: „Ein völlig untypisches Hochdruckgebiet“
■ Der Frankfurter Klimatologe Christian Schönwiese über den Jahrhundertsommer 1995 / Ein Kälterückschlag ist seit Monatsanfang überfällig / Ursache ungeklärt
taz: Willkommen im mediterranen Deutschland, Professor Schönwiese. Schon wieder ein Jahrhundertsommer. Was sagt der Klimawissenschaftler?
Christian Schönwiese: Sie können die heißen Sommer nehmen, die milden Winter, die Überschwemmungen. All diese Phänomene treten oft in Clustern auf, also gehäuft. Die letzten heißen Sommer hintereinander hatten wir zwischen 1947 und 1952. Ich würde aus der Häufung noch nichts Dramatisches schließen. Aber ich würde auch nicht entwarnen, denn die menschlichen Eingriffe in das Klimageschehen könnten tatsächlich eine Rolle spielen.
Wäre denn überhaupt jemals eine Wetterkonstellation denkbar, bei der Sie als Wissenschaftler sagen würden: Also das sind jetzt eindeutig Auswirkungen der drohenden Klimakatastrophe?
Wir können Klimaverschiebungen nicht an Wetterphänomenen erkennen, indem wir einzelne Sommer, noch dazu in vereinzelten Regionen, betrachten. Wir müssen uns das weltweit über die Jahrzehnte und Jahrhunderte ansehen. Und dabei stellen wir dann fest, und das ist viel entscheidender, daß die Weltmitteltemperatur in den letzten 100 Jahren um ein halbes Grad gestiegen ist. Und gerade in den letzten Monaten ist die Situation noch dramatischer geworden, weil wir erkannt haben, daß es neben dem Treibhauseffekt auch einen menschengemachten Kühlungseffekt gibt durch das Schwefeldioxid. Etwa die Hälfte der Erwärmung wird durch diese Kühlung wieder geschluckt.
Der Treibhauseffekt ist also viel schlimmer, wird aber durch das Schwefeldioxid maskiert?
Ja, exakt. Und durch den Vulkanismus, der ebenfalls kühlend wirkt. Die Situation ist tatsächlich gravierender, als es die Daten verraten. In Wahrheit haben wir wahrscheinlich schon ein volles Grad Erwärmung.
Heiße Sommer waren bei uns früher meist mit dem berühmten Azorenhoch gekoppelt. Jetzt haben wir ganz andere Konstellationen. Woran liegt das?
Richtig ist, daß dieser Sommer ganz anders abläuft. Das Hoch baut sich immer wieder vorzugsweise über den Britischen Inseln auf. Die Engländer haben deshalb seit vielen Wochen keine Niederschläge. Das ist völlig unüblich, und niemand weiß, warum das so ist. Unsere Klima-Modellrechnungen können leider solch regionale Effekte nicht erklären. Wir wissen nur, daß dieses Hoch mit seiner ungewöhnlichen Ostströmung untypisch ist. Genauso untypisch sind Temperaturen um die 30 Grad in der zweiten Augusthälfte. Wir müßten längst einen Kälterückschlag haben. Interview: Manfred Kriener
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