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Der Heuchelbalken Von Mathias Bröckers

Seit das Verfassungsgericht dem bayerischen Staat untersagt hat, Klassenräume zwangsweise mit Kruzifixen auszustatten, tobt ein kleiner Religionskrieg in Deutschland. Eigentlich besteht dazu zwar keinerlei Grund – die staatliche Zwangsbewirtschaftung verstößt klar gegen die in der Verfassung festgelegte Trennung von Staat und Kirche –, doch das scheint die empörten Kirchenvertreter und Politiker nicht weiter zu interessieren.

Zwar hat das Kruzifix-Urteil in Bayern noch nicht zu derart revolutionären Umtrieben geführt wie die unlängst ergangene Biergarten-Verordnung – soweit wie mit der Liebe zu Gerstensaft und Vollrausch geht's in Sachen Weihwasser und Erlösung dann halt doch nicht –, doch was den Empörungsgrad betrifft, liegt der Kreuz-Skandal heuer schon ziemlich weit oben. Gäbe es die hochheilige Inquisition noch, der Karlsruher Senat müßte vor Häschern wie dem Kreuzritter Stoiber oder dem Hl. Theo ziemlich auf der Hut sein. Dabei hätten die krisengeschüttelten Kirchen wirklich allen Grund, sich beim Verfassungsrichter für dieses Urteil zu bedanken – weder teure Werbekampagnen noch fromme Wünsche hätten es je vermocht, das in weiten Teilen der Gesellschaft inhaltslos gewordene Firmenlogo derart positiv aufzuladen. Jeder Weltkonzern würde angesichts solcher Gratis-PR halleluja! rufen und eine große Kampagne draufsetzen, doch die deutschen Dorfpfaffen und ihre politischen Verteidiger heulen und wehklagen sich um Kopf und Kragen. Kaum ein apokalyptisches Szenario, vom Zwangsabriß von Kathedralen bis zum Untergang des christlichen Abendlands resp. der Gesamtzivilisation, ist den Kreuzrittern heftig genug, um die satanischen Abgründe des Urteils auszumalen. Sie kündigen öffentlch „Widerstand“ (Hans Maier) an, unter fälschlicher Berufung auf die Entfernung von Kreuzen in der Nazi-Zeit. Im politischen Bereich sind derartige Mißachtungen der FDGO gemeinhin ein Fall für den Staatsschutz, den Klerikal-Radikalen wird aber offenbar ein weitaus heiligerer Zorn zugestanden als jeder anderen Gruppe. Dabei sind sie wirklich völlig irre geworden: „Eine Moschee (wie etwa in Köln) ist eine Gegebenheit, ,unter‘ der man sich befindet und, als Anwohner, ständig befinden muß. (...) Warum sich mit ihr abfinden, wenn man sich mit dem Schulkreuz nicht abfinden muß?“

Hat das Bundesverfassungsgericht flächendeckende Zwangsbewirtschaftung mit Moscheen gefordert? Natürlich nicht. Wie aber kommen dann durchgeknallte Kreuzritter, in diesem Fall Herbert Kremp in der Welt am Sonntag, zu Halluzinationen wie einem „Besitzstandskampf um Kultur“ mit plattgemachten Moscheen? Als stünden die Ayatollahs kurz vor Wien. Einmal mehr erweist sich das christliche Symbol als idealer Heuchelbalken, mit dessen Hilfe man fromm und moralisch tun und gleichzeitig sein machtpolitisches Süppchen weiterkochen kann: vom historischen Massenmord an „Hexen“ und „Heiden“ über die mit christlichem Segen rollenden Hakenkreuz-Panzer zu den kleinen Scheinheiligen vom Kaliber Kremp. Schon soll Leo Kirch seine Welt-Redaktion einen neuen Friedensplan ausarbeiten lassen: Wenn deutsche Tornados durch den Abwurf bayerischer Schulkreuze Bosnien retten, wäre alles wieder gut.

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