Prozeß“

Die Idee, daß sich Verbrechen durch Freiheitsentzug sühnen lassen, ist natürlich eine aufklärerische. Schließlich ist der Mensch ja – cogito ergo sum – vernunftgesteuert und lernfähig. Als er das noch nicht war, hießen Straffällige Misse- und Übeltäter und Gefängnisse Fangtürme. Deren gab es nicht viele in der Stadt (und auch nicht anderswo), denn praktiziert wurde, was sich heute noch umgangssprachlich großer Beliebtheit erfreut: kurzer Prozeß. Oder gar keiner.

Als Bremen seine Stadtmauer bekam, anno 1200, war der Fangturm einer von vielen Türmen, auf denen sich Wacht halten ließ. Fundamente lassen sich nicht mehr finden, doch angesichts der Länge der Stadtmauer muß es sie gegeben haben. Letzte Spuren der Stadtmauer, und zwar die Grundfesten eines Rundturms, finden sich im Keller des Hauses Marterburg 49/50. Im Bereich des Schnoor sind die Türme urkundlich nachgewiesen: „de thorn by der Holtporten“ (heute: Holzpforte), „de thorn dar baven“ (= der Turm oberhalb davon) , „des Heerden thorn“ (= des Hirten Turm) und de „thorn jeghen den Snor“.

Heute weist der Stadtplan im entsprechenden Planquadrat – zwischen Geeren und Hinter der Mauer – ein schnödes blaues „P“ aus. „P“ wie planiert und Parkplatz. War anfangs der Fangturm der Treff für DelinquentInnen, wurde er später seiner Funktion beraubt, geschleift und 1590 durch ein Kornhaus ersetzt.

Mit den Freiheitsstrafen kamen die Knasttürme. Feinde wurden jetzt nicht mehr durch Schützen auf den Türmen abgewehrt, die sinnigerweise in Abständen von zwei Pfeilschußweiten angeordnet. Das solide Mauerwerk versperrte nun nicht mehr nur den Weg von draußen nach drinnen, sondern auch umgekehrt. Stolz waren die BürgerInnen auf Türme und Mauer. Die „Mauerherren“ sorgten, in Form einer eigenen Behörde, dafür, daß der Kalk nicht rieselte. Zwei Mauerherren sind durch eine Wappentafel am Haus Schnoor 16 verewigt.

Alexander Musik

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