: Hier brennen noch die Häuser
Die serbischen Einwohner werden wohl nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren. Die kroatischen Soldaten haben sich angeblich nicht an den Plünderungen beteiligt ■ Aus Knin Erich Rathfelder
Die bedrückende Stille, die nach dem „Sturm“ der kroatischen Armee Anfang August über den Landstrichen der ehemals serbisch besetzten Krajina lastete, wird dieser Tage von lautem Motorenlärm durchbrochen. Von Josipdol aus, einem 100 km westlich Zagrebs gelegenen Städtchen, ergießt sich eine lange Autoschlange in die Krajina. Deutsche und österreichische Nummernschilder fallen auf, Autos aus Zagreb und Rijeka wie aus der näheren Umgebung.
Fikret K. hat seinen VW-Golf mit Tüten, Kisten und Schachteln überladen. Vor einem Kontrollpunkt haben die Autos zu warten. Papiere und Gepäck werden von kroatischen Soldaten und Polizisten untersucht. „Meine Familie, die in Cazin bei Bihać lebt, habe ich seit vier Jahren nicht mehr sehen können.“ Sein Blick schweift über die grüne Landschaft der Lika, auch dorthin, wo die zerstörten Häuser eines Dorfes zu sehen sind. „Ich freue mich natürlich jetzt, daß meine Leute wieder frei sind, aber ich bin traurig über diesen Krieg. Uns kleine Leute hat ja niemand gefragt, als er begonnen wurde.“
Die Autoschlange setzt sich in Bewegung. Vorbei an den zerstörten Befestigungen eines UN-Postens fahren die Autos über einen Paß. Keine Menschenseele ist zu sehen. Dann plötzlich kommt ein Traktor entgegen. Ein Bauer fährt auf sein Feld. Das Dorf Lipad, in dem vor dem Krieg mehrheitlich Serben wohnten, ist erreicht.
Hier in diesem Dorf sind keinerlei Zerstörungen zu sehen. Die Fensterläden vieler Häuser sind geschlossen. Scheunentore und Türen anderer Häuser stehen weit offen. Hühner laufen frei herum, auf den Maisfeldern hinter den Häusern tun sich Schweine und Kühe gütlich. Aus den Fenstern anderer Häuser wehen weiße Flaggen aus Bettüchern oder Tischdecken. In den Gärten arbeiten einige Menschen.
So auch Frau Zumanja. Die 45jährige Bäuerin geleitet die unerwarteten Gäste zu einer Gartenbank. „Wir, mein Mann und ich, sind froh, daß wir geblieben sind.“
Als am Sonntag, den 6. August, morgens plötzlich die kroatischen Soldaten vor dem Dorf standen, sei eine Panik ausgebrochen. „Unsere Behörden hatten uns schon einige Tage vorher verständigt, wir sollten unsere Sachen packen und uns zur Flucht bereithalten.“ Es sei alles sehr schnell gegangen. Einige Familien seien aus dem Dorf geflohen. „Auch wir waren auf der Straße, dann aber sind wir in das Haus zurückgekehrt.“ Frau Zumanja senkt den Kopf. „Wenn wir schon sterben sollten, dann wenigstens zu Hause“, hatte ihr Mann zu ihr gesagt.
Es kam jedoch ganz anders als erwartet. Die ersten kroatischen Soldaten hätten sie beglückwünscht, daß sie geblieben seien. „Keine Angst“, hätten sie gesagt, „wir durchsuchen das Haus nur nach Waffen.“ Auch den anderen Nachbarn sei es ähnlich ergangen, 25 serbische Familien seien noch im Dorf. Die Polizisten, die seither hier stationiert sind, verhielten sich korrekt. Sie hätten ihnen nach der Registrierung versprochen, ihnen bald die kroatischen Papiere auszuhändigen. „Zwei Familien sind nach der Flucht wieder zurückgekommen.“ Sie wären in Sisak aus dem Zug der Flüchtenden ausgeschert und zurückgekehrt.
„Auch kroatische Nachbarn sind zu Besuch zurückgekommen.“ Ihr ist anzumerken, daß es ihr schwer fällt, das Wiedersehen mit diesen Nachbarn in Worte zu fassen. Der Ausdruck von Freude — „wir haben uns ja schon seit vier Jahren nicht gesehen“ — will nicht so recht gelingen. Frau Zumanja versucht die Angst zu verstecken. Unausgesprochen bleibt die Frage, wie jene in Zukunft reagieren werden, die vor vier Jahren durch die serbischen Freischärler zur Flucht gezwungen wurden.
Auf der Straße weiter ostwärts nehmen die weißen Fahnen weniger. Im Nachbardorf ist keine Menschenseele mehr zu sehen. Nur einige kroatische Polizisten sitzen an der Straßenkreuzung und trinken Bier. Die Scheunentore der Bauernhöfe sind weit geöffnet, in manchen Höfen liegen Kleiderbündel und Autowracks. Einige Höfe sind abgebrannt. Je mehr wir uns den Bergen nähern, desto häufiger sind Zerstörungen an den Häusern zu sehen. Hier wurde offenbar gekämpft. Artilleriegranaten haben ganze Fassaden zerfetzt. Verkohlte Holzpfosten und Asche zeugen von den Stellen, wo einstmals Scheunen standen. „Am Waldrand hatten die Serben eine Verteidigungsstellung aufgebaut“, erklärt einer der kroatischen Soldaten. „Serbische Einwohner gibt es hier nicht mehr. Die sind alle weg.“
In Lapad lassen sich die Ereignisse vom 6. August leicht rekonstruieren. Als die kroatische Armee ihren Angriff begann, wurde die serbische Bevölkerung im gesamten Dorf von Panik erfaßt. Die der Frontlinie am nächsten wohnenden Familien konnten jedoch nicht mehr weg. Weiter östlich dagegen gelang den Bewohnern die Flucht. Und wo noch serbische Soldaten einige Stellungen verteidigten, schlugen die kroatischen Militärs zu. An diesen Kampfplätzen wurden die serbischen Häuser vollständig zerstört. Ob die verbliebenen Häuser geplündert wurden oder nur auf Waffen durchsucht, läßt sich heute nur schwer sagen.
Viele Kroaten besuchen ihre Häuser, die sie vor vier Jahren verlassen mußten. So auch Petar K., der aus einer „Mischlingsfamilie stammt“ — wie er sich ausdrückt — halb Kroate, halb Serbe ist und seit Jahrzehnten in Deutschland lebt. Das Dorf, das er besuchen will, liegt südlich der Plitvicer Seen, in der Nähe von Udbina. Dort lag auch der Flughafen der serbischen Krajina-Armee. Der Weg dorthin ist von Ruinen gesäumt. Zum einen sind es die Ruinen von 1991, als serbische Extremisten die Kroaten vertrieben. Kaum eines der kroatischen Häuser ist noch intakt, und keine einzige katholische Kirche steht mehr.
„Sie sind alle gesprengt worden“, sagt Petar. „Immerhin haben sie jetzt die orthodoxen Kirchen stehen lassen.“ Aber sonst auch nicht viel. Von einer Höhe aus sind sechs Rauchsäulen zu sehen, die Häuser geflohener Serben, die an diesem Wochenende des 19./20. August niedergebrannt werden.
An einem Kontrollpunkt bitten zwei kroatische Soldatinnen, nach Knin mitfahren zu dürfen. Sie bestreiten die Brände nicht. Und auch nicht, daß es sich um serbische Häuser handelt. „In der Armee haben wir den strikten Befehl erhalten, serbisches Eigentum nicht anzurühren.“ Dieser Befehl werde auch befolgt. Die Brände rührten daher, daß ehemals vertriebene Kroaten zu ihrem Dorf zurückkehrten und sähen, was mit ihren Häusern oder denen ihrer Familien 1991 geschehen sei. Sie zündeten die Häuser ihrer ehemaligen serbischen Nachbarn an. „Es ist nicht recht, was sie tun, ich kann aber ihre Gefühle verstehen,“ sagt Vesna, eine der Soldatinnen und ehemalige Studentin der Geschichtswissenschaften in Sarajevo.
Hat die Armee eingegriffen, um diese Brandstiftungen zu verhindern? Sie antwortet nicht gleich. „Sollte ein Brandstifter auf frischer Tat erwischt werden, würde er wohl kaum verhaftet werden.“ Und warum? Sie schweigt. „Die Leute wollen eben nicht, daß die serbischen Familien zurückkommen.“
Die Einfahrtstraße aus nördlicher Richtung nach Knin ist von Autowracks gesäumt. Hier versuchten die serbischen Einwohner in Richtung Bosnien zu entkommen. Im Hauptquartier der kroatischen Armee geben sich die Offiziere gelassen und stolz zugleich. „Wir haben Funksprüche aufgefangen, wonach die Serben glaubten, wir griffen mit Hunderttausenden von Mann an. Stündlich erhöhte sich die Zahl. Das produzierte die Panik mit“, erklärt Ivan P., der während der Militäraktion die Kommunikation des Gegners stören sollte.
„Noch ist es zu früh, alles in den Griff zu bekommen“, gibt Stenko Jente an, einer der kroatischen Offiziere, die in Knin für längere Zeit Dienst tun. Plünderungen und Brandstiftungen hätte es von seiten der Armee nicht gegeben. Die Soldaten der Armee unterlägen einer strikten Disziplin, doch das ganze Gebiet der Krajina sei nur schwer zu kontrollieren.
Reicht der Wille der Armee dafür vielleicht nicht aus? Wäre es nicht an der Zeit, daß die politische Führung, daß Präsident Tudjman ein Machtwort spräche und denjenigen mit Strafen drohe, die weiterhin „ihren Gefühlen“ freien Lauf lassen? „Hören Sie, wir haben einen militärischen Sieg errungen, der nötig war, weil alle Verhandlungen fehlgeschlagen sind. Das ist doch die Schuld der serbischen Seite.“ Stenko Jente bleibt trotz des Ärgers höflich. „Mit der Zeit werden sich die Gemüter beruhigen. Dies hier ist Kroatien, und Kroaten haben doch kein Interesse daran, das eigene Land zu zerstören.“ Politisch wäre Kroatien bereit gewesen, den serbisch dominierten Regionen Knin und Glina spezielle autonome Rechte zu geben. „Das wird jetzt nach der Flucht der serbischen Bevölkerung nicht mehr realisiert.“
Gravierende Zerstörungen sind in Knin auf den ersten Blick nicht zu bemerken, und es schwelen auch keine Brände, wie dies in anderen eroberten Städten der Fall ist. Die Schaufenster des Geschäfts eines flüchtigen Bekannten, des Photographen Damir S., sind eingeschlagen, der Raum ist leergeräumt. Auch bei einem Fernsehgeschäft sind die Fensterscheiben eingeschlagen, die Ware steht jedoch noch feinsäuberlich in den Regalen aufgereiht.
Vor der UNO-Kaserne hat sich eine Menschengruppe gesammelt. Es sind Kroaten und Serben aus Kroatien, die Freunde und Verwandte besuchen wollen. Diese haben nämlich beim Kriegsausbruch in der UNO-Kaserne Zuflucht gesucht.
Die UN-Offiziellen verweigern den Journalisten den Zutritt zu den Flüchtlingen und ihren Besuchern, angeblich weil es Sonntag sei. Einige der Familien wollten in Knin bleiben, die „Mehrheit wolle nach Serbien gehen“, gibt ein tschechischer Offizier endlich preis. Doch auch er weiß keine Antwort darauf, warum einer kroatischen Parlamentsdelegation am Freitag letzter Woche das Gespräch mit den Flüchtenden von seiten der UNO verweigert wurde. Immerhin befanden sich in der Delegation serbische Kroaten aus Zagreb.
Die Straße von Knin nach Zagreb ist wieder offen. Autos und Lastwagen brauchen keinen Schutz mehr, um hier zu fahren. „In den Wäldern allerdings gibt es noch versprengte Tschetniks“, sagt eine kroatische Journalistin. Diese Wälder würden nun „gesäubert“. Jeden Tag zögen Spezialeinheiten der Armee in die abgelegenen Wälder und unzugänglichen Gebiete. Am Wochenende hätten sich wieder zwölf serbische Soldaten ergeben. Und wie viele wurden erschossen? Sie zuckt mit den Achseln. „Tote sind bei solchen Aktionen nicht ausgeschlossen.“
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