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Aufstand im Schatten der Gartenzwerge

Laubenpieper und Umweltschützer laufen Sturm gegen den Ausbau der Spree in Siemensstadt. „Projekt 17“ gefährdet nach ihrer Meinung Fauna, Flora, Trinkwasser, Schrebergärten, Erholungsgebiete, Gewerbebetriebe und den Staatshaushalt  ■ Von Ute Scheub

Da wo sonst die Gartenzwerge grinsen, stehen jetzt Protestplakate. „Grade Spree? Nee!“ Oder: „Überflutung wie am Rhein? Nein!“ Oder, mit drohendem Verweis auf die kommenden Wahlen: „Wer Laubenpieper quält, wird abgewählt!“ In den Kolonien Schleusenland, Spreewiesen, Tiefer Grund und Bleibtreu, die sich nördlich vom Schloßpark Charlottenburg links und rechts in die Spreebögen schmiegen, gärt die Wut. 100 bis 200 Parzellenpächter und 8 Gewerbebetriebe werden ihres Grundstücks beraubt, wenn hier wie geplant ab Ende 1996 die Spree durchstochen, begradigt, ausgebaggert und in einem Schleusenneubau kanalisiert wird.

Diesen Anschlag auf den deutschen Schrebergarten und das freie Unternehmertum hat sich ausgerechnet ein Christdemokrat ausgedacht: Günther Krause, einstmals Bundesverkehrsminister mit ABM-Putzfrau. „Die notwendige Mobilität für den Wirtschaftsstandort Bundesrepublik Deutschland ist umwelt- und sozialverträglich sicherzustellen“, begründete er 1992 den geplanten Ausbau von 17 Ost-West-Verbindungen, darunter 9 Schienenstrecken, 7 Autobahnen und eben der Ausbau der Wasserstraße von Berlin nach Hannover. Damit auch 110 Meter lange „Großmotorgüterschiffe“ und bis zu 185 Meter lange „Schubverbände“ in den Berliner West- und Osthafen einfahren können, sollen Havel, Spree und Teltowkanal vertieft und zum Teil sogar begradigt und erweitert werden. Umwelt- und sozialverträglich? „Die zweitgrößte Dummheit seit dem Turmbau zu Babel“, wettern die Betroffenen, die sich in Berlin und Brandenburg zusammen mit Naturschutzverbänden zu Aktionsbündnissen zusammengeschlossen haben. „Umweltverträglich“: Mit über 4 Milliarden Mark solle der Steuerzahler die Zerstörung wertvoller Naturgebiete bezahlen. „Sozialverträglich“: Selbst die Binnenschiffer seien gegen das Projekt, weil es nur einer kleinen Zahl von Großreedereien mit ihrem Großschiffen nutze und damit den Konzentrationsprozeß fördere.

„Täglich gerade mal drei Großgüterschiffe werden laut Prognose im Jahr 2006 den Westhafen anlaufen“, schimpft Günther Schmidt, der Vorsitzende der Kolonie Spreewiesen, „und dafür wird die Umwelt verschandelt, Arbeitsplätze und Naherholungsgebiete vernichtet.“ Von 88 Parzellen in seiner Kolonie sollen 52 verschwinden. „Die Stimmung hier ist sehr schlecht“, ergänzt Gartenbesitzer Horst Krause, der sich mit Günther Schmidt und anderen Betroffenen in der „Interessengemeinschaft Schleuse“ zusammengeschlossen hat. „Viele leben jetzt 30 oder 40 Jahre hier, die resignieren, die geben auf.“ Niemand hier könne verstehen, warum für zig Millionen eine neue Schleuse gebaut werde, wenn man für größere Schiffe doch auch die alte Schleuse verlängern könne. Krause vermutet, daß die Betreiber vollendete Tatsachen für das Projekt 17 schaffen wollen: Hat man an einer Stelle mit Millionenaufwand ausgebaut, „steht man unter Zugzwang“.

Ähnliches vermuten die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) und der BUND, die zusammen mit dem Aktionsbündnis gegen den Havelausbau eine scharfe Stellungnahme gegen den Schleusenbau verfaßt haben. Obwohl der Bedarf dafür in keiner Weise nachgewiesen sei, obwohl die Anbindung der neuen „Wasserautobahn“ an die brandenburgischen Wasserstraßen noch lange nicht genehmigt sei, obwohl der denkmalgeschützte Westhafen als Ziel der Großschiffe nur sehr begrenzt ausbaufähig sei, werde das Genehmigungsverfahren für den Spreeausbau in aller Eile durchgezogen. Die Naturschützer vermuten, daß das von Ex-Minister Günther Krause erfundene „Verkehrswegebeschleunigungsgesetz“ der Grund sein könnte. Das Gesetz von „Sause- Krause“ beschleunigt vor allem den Rechtsweg, so daß den Betroffenen mit dem Bundesverwaltungsgericht nur noch eine einzige Klage-Instanz offensteht. Ende diesen Jahres soll dieses Gesetz aber auslaufen. Deswegen werde der endgültige Planfeststellungsbeschluß für Schleuse und Spreedurchstich noch vor Anfang 1996 ergehen, befürchten die Betroffenen. Aber egal, „klagen wollen wir auf jeden Fall“, so Marcel Charpentier, Vorsitzender des Bezirksverbands Charlottenburg der Kleingärtner.

Auch an anderer Stelle fährt das Bundesverkehrsministerium die Strategie, das Milliardenprojekt in genehmigungsfähige Einzelteile zu zerlegen, um die Proteste zu unterlaufen. Es habe keinerlei Umweltverträglichkeitsprüfung stattgefunden, kritisierten die Naturschützer immer wieder. Wieso auch, meint das Ministerium als Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag: „Das Projekt 17 setzt sich aus mehreren Vorhaben zusammen, die, jeweils für sich betrachtet, eine sinnvolle verkehrliche Leistungssteigerung des Wasserstraßennetzes ermöglichen sollen. Die Auswirkungen dieser Vorhaben werden jeweils in einer Umweltverträglichkeitsuntersuchung zusammengefaßt.“

Die ministeriellen Antworten dürften auch die Berliner Wasserbetriebe interessiert haben. Die nämlich sind nach den Worten ihres Sprechers überhaupt nicht begeistert über die Ausbaggerpläne im unmittelbaren Einzugsbereich des Wasserwerks Jungfernheide. Dadurch nämlich wird die Erdschicht der Spree verletzt, die das Flußwasser vom Grundwasser trennt. „Ein solcher Eingriff ist immer problematisch“, weil Schadstoffe durchbrechen können“, meint der Sprecher. Ulrike Großmann vom BUND sieht darin sogar die größte Gefahr des ganzen Vorhabens: Das Spreewasser sei bakteriologisch hoch belastet und überschreite den zulässigen Grenzwert mancherorts um ein Tausendfaches. Die Bundesregierung dagegen meint: Die Wasserbeschaffenheit der Spree sei „unkritisch, da ein Vergleich der Rohwasserdaten des Wasserwerks Jungfernheide mit der Beschaffenheit des nicht kritisch belasteten Spreewassers ... nur geringe Qualitätsunterschiede erkennen läßt“.

„Bundesregierung empfiehlt Spree als Trinkwasser“, schimpft einer der Laubenpieper, der von seinem Hüttchen aus auf die struppig verwilderten Ufer blickt. Die Spreeufer, Lebensraum für zahlreiche auf der Roten Liste stehenden Pflanzen- und Tierarten, würden zerstört. Zwergfledermaus, Haubenlerche und Quappe, zählen Naturschützer auf, müßten die Flucht ergreifen.

Die Flucht nach vorne versucht nun aber auch die CDU-geführte Senatsverwaltung für Umwelt – nicht zuletzt angesichts der bevorstehenden Wahlen. Zwar unterstützt Umweltsenator Hassemer das Projekt 17, doch im Detail findet er manches übertrieben. Was die Wasser- und Schiffahrtsdirektion (WSD) ursprünglich vorgelegt habe, sei noch viel, viel schlimmer gewesen, versichert Peter Schirmer, Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft im Hause Hassemer. In zähen Verhandlungen hätten sie der federführenden Bundesbehörde eine Riesenschleuse mit zwei Kammern und andere Betonprojekte ausgeredet. Nun hoffe man, die WSD für die weichste Lösung gewinnen zu können: Ausbau der alten Schleuse statt Neubau, Verzicht auf betonierte Spundwände, Verzicht auf die Zuschüttung des entstehenden Altarms der Spree. Die Kurvenbegradigung, der rund hundert Kleingärten zum Opfer fallen, soll allerdings beibehalten werden. Weitere Unruhe im Schatten der Gartenzwerge ist also programmiert. „Zur Not“, droht Bezirksvorsitzender Charpentier, „rennen wir an jeden Wahlkampfstand der CDU und SPD.“

Heute um 19 Uhr diskutiert die Umweltbehörde öffentlich bei der Firma Kluwe, Nonnendamm 33, mit den bedrohten Betrieben.

Am kommenden Sonntag stellen sich der Umweltsenator und der Verkehrssenator den Laupenpiepern.

Siehe auch Porträt Seite 24.

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