: Schwitzen mit dem Zeitgeist
■ Sockenrutschen, Treppchen-Hüpfen und ähnliches beim „Planet Reebok –95“ auf der Bürgerweide
Turnvater Jahn hätte vermutlich mit dem Kopf geschüttelt: Statt Leibesertüchtigung Discobeats und Modenschau und nebenbei ein bißchen Schwitzen. Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen das, was man gemeinhin unter Breitensport versteht; das wurde gestern auf der Bürgerweide deutlich.
„Planet Reebok –95“ - eine ganze Welt wollten die amerikanischen Turnschuhersteller nach eigenem Empfinden erschaffen. Ultramoderne Sportarten und heiße Musik, Staunen und Mitmachen im Zeichen des Stinkeschuhs stand auf dem Programm.
Ein Planet wurde nicht ganz daraus - eher eine Budenanordnung mit Bier und Würstel, die vor allem dank der lautstarken Skyline aus Lautsprechern aus dem Flohmarkt herausragte. Aber unterhalb des planetarischen Levels braucht man wohl die Werbetrommel gar nicht zu rühren. Und reichlich was los war ja tatsächlich: bei einem Beachvolleyballturnier wälzten sich die Leiber im künstlich aufgehäuften Sand, die Kleinfeldkicker donnerten den Passanten die Bälle um die Ohren, und auf drei Bühnen demonstrierten Showtruppen, was hinter Marken-Sportarten wie „Reebok Black Top“ oder „Slide Reebock“ steckte. Mitgemacht werden sollte ausdrücklich - die Fitnessbesessenen nahmen dankend an.
Für Profis hält sich der gesundheitliche Mehrgewinn von Treppchen-Hüpfen (“Step Reebok“) oder dem seitlichen Sockenrutschen (“Slide Reebok“) zwar in Grenzen. „Zu 70 % ist das Unterhaltung,“ meint Katrin. Neben dem Studium verdient die Zweiundzwanzigjährige mit Aerobic-Stunden ihre Brötchen und ist quasi beruflich hier. „Klar schaue ich mir an, was es an neuen Ideen gibt.“ Doch dabei geht es nicht nur um den athletischen Gehalt neuer Übungen..Alle Angebote testet sie im Selbstversuch - aber nicht nur was Fit macht, wird in ihr Programm aufgenommen. „Trends spielen vor allem in dieser Art von Sport eine große Rolle.“
Und an denen sind die Sportartikelhersteller als Veranstalter dicht dran. Hulahop-Reifen, Roller Skates und Jogging sind überstanden. Nun kommt der „City Jam“ - eine Handvoll Jugendliche, etwa die sechs BremerInnen von „Funky Sportivo“, studieren zu angesagter Musik regelrechte Choreographien ein, versuchen, es den Stars auf MTV gleichzutun. Katrin: „Das ist gerade in L.A. das Neuste.“ Der Jazz-Tanz besteht aus einzelnen Tanzfiguren. Im „City Jam“ werden die zu einem fiktiven Musikvideo zusammengesetzt - die Luftgitarre für den Fitnessfreund. „Das macht es attraktiv. Die Leute können nachmachen, was sie im Fernsehn sehen,“ erklärt Katrin.
In Sportvereinen läuft wenig außer Fußball. Die Fitnesswütigen zieht es in die innenstädtischen Hochhausetagen, wo der Körperkult in teuren Studios ausgelebt wird. Sport als Statussymbol, bestimmte Studios sind angesagt oder out. Doch auch hier geht der Trend weg vom alleine vor sich hin stemmen. „Fun ist wichtig, Fitness ist nur der Nebeneffekt“, meint Katrin.“Die Leute wollen was zusammen erleben, vieleicht wen kennenlernen.“
Das weiß König Stinkeschuh, und deshalb wimmelt es auf seinem Planeten von gut gelaunten Animateuren und immer fröhlichen Übungsleitern, die vormachen, wie man im Einklang mit dem Zeitgeist schwitzt. Im Vordergrund steht, was die Disco- und Videokultur attraktiv macht - knall-enge, schicke Klamotten, juveniles Lebensgefühl, der Kick einer heißen Tanznacht, Körperbetontheit mit Safe-Sex-Appeal. Zudem ist der neue Breitensport weitgehend wettkampf-frei. Man schwitzt ohne Leistungsdruck wie auf einer Party, miteinander, nicht gegeneinander. Der Fitness-Drang ist ein Weg, mit Leuten zu tanzen, zu flirten. Alleine zu Hause würde Ulrike, 19, niemals auf ein Laufband steigen. „Aber in der Gruppe bringt es fun.“ Nun ackert sie verbissen am gelenkeschonenden „Walk Reebok“.
Allerdings: Wer die Disco-Kultur nichts mehr oder noch nichts am Hut hat, tut sich schwer mit dem beat-lastigen Sportbegriff. Holger, 36, ist Beamter. Das sei ja ganz schön und gut, meint er. „Aber so Rumhüpfen? Nö, laß' man.“ Auch Dennis, 12, könnte sich nicht vorstellen, diesen „Hundesport“ mitzumachen, als er die Step-Reebok-Vorführung betrachtet. „Sieht doch albern aus, wie die da rumhampeln.“ Der Lärm hat ihn weg von der nahen Skate-Rampe zur Show-Bühne gelockt, wo eine Handvoll junger, schöner Menschen auf der Stelle joggt und ab und zu auf ein winziges Plastiktreppchen hüpft. „Ich glaub schon, daß viele das gut finden. Das ist wilder als normal Sport machen. Aber Skaten find ich besser. Da schwitzt man nicht so und ich kann machen, was ich will.“
Damit dürfte Dennis den meisten Kurzen aus dem Herzen gesprochen haben. Zwar wurde im Programm auch an die gedacht - vor allem aber mit Blick auf die kaufkräftigen Eltern. Nach fünf Minutem choreographischer Instruktion hotten die einen auf der Kinderbühne zur Dschungelbuch-Disco müde los. Die anderen blieben, vom Anweisungsschwall überfordert, stehen und am Ende purzeln alle übereinander. Wenigstens das machte Spaß. Aber den gab es auch ohne Affenbeat auf dem Luftkissen, wo die Kids in Eigenregie durcheinander purzelten.
Nur eines haben schicke Klamotten und flotte Beats nicht verändert: daß der Drang nach Gesundheit oft genau das Gegenteil bewirken kann. Nicht nur eine schlampig angebrachte Fahne mit Fitnessparole, die auf das Haupt einer Turnwütigen niedersauste, hielt die Sanitäter in Atem. Besonders die ungewohnten Seitwärtsbewegungen beim Sockenrutschen forderten ihren Trubut. Da half nur Eisspray, mit dem die Crew die verrenkten und gezerrten Gliedmaßen zur Gefühlslosigkeit kühlte, damit die Verunglückten wenigstens außer Sichtweite humpeln konnten. Die Verletzten mag es trösten, daß das auch den Profis passiert. Jennifer, bei Reebok an sich nur für die Walk-Reebok-Bühne zuständig, steckte schwer im Vertretungsstreß. Die Kollegin von der Step-Bühne war nach übermäßigem Sportgenuß nicht mehr einsatzfähig. Diagnose: Beinbruch.
Lars Reppesgaard
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen